Container in Qingdao
China kontrolliert die Ausfuhr strategischer Güter: Container in Qingdao / dpa

Neue Wirtschaftsordnung - Koordinierter Protektionismus könnte bald die Norm sein

Spätestens seit der Finanzkrise von 2008 bestimmen die USA nicht mehr allein die Regeln der Weltwirtschaft. Bürger und Staaten verlieren ihr Vertrauen in den Freihandel, wirtschaftlicher Nationalismus nimmt zu. In der Ära der Deglobalisierung müssen protektionistische Maßnahmen trotzdem international koordiniert werden.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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In mehreren Debatten, an denen ich seit Anfang des Jahres teilgenommen habe – und in mehreren Zuschriften, die ich von Lesern erhalten habe –, wird unweigerlich eine Frage gestellt: Wie nutzen Staaten in diesen beispiellosen Zeiten ihren wirtschaftlichen Einfluss, um ihre geopolitischen Ziele durchzusetzen? Anders ausgedrückt: Wie verändert sich die Geo-Ökonomie?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Ursprünge des derzeitigen globalen Wirtschaftsklimas betrachten. Die Corona-Pandemie mag einige bereits bestehende Trends deutlich gemacht und sogar noch verstärkt haben, doch die Probleme begannen mit der globalen Finanzkrise von 2008, die einige grundlegende Veränderungen einleitete. Vor allem stellte sie die von den USA dominierte Wirtschaftsordnung auf den Kopf, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Bretton Woods festgelegt worden war. Die Vereinigten Staaten sind natürlich immer noch das dominierende Land, aber die Welt ist deutlich multipolarer, als sie es einst war.

Bretton Woods ermöglichte es den USA unter anderem, den US-Dollar als Weltwährung zu etablieren, während der US-Marshallplan die notwendigen Investitionen für den Wiederaufbau der großen europäischen Staaten bereitstellte. Das erleichterte die auf Freihandel basierende Globalisierung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß, wobei die US-Marine die weltweiten Handelswege sicherte. Er wurde ein System geschaffen, in dem jeder an einen globalen Markt gebunden war, der theoretisch die traditionellen imperialen Systeme entmutigen und somit einen weiteren Weltkrieg verhindern würde. Die Globalisierung war teilweise für die Entstehung des Kalten Krieges verantwortlich und teilweise für dessen Beendigung.

Staaten können Finanzmärkte nicht mehr kontrollieren

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die USA die einzige verbliebene Supermacht der Welt und der Garant für eine globale Regierung, die den freien Handel unterstützte. Seitdem haben andere Länder ihre wirtschaftliche, militärische und politische Macht zurückgewonnen, während die USA einen Teil ihrer Macht verloren oder aufgegeben haben. Kurzum: Andere Nationen, Finanzinstitute und Unternehmen übernahmen eine größere Rolle bei der Steuerung der Weltwirtschaft. So haben sich die Finanzmärkte so schnell und unabhängig entwickelt, dass weder die USA noch ein anderer Staat sie so kontrollieren konnten wie noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Handel auf dem sogenannten Sekundärmarkt – auf dem Rechte an Vermögenswerten und Garantien für Transaktionen gekauft und verkauft wurden, als wären sie selbst Waren – wurde so fließend und so abstrakt, dass er jene Blase schuf, die 2008 platzte. Bürger auf der ganzen Welt verloren das Vertrauen in ihre Finanzinstitute und in die Regierungen, die vorgeben, sie zu schützen.

Viele dieser Bürger begannen, sich dem politischen und wirtschaftlichen Nationalismus zu verschreiben, aber vor allem suchten sie nach alternativen Systemen, die parallel zu den etablierten Systemen funktionieren. Das sind die Kryptowährungen. Die Lebensfähigkeit von Kryptowährungen ist immer noch eine offene Frage, aber die Tatsache, dass sie so gut angenommen wurden, zeigt, dass das Vertrauen in die traditionellen Institutionen verlorengegangen ist.

„Kerninflation“ als treibende Kraft der Geldpolitik

Heute, da die Lieferketten unterbrochen sind, Kryptowährungen an Zugkraft gewinnen und die Welt sich immer noch nicht vollständig von der Krise aus dem Jahr 2008 erholt hat, ringen die Verantwortlichen überall um einen geeigneten Politikmix. In Verbindung mit der Tatsache, dass Regierungen auf der ganzen Welt Wege finden, um ihre Volkswirtschaften widerstandsfähiger zu machen, verändert dies die Art und Weise, wie Regierungen wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten nutzen, um ihre Interessen zu verfolgen.

Das Problem, mit dem sowohl Regierungen als auch Zentralbanken derzeit konfrontiert sind, scheint ein Anpassungsproblem zu sein. Wenn wir nur die Inflation betrachten, sollten wir wissen, dass die Zentralbanken die sogenannte „Kerninflation“ als treibende Kraft der Geldpolitik betrachten. Die „Kerninflation“ schließt kurzfristige Faktoren aus, die die Preise beeinflussen können, das heißt, Energie- und Lebensmittelpreise werden nicht berücksichtigt. Der Gedanke dahinter ist, dass die Geldpolitik diese Faktoren nicht kontrollieren kann und dass Preisschwankungen schließlich korrigiert werden.

Dies veranlasst die politischen Entscheidungsträger, die Inflation als „vorübergehend“ zu betrachten, wenn die Verbraucher höhere Preise für Lebensmittel und Energie zahlen. Die Verbraucher ihrerseits sind nicht so optimistisch. Sie gehen also davon aus, dass die Inflation höher ausfallen wird, als die Ökonomen der Zentralbanken glauben, und sie nehmen am Markt teil und beeinflussen ihn dadurch – während Finanzinstitute und Unternehmen ihre eigenen Wetten abschließen, je nachdem, wie sie das Verhalten von Politikern und Verbrauchern auf dem Markt einschätzen. Das Problem ist, dass viele ihrer Handlungen voneinander abweichen, da sich die Kluft zwischen beiden im Laufe der Zeit vergrößert hat.

Die Pandemie hat zu Widerstand und Skepsis geführt

Dies ist ein komplexer, wenn auch offensichtlicher Punkt: Der politische Wille, bei der Lösung von Finanzproblemen zusammenzuarbeiten – wie nach der Finanzkrise 2008 geschehen –, wurde durch individuelle sozioökonomische Probleme in Frage gestellt, was einen Dominoeffekt auslöste, bei dem politischer und wirtschaftlicher Nationalismus zunahm, insbesondere in Europa.

Die Pandemie hat die Dinge noch komplizierter gemacht. Die zentralen Behörden werden von der Bevölkerung zu so ziemlich allem herausgefordert, von Impfkampagnen bis zu Abriegelungsmaßnahmen. Noch dazu hat die Pandemie zu Widerstand und Skepsis geführt. Deshalb sehen sich die Staaten gezwungen, ein Gefühl des Schutzes – oder in einigen Fällen des Protektionismus – zu vermitteln.

Womit wir beim aktuellen Problem wären. Seit den berauschenden Tagen der unerbittlichen Globalisierung in den 1990er-Jahren schienen ausländische Direktinvestitionen der bevorzugte Weg für Länder zu sein, ihre geopolitischen Interessen wirtschaftlich durchzusetzen. Je mehr ein Land in der Lage war, die Investitionsströme und -ziele zu kontrollieren, desto einfacher war es, auf dieser Grundlage politische Beziehungen zu verschiedenen Ländern und Regionen aufzubauen. China zum Beispiel hat diese Strategie mit großem Erfolg in Afrika und Europa eingesetzt.

China schützt seinen Binnenmarkt besser als andere

Da die Globalisierung jedoch abnimmt und wir in eine Ära der Deglobalisierung eintreten, müssen die Länder lernen, zunächst ihre heimischen Märkte besser zu verstehen und dann, ausgehend von ihren spezifischen internen Bedürfnissen, ihre Interessen international zu verfolgen. In der Tat hat China dies verstanden und seinen Binnenmarkt besser als die meisten anderen Länder kontrollieren können. (In zentralisierten Volkswirtschaften und Nicht-Demokratien ist das viel einfacher.) Pekings Taktik in dieser Hinsicht ist bezeichnend. China hatte es nicht eilig, die Abriegelung strategischer Häfen wie Tianjin, wo die Maßnahmen letzte Woche endeten, und Ningbo, wo die Maßnahmen noch in Kraft sind, zu beenden, und signalisierte auch, dass es die Ausfuhr von Energie und wichtigen Bodenschätzen verbieten könnte.

Am 26. Januar hatten China und Südkorea vereinbart, sich gegenseitig zu benachrichtigen, wenn eine der beiden Seiten derartige Exporte verbieten würde. Dies geschah, nachdem China im November die Ausfuhr von Harnstoff gestoppt und damit die Lieferkette unterbrochen hatte. Peking hat dies getan, um seinen Inlandsmarkt zu sichern, insbesondere seine Halbleiterindustrie, die für die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Hebelwirkung auf internationaler Ebene entscheidend ist.

Eine weitere Möglichkeit, wirtschaftliche Kapazitäten für geopolitische Zwecke zu nutzen, besteht darin, den Fluss von Rohstoffen und Energie zumindest zu beeinflussen, wenn nicht sogar zu kontrollieren. Dies ist die bevorzugte Taktik Russlands. Moskau setzte diese Waffe aggressiv ein, aber nur, wenn es sich dies leisten konnte. Hohe Öl- und Gaspreise fallen in der Regel mit militärischen Interventionen im Ausland zusammen, wie etwa in Afghanistan 1979–1980 und in Georgien 2008. Es gibt Gerüchte, dass der Rückgang der Gaspreise das Einzige war, was die Ukraine vor einer vollständigen russischen Invasion bewahrte, nachdem Moskau 2014 die Krim erobert hatte.

Der hohe Energiepreis macht Russland vorerst sanktionssicher

Und da sich heute russische Streitkräfte an der ukrainischen Grenze versammeln, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass der hohe Energiepreis Russland vorerst wohl sanktionssicher macht. Auf abstrakterer Ebene müssen die Länder, die sich in der neuen globalen Wirtschaft bewegen und versuchen, ihre Bevölkerung bei Laune zu halten, während sie gleichzeitig ihre Interessen im Ausland verfolgen, ein besseres Verständnis der Finanzmärkte und der Rolle haben, die sie auf diesen Märkten spielen. Die zentralen Behörden haben die schwierige Aufgabe, praktisch alle Marktaktivitäten zu überwachen, während sie nur sehr wenig davon regulieren können.

Eine stärkere systemische Rolle bedeutet in der Regel, dass ein Land Wege findet, um Kapital zu niedrigeren Kreditkosten zu beschaffen, und so die Kreditkosten anderer Länder stärker beeinflussen kann. Im derzeitigen Finanzsystem, in dem der Markt die Politik und ihre Auswirkungen überholt, wird eine solche Aufgabe noch schwieriger als sonst.

Es liegt auf der Hand, dass sich mit dem Wandel der Weltwirtschaft auch die Strategien der Regierungen zur Steuerung der Finanz- und Rohstoffmärkte ändern werden. Dies wird wahrscheinlich zu protektionistischen Maßnahmen führen, aber da die Lieferketten so integriert und digitalisiert sind, wird der Protektionismus wahrscheinlich zumindest regional, wenn nicht sogar global koordiniert werden. Bis dahin werden wir alle mit der Unsicherheit leben müssen.

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Tomas Poth | Fr., 11. Februar 2022 - 15:37

Zunächst mal, wir erleben nichts was die Welt nicht schon gesehen hat. Wenn das damit gemeint ist, na dann.
Das große Problem sind die Finanz-/Geldblasen denen keine realen Werte gegenüberstehen! Diese Blasen sind Spekulationen auf zukünftige reale Wertschöpfung durch Güterproduktion & Arbeitsleistung.
Das Implodieren dieser Blasen ist schon lange prognostiziert & vielleicht bald Realität?
Genaues kann keiner sagen, aber alle großen Player warten möglicherweise nur auf einen günstigen Moment, um den großen Knall zu einem für sie günstigen Zeitpunkt zu inszenieren, um mit möglichst geringem eigenen Schaden davon zu kommen.
Deutschland ist mehrfach gekniffen da es kaum über eigene Rohstoffvorkommen & Energieressourcen verfügt.
Nur mit Wind- und Solarenergie fallen wir sehr wahrscheinlich ins vorindustrielle Zeitalter zurück. Produziert wird nur wenn Energie verfügbar sind. Also zukünftig zeitlich stark wechselnde Beschäftigung, so wie Wind & Sonne liefern. Dazwischen Freizeit.

Ach so und dann noch, wenn wir keinen Zugriff auf Rohstoffe haben, brauchen wir auch keine Energie mehr für die Betriebe.
Für den Antrieb des Kirmes-Karussells reichen die vorhandenen Windräder und Solaranlagen aber allemal. Und da macht es auch nichts wenn man dann auf Sonne oder Wind warten muß, soviel Geduld muß für das Karussellvergnügen schon vorhanden sein.

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