- Die Angst geht um
Haiti sind Unsicherheit und politisches Chaos nicht fremd. Doch die Ereignisse der vergangenen Wochen haben das Land an einen Wendepunkt gebracht. Droht die Instabilität auf andere Regionen überzugreifen?
Obwohl Washington mit dem Krieg in der Ukraine, den angespannten Handelsbeziehungen zu China und einem möglichen regionalen Konflikt im Nahen Osten beschäftigt ist, ließ es sich US-Außenminister Antony Blinken nicht nehmen, am 11. März an einem Treffen der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) in Kingstown, Jamaika, teilzunehmen, um die Krise in Haiti zu erörtern, wo kriminelle Elemente die Kontrolle über die Regierung übernommen haben. Es ist eine Erinnerung daran, wie wichtig die Karibik für die USA geopolitisch ist und wie schwer es Washington fällt, den Forderungen ähnlich gefährdeter Staaten nachzukommen.
Haiti sind Unsicherheit und politisches Chaos nicht fremd, aber die Ereignisse der vergangenen Wochen haben das Land an einen Wendepunkt gebracht. Vom 29. Februar bis zum 2. März nutzten bewaffnete Banden die Abwesenheit von Premierminister Ariel Henry, stürmten verschiedene Gefängnisse und befreiten etwa 4.600 Insassen. Anschließend übernahmen sie die Kontrolle über öffentliche Gebäude, plünderten Geschäfte und griffen Polizeistationen und den Flughafen von Port-au-Prince an.
Die Angriffe waren eindeutig koordiniert und strategisch geplant, um die Regierung zu stürzen und internationale Kräfte von einem Eingreifen abzuhalten. In diesem Sinne waren sie äußerst erfolgreich. Henry saß in Puerto Rico fest. Auf der Dringlichkeitssitzung der CARICOM, an der die USA, Kanada, Frankreich, Brasilien und Mexiko teilnahmen, wurde der Rücktritt Henrys, die Einsetzung eines Übergangsrates und die Ernennung eines Interimspremierministers gefordert. Es wurde erwartet, dass der Übergangsrat innerhalb von zwei Tagen nach seiner Ankündigung eingesetzt werden würde. Und tatsächlich haben sechs der sieben Ratsmitglieder ihre Kandidaten vorgestellt (die alle in der Vergangenheit politische Ämter bekleidet haben). Henry ist jedoch nicht von seinem Amt zurückgetreten.
Allgemeine Stärkung von Bürgerwehren
Die Krise hat sich über Jahre hinweg entwickelt. Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti endete 2017, und die letzte Wahlrunde fand 2016 statt. Eine Reihe nicht eingehaltener Versprechen verschiedener Regierungschefs führte zu massiven Protesten gegen die Regierung, zu einigen Mordanschlägen und zur allgemeinen Stärkung von Bürgerwehren. Die daraus resultierende Migration von Menschen, die aus dem Land fliehen, und die zunehmende Koordination zwischen haitianischen Banden machen es für regionale Mächte schwierig, die Situation zu ignorieren.
Die Vereinigten Staaten und Brasilien sind äußerst beliebte Ziele für haitianische Flüchtlinge. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge befinden sich etwa 161.000 Haitianer in Brasilien, von denen die meisten über die Nachbarländer in die brasilianische Amazonasregion einreisen. In den USA leben etwa 731.000 Haitianer, eine Zahl, die sich auf 1,2 Millionen erhöht, wenn man auch die Nachkommen einbezieht. Haitianer, die versuchen, in die USA zu gelangen, tun dies über Kolumbien, Mittelamerika und Mexiko. Im Jahr 2023 waren Haitianer die drittgrößte Nationalität, die über den „Darien Gap“ von Kolumbien nach Panama einwanderte. (Venezuela lag an erster und Ecuador an zweiter Stelle.) Von den 520.085 Grenzübertritten im vergangenen Jahr entfielen 46.422 auf Haitianer. Nach Angaben des Migration Policy Institute trafen die US-Behörden im Steuerjahr 2023 mehr als 76.100 Mal auf haitianische Migranten an der Grenze zwischen den USA und Mexiko.
Macht und Raffinesse
Die andere Bedrohung für die regionale Stabilität ist die wachsende Macht und Raffinesse der kriminellen Gruppen in Haiti. Vor den Ereignissen in diesem Monat kontrollierten die Banden nach jüngsten Schätzungen des International Rescue Committee 80 Prozent von Port-au-Prince. In den zurückliegenden zwei Wochen ist diese Zahl mit Sicherheit noch gestiegen. Es gibt zwar Dutzende von haitianischen Banden, doch die größten und mächtigsten haben traditionell eine politische Zugehörigkeit. G9 und G-Pep zum Beispiel sind mit der regierenden haitianischen Tet-Kale-Partei bzw. verschiedenen Oppositionsparteien verbunden. Viele dieser kriminellen Gruppen haben sich jedoch der kürzlich angekündigten Allianz „Living Together“ angeschlossen, deren Koordination es ihnen ermöglicht hat, groß angelegte, gut koordinierte Angriffe gegen die Regierung und kritische Infrastrukturen durchzuführen.
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Ebenso besorgniserregend ist die Tatsache, dass das öffentliche Gesicht der G9, Jimmy „Barbecue“ Cherizier, der früher als Polizeibeamter tätig war, beschuldigt wird, Massaker angeführt zu haben, und offen von der Notwendigkeit spricht, die derzeitige Regierung zu stürzen, um in einem ersten Schritt sicherzustellen, dass das Land einen starken Staat, ein starkes Sicherheitssystem und ein starkes Justizsystem zur Bekämpfung der Korruption hat.
Mehrere lateinamerikanische Staaten – vor allem diejenigen mit einer schwachen Wirtschaft und starken kriminellen Gruppen – befürchten, dass sie das Schicksal Haitis teilen könnten. Mexiko befindet sich bereits in einem eigenen Kampf. Selbst traditionell weniger gefährdete Länder wie Costa Rica haben ihre Besorgnis über die zunehmende Präsenz des organisierten Verbrechens zum Ausdruck gebracht und begonnen, Maßnahmen zu ergreifen, um dagegen vorzugehen.
Reichweite der organisierten Kriminalität
Natürlich sind die meisten Länder der Region weit von Haiti entfernt, aber die größere operative Reichweite einiger dieser Gruppen macht die Angst umso größer. Der venezolanische Tren de Aragua verübte gezielte Anschläge in Chile, und die Verantwortlichen für die Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moise im Juli 2021 waren hauptsächlich Ausländer, von denen viele Verbindungen zu regionalen kriminellen Gruppen hatten. Die Sorge, dass sich die Ereignisse in Haiti in anderen Ländern wiederholen könnte, ist angesichts der Reichweite der organisierten Kriminalität und der Haftbedingungen in der Region mehr als berechtigt.
Die mexikanischen Kartelle – namentlich das Sinaloa-Kartell und das Jalisco-Kartell der Neuen Generation – beherrschen den größten Teil des Kokainhandels in Lateinamerika. Berichten zufolge hat das brasilianische Primeiro Comando da Capital seinen Aktionsradius bis nach Chile ausgedehnt, und der venezolanische Tren de Aragua hat inzwischen Einfluss in den Andenstaaten Kolumbien, Peru und Chile. In einigen Fällen geraten die Gruppen des organisierten Verbrechens aneinander. In anderen Fällen arbeiten die Gruppen zusammen, insbesondere in fremden Gebieten. Überfüllte Gefängnisse, die als Brutstätten für die Rekrutierung und Verwaltung von Straftätern bekannt sind, sind ein Problem der gesamten Region. In den meisten Ländern ist die Kapazität der Gefängnisse weit überschritten (Brasilien mit 174 Prozent und Ecuador mit 112 Prozent), und die wenigen Länder, die keine Vollauslastung vermelden, liegen nur knapp unter dieser Grenze.
Die grenzüberschreitende Natur des organisierten Verbrechens macht es für eine einzelne lateinamerikanische Regierung schwierig, erfolgreiche Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Kriminelle Gruppen neigen dazu, ihre Stützpunkte in Landesteilen zu konzentrieren, die für ihre Machtvakuen bekannt sind, was es leichter macht, den Staat zu verdrängen und die dominierende Macht zu werden. Außerdem sind die Regierungen und ihre Sicherheitskräfte gezwungen, innerhalb ihrer Grenzen zu handeln, sofern sie keine Sondergenehmigung für ein Handeln außerhalb dieser Grenzen erhalten.
Dies schränkt ihre Möglichkeiten ein, unabhängig gegen die Gruppen vorzugehen, von denen viele über Ressourcen und Präsenz an anderen Orten verfügen. Eine regionale Sicherheitszusammenarbeit ist zwar theoretisch möglich, wird aber in der Praxis durch die konkurrierenden Interessen und Anliegen der verschiedenen Regierungen erschwert. Nimmt ein Land externe Hilfe in Anspruch, um diese Gruppen zu bekämpfen, besteht für die Regierung des Gastlandes die Gefahr, dass das externe Land ihre Macht untergräbt.
Eine isolierte Angelegenheit
Zum jetzigen Zeitpunkt besteht die größte Herausforderung im Umgang mit Haiti darin, eine Partei zu finden, die bereit ist, die Verantwortung für das Land zu übernehmen. Obwohl viele die Angst vor einer Ansteckung teilen, den Schmerz des Migrationsdrucks spüren und eine demokratische Regierungsführung wiederhergestellt sehen wollen, will niemand die Ressourcen aufwenden oder die Verantwortung für das, was als nächstes passiert, übernehmen. Am nächsten kam bisher der salvadorianische Präsident Nayib Bukele, der sagte, er könne die Erfahrungen aus seinem erfolgreichen Vorgehen gegen die Kriminalität weitergeben.
Die USA haben ihrerseits kaum mehr als Rhetorik und 300 Millionen Dollar an Unterstützung unter der Schirmherrschaft von UN-Sicherheitsmissionen angeboten. Sie zögern, zu viele Sicherheitskräfte oder Hilfe direkt zur Verfügung zu stellen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die USA Haiti fast 20 Jahre lang besetzt hielten. Die Vereinigten Staaten haben in der Vergangenheit bereits in Lateinamerika interveniert, können es sich aber im Moment nicht leisten, die Region zu verärgern – deshalb haben sie auch gerne zugestimmt, dass ausgerechnet Kenia Truppen für den Konflikt bereitstellt. Doch angesichts der chaotischen Verhältnisse im Land hat sich selbst Kenias Mission vorübergehend verzögert.
Washington hat also alle Hände voll zu tun mit Haiti, wird aber kaum Unterstützung anbieten. Das liegt zum Teil daran, dass es sich im Moment noch um eine isolierte Angelegenheit handelt. Das könnte sich jedoch ändern, wenn die Instabilität auf andere Teile der Region übergreift. Die Unsicherheit in der westlichen Hemisphäre ist nichts, was Washington auf die leichte Schulter nimmt.
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Das Elend Haitis ist doch nur ein Spiegelbild dessen, was sich nach dem Ende der Kolonisierung in vielen Ländern Schwarzafrikas abgespielt hat. Haiti ist seit 204 Jahren"befreit", aber es hat dort nie einen stabilen Staat gegeben, in dem die Masse der Bevölkerung nicht ständig um's Überleben kämpfen musste. Nach der Massakrierung und Vertreibung der französischen Großgrundbesitzer hat man die bestehenden Anlagen der Plantagenwirtschaft zerstört statt sie als Kooperativen oder Privateigentum zum Nutzen der Bevölkerung weiter zu betreiben. Das Land ließ man brach liegen oder verteilte es- nach dem Vorbild der Heimat der befreiten Sklaven- zur Nutzung in kleinteiliger Substistenzwirtschaft, bei der keine Überschüsse herauskamen, die zur Entwicklung zu einem modernen, westlichen Staatswesen erforderlich gewesen wären. Die Politiker waren bis auf wenige Ausnahmen unfähige Despoten , die das Land nur ausplünderten. Wer soll aus den Überresten dieses Horrors je einen "Staat" machen?
Ähnliche Entwicklungen gibt es in Mexiko schon seit Jahren, in direkter Nachbarschaft zu den USA. In den Niederlanden, deren jahrzehntelange Drogenpolitik auf ganzer Linie gescheitert ist, können Gerichtsprozesse gegen die Drogenmafia nur noch bei anonymisierter Richterbesetzung stattfinden. Und der deutsche Gesundheitsminister propagiert eine Verharmlosung der Drogenproblematik. Diese Verharmlosung ist der Kern des Problems. Die Konsumenten ermöglichen Geldwäsche und Steuerhinterziehung, zur großen Freude der weltweit vernetzten Drogenmafia.
Allerding gibt es Staaten, die von der Korruption zerfressen werden. Egal welche Regierungsform sie haben.
ein Problem, nicht erst seit der Zeit von "Papa Doc", ein Verbrechertyp, der mit dem Colt in der Hand herrschte. Haiti ist eine Ausnahme in der Karibik, kulturel wie innenpolitisch. Das jetzt kriminelle Banden nach der Macht greifen und dabei entsetzliche Grausamkeiten begehen, ist nicht erstaunlich.
Die Gefahr der fragilen Lage der Insel besteht jetzt im möglichen Einwirken von Mächten ausserhalb des amerikanischen Kontinents, die eine Interesse an Einflussnahme in der Karibikregion haben.
unser Land weiterhin so zugrunde richten wie bisher, dann ist zu vermuten, dass wir in 10 Jahren in Deutschland ganz ähnliche Zustände haben wie in Haiti oder eben ein muslimisches Khalifat. Die hiesigen Khmer sind infantilisiert und verblödet, sie werden weiß und alt. Es wird ein Leichtes sein, sie zu massakrieren bzw. zu unterwerfen, wie damals die schwarzen Sklaven Haitis die französ. Großgrundbesitzer massakriert und außer Landes gejagt haben. Die Frage ist, was entsteht danach? Setzen sich Graue Wölfe, IS und Hamas durch, dann kriegen wir die Scharia und ein Khalifat. Gewinnen die Cannabis-Clans, die Drogen-Mafia und chaotische muslim. Banden, dann blüht uns ein never ending Haiti. Gegen Letzteres ist wahrscheinlich ein Khalifat vorzuziehen, denn Gottesstaaten verkörpern eine relative, auf Unterdrückung und Gewalt gestützte Ordnung. Während in Haiti die reine Willkür herrscht. Demokratie und Rechtsstaat werden bis dahin lange vergessen sein. Dritte Option ist einzig der Atomkrieg.