Soleier
Inzwischen von der EU verboten: Soleier / Wikimedia Commons

Fast vergessenes Kneipenessen - Soleier – Delikatesse aus dem „Hungerturm“

Unser Genusskolumnist ist eigentlich kein Nostalgiker. Doch manchmal denkt er doch ein bisschen wehmütig an weitgehend verschwundene kulinarisch-kulturelle Genüsse. Deswegen hat er jetzt mal Soleier gemacht.

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Neulich verbreitete ein im gesetzten Alter befindlicher Bekannter aus dem Ruhrgebiet ein kleines Video, in dem ein ebenfalls älterer Herr die Vorzüge von Soleiern pries. Das sind solche Momente, bei denen es manchmal „Klick“ in meinem Kopf macht. Denn ich kenne sie noch – die früher unzähligen Berliner Eckkneipen, in denen auf dem Tresen eine „Hungerturm“ genannte Glasvitrine stand, in der neben Tellern mit Mettbrötchen und Schmalzstullen auch Gläser mit Rollmöpsen und Soleiern standen, sozusagen als deutsche Variante der spanischen Tapas. Für den kleinen Appetit beim Bier, und nach diesem salzig-essigsauren Snack bestellte man gerne auch noch eins und am besten noch einen Korn dazu.

Aus Osteuropa ins Ruhrgebiet und nach Berlin

Die EU sieht das inzwischen gar nicht mehr gerne, denn laut der Verordnung 852/2004 ist auch für die Lagerung von gekochten Eiern eine ununterbrochene Kühlkette vorgeschrieben. Sicherlich ein, wenn auch nicht der einzige Grund, dass diese Form der Kneipenimbisskultur weitgehend verschwunden ist. Und die entsprechenden Kneipen mit ihrem unnachahmlichen Bier- und Zigarettendunst gleich mit. Manchmal findet man sie noch, vor allem in auf „Alt-Berlin“ getrimmten Touristenfallen. Dort gibt es dann auf „Hungerturm“ gestylte, verglaste Kühlschränke.

Wie viele Produkte der Alltagsküche haben Soleier ihren Ursprung in der Notwendigkeit der Haltbarmachung. Da Hühner in der Winterzeit weniger Eier legen, wurde in den Vormonaten ein Teil in Sole eingelegt, um sie so bis zu den Wintermonaten haltbar zu machen. Für diesen Zweck reicht natürlich eine einfache Salzlake. Doch da fehlt die Würze, weswegen man den Konservierungsprozess mit einem kräftigen Sud durchführte. Eine besondere Rolle spielten Soleier auch in der 40-tägigen katholischen Fastenzeit vor Ostern, in der keine Eier verspeist werden sollten und man sie deshalb haltbar machte. Der Ursprung der würzigen Soleier liegt vermutlich in Osteuropa, aber so ganz einig sind sich die Ernährungsforscher da nicht. Jedenfalls fanden sie mit den großen Migrationsbewegungen aus Polen im 19. Jahrhundert ihren Weg nach Deutschland und wurden fester Bestandteil der Kneipenkultur, vor allem im Ruhrgebiet und in Berlin. Große Verbreitung hatten sie auch in der DDR.

Einfache Zubereitung, lange Haltbarkeit

Die Zubereitung ist recht simpel. Eier 10 Minuten hart kochen, abgießen und kalt abspülen. Dann die Eier rundherum anschlagen (nicht pellen!), damit die Schale rissig wird. Anschließend die Eier in ein großes, verschließbares Glas füllen.
Für den Sud kochen wir Wasser mit Weißweinessig, Salz, Zucker, Zwiebelschalen, Kümmel, Piment, Wacholder, Pfefferkörnern und Lorbeerblättern unter Rühren so lange auf, bis sich das Salz vollständig aufgelöst hat. Optional kann auch noch Estragon und Dill dazu. Etwas erkalten lassen und dann warm über die Eier in das Glas gießen. Sie müssen komplett bedeckt sein. Das wird dann gut verschlossen für mindestens drei Tage in den Kühlschrank gestellt. Aber so richtig schmecken sie eigentlich erst nach 10–14 Tagen. 

Im Prinzip sind Soleier einige Monate lagerfähig. Allerdings entfaltet sich in den Aufbewahrungsgläsern nach einigen Wochen ein leicht schwefliger Geruch, und die Eidotter verfärben sich bläulich. Das mag für kulinarisch sehr zartbesaitete Gemüter durchaus abschreckend wirken, ist aber kein Zeichen dafür, dass sie verdorben oder ungenießbar sind. Im Gegenteil: Der wahre Connaisseur schätzt den besonderen Geschmack gereifter Soleier.

Ein bisschen würzen und ein Bier dazu

Zum Essen ohne Sud aus dem Glas heben, pellen und längs durchschneiden. Aus den Eihälften die Eigelbe mit einem kleinen Löffel vorsichtig herausheben. In die Mulden dann – je nach Geschmack – etwas Senf, Worcestersauce, Tabasco, Würzöl oder Knoblauchessig füllen. Ketchup und Mayonnaise sind von der Geschmackspolizei allerdings VERBOTEN! Jetzt setzt man die Eigelbe mit der Wölbung nach oben (damit es nicht matscht) wie einen Deckel auf die gefüllte Mulde. Alternativ kann man das Eigelb auch zerdrücken, würzen und die Masse dann in die Mulden füllen. Wird von Puristen aber abgelehnt. Und auf alle Fälle werden die Hälften jetzt in einem Bissen verzehrt. Als Beilage gerne ein kräftiges Graubrot mit Butter und sauren Gurken. Dass man dazu ein anständiges Pils trinkt, versteht sich wohl von selbst.

Und wenn wir jetzt schon mal virtuell in der alten Eckkneipe sitzen: Wie macht man eigentlich ein anständiges Mettbrötchen? Gemach, gemach, das ist eine andere Geschichte ...

 

Zutaten (für eine gemütliche Skatrunde o.ä.)

12 Eier
1 l. Wasser
150 ml Weißweinessig
Zwiebelschale von einer großen braunen Zwiebel
60 g Salz
40 g  Zucker
1 Tl Kümmel
1 Tl schwarze Pfefferkörner
1 Tl Wacholder
3 Pimentkörner  
1–2 Lorbeerblätter
optional weitere Kräuter

 

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Achim Koester | Sa., 7. Mai 2022 - 09:31

zu denen das Solei gehört, finden sich in großer Zahl, wie z.B. auch die "Russischen Eier", die in den 50er/60er Jahren auf fast jeder Speisekarte zu finden waren. Spätestens heute würden sie aus ideologischen/moralischen Gründen geächtet, wie bereits das Z...schnitzel.

Heidemarie Heim | Sa., 7. Mai 2022 - 17:00

Ging gar nicht in meiner Kindheit werter Herr Balcerowiak! Als Schatten meines Vaters war ich auf unseren gemeinsamen Touren durch die von Stumpen und Reval ohne Filter, Bierdunst und Korn geschwängerten Räucherkammern in die es uns verschlug auch Expertin in Sachen Soleier, Salzstangen, Erdnüsschen usw. in deren Genuss ich nur dort kam;). Natürlich nicht zu Bier und Korn wie Papa, aber mit Apfelsaft und wenn wir Glück am Spielautomaten hatten sogar mit Coca Cola, was eigentlich verboten war, da ich auch so schon "verrückt" genug wäre wie Mama zu sagen pflegte. Und da wir meist nicht pünktlich von unserer Tour nach Hause kamen, über deren "Route" mich Papa zu Stillschweigen verpflichtete, galt es danach den regelmäßigen Verhören durch meine angesäuerte Mutter stand zu halten, die natürlich schon am Gestank unserer Klamotten den Braten roch. Aber mit einem mit scharfem Senf getunten Solei und Salzstangen im Magen überlistete ich jeden Lügendetektor;) Der Kindheit glückliche Tage!! MfG

Ernst-Günther Konrad | So., 8. Mai 2022 - 09:27

Soleier und Buletten standen in den 60er Jahren fast überall in den Kneipen auf dem Tresen. Ich erinnere mich daran, wie ich sonntags morgens meinen Vater zum Skat begleiten durfte und mit den Jahren das Spielen selbst erlernte. Immer dabei war auch ein oder zwei Soleier 10-20 Pfennig und eine Bulette für einen 50er. Herrlich.
Meine Frau mag das nicht, weil es so riecht.
@ Heidemarie Heim - hatten wir den gleichen Vater?:)
Ging mir alles genauso, nur mein Vater rauchte Eckstein ohne Filter, die in der giftgrünen Packung.
Alles liebe und Gute für Sie.

Heidemarie Heim | So., 8. Mai 2022 - 17:33

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

Wie wahr lieber Herr Konrad! Obwohl wir dem heutigen Sinn nach wie Herr Brodkorb schrieb in seinem Artikel über Kinderarmut in D so gesehen arm waren, möchte ich meine glückliche Kindheit und Jugend nicht missen. Gemeinsame, zweckmäßig eingerichtete Kinderzimmer, ein "Brummel" (Teddy), der dieses Jahr 60 wurde, 1 rotes Neckermann-Fahrrad von 7-18 Jahre ohne Gänge, Klamotten zum "auftragen" meiner 6 Jahre älteren Schwester incl. dem schwarzen Horror-Konfirmationskleid wo für den richtigen Sitz eine Oberweite von der Bardot nötig gewesen wäre, 1 Paar Rollschuhe mit Riemen vom Schuster, Gummitwist und außer in der Schule fand der Alltag in der freien Natur mit der "Gang" statt oder auf Tour mit Papa, der je nachdem bei welchen Zigaretten (für die Automatenziehung war ich immer zuständig;) 2 Groschen drin waren schon mal die Marke gewechselt bekam;) "Aber wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zu HB". Hausbau statt Urlaub aber mit 1 DM in der Tasche voll reich;) LG