- Wie gefährlich ist der Fall Evergrande für die Weltwirtschaft?
Die Schieflage des chinesischen Immobilien-Giganten Evergrande alarmiert auch Analysten aus dem Westen. Vor allem aber wird der Fall als ein Indiz für den ökonomischen Sinkflug der Volksrepublik gesehen. Doch man sollte sich nicht täuschen: Die Regierung geht solche Herausforderungen mit einer Entschlossenheit an, von der wir vielleicht etwas lernen können.
Die Evergrande Group, gemessen am Jahresumsatz das zweitgrößte Immobilienunternehmen in China (2020: 66,9 Milliarden Euro), befindet sich seit einigen Monaten in einer wirtschaftlichen Krisensituation, die von vielen Analysten im Westen als Systemkrise des chinesischen Wirtschafts- und Finanzsystems insgesamt interpretiert wird. Zunächst gilt es jedoch nüchtern festzuhalten: Evergrande ist trotz eines Schuldenvolumens von mittlerweile über 260 Milliarden US-Dollar noch nicht zusammengebrochen. Ob den Immobiliengiganten dieses Schicksal ereilt und damit mehrere 100.000 Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren, die direkt und indirekt von Evergrande abhängen, ist noch ungewiss.
Die Leidtragenden stehen aber jetzt schon fest: Neben den Angestellten trifft es vor allem die über eine Million Kunden aus der aufstrebenden chinesischen Mittelschicht, die für den Kauf beziehungsweise Ankauf von Wohnungen, die teilweise noch nicht einmal im Fundament errichtet worden sind, ihre gesamten Ersparnisse aufgewendet haben. Ähnlich wie manche Akteure der US-amerikanischen Finanzkrise in den 2000er-Jahren hat Evergrande im großen Stil Schuldverschreibungen auch an Kleinanleger ausgegeben, die sehr wahrscheinlich nicht oder nicht vollständig bedient werden können.
Dem chinesischen Immobilienmarkt steht eine große Belastung bevor. Die Frage nach der Zahlungsfähigkeit des Firmengiganten ist nach wie vor offen, und die Auf- und Abwärtsbewegungen der vergangenen Monate haben die Gläubiger in Stellung gebracht. Die Evergrande-Aktie stürzte zeitweilig auf den niedrigsten Stand seit elf Jahren, was auch die internationalen Finanzmärkte beeinflusste.
Voreiliger Abgesang
Neben der Frage nach der Zukunft des Konzerns, über die sich derzeit trefflich spekulieren lässt, erscheint vor allem die Frage nach der wirtschaftspolitischen Einordnung dieser Vorgänge aus deutscher Sicht interessant. Viele Beiträge zum Thema hatten gemein, dass sie die aktuelle Lage von Evergrande zum Anlass nahmen, einen Abgesang auf das chinesische Wirtschaftswunder anzustimmen und das Ende des chinesischen Wirtschaftsmodells herbeizuschreiben. Man vernimmt diese Stimmen in Deutschland immer wieder, sobald einzelne Teilbereiche innerhalb der chinesischen Wirtschaft in Schieflage geraten.
Bei nüchterner Betrachtung muss das Mantra vom sich angeblich im Sinkflug befindenden chinesischen Drachen jedoch zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden. Das chinesische Wirtschafts- und Finanzsystem ist bisher aus allen Krisen des 21. Jahrhunderts stets gestärkt hervorgegangen, was sich auch aus dem chinesischen Umgang mit diesen erklärt. Es bleibt abzuwarten, ob der chinesische Staat – wie westliche Regierungen bei den „systemrelevanten Banken“ während der Finanzkrise von 2008 – mit Blick auf die reine Größe Evergrandes das Unternehmen stützen wird.
Man kann begründet annehmen, dass dies nicht geschehen wird. Viele Analysten in China bestreiten eine besondere Systemrelevanz von Evergrande. Zweifellos würde ein Zusammenbruch von Evergrande eine ernste Krise für die Immobilienbranche im Land nach sich ziehen, aber ob von ihr eine Gefahr grundsätzlicher systemischer Natur für Chinas Wirtschaftsmodell ausgeht, ist eher unwahrscheinlich. Es gibt andere zentrale Akteure in der chinesischen Immobilienwirtschaft, deren Geschäft weitaus solider aufgebaut ist, sowie strukturelle Mechanismen des intervenierenden Staates, mit denen ein Ausufern der Krise eingehegt werden könnte.
Leerstehende Wohnungen für mehr als 90 Millionen Menschen
Das Mantra vom möglichen Zusammenbruch des chinesischen Wirtschafts- und Finanzsystems durch Evergrande verstellt bei uns den Blick auf grundsätzlichere Fragen, mit denen wir uns eigentlich beschäftigen sollten. Die Probleme von Evergrande sind hausgemacht, aber nicht genuin chinesischer Natur. Vermutlich wird Chinas Staatsführung eine Zerschlagung und Neuaufstellung unter staatlicher Leitung einer finanziellen Rettung des Unternehmens in seiner gegenwärtigen Form vorziehen. Ein solches Vorgehen würde der Agenda von Staatspräsident Xi Jinping entsprechen, der den staatlichen Sektor wieder zum dominierenden Wirtschaftsfaktor zu gestalten bestrebt ist und den Anteil der Privatwirtschaft weitgehend zurückdrängen möchte.
Nach Zahlen von Branchenexperten stehen derzeit in China leerstehende Wohnungen für mehr als 90 Millionen Menschen bereit – das entspricht mehr als der gesamten Bevölkerung Deutschlands. Die eklatanten Fehlentwicklungen in der chinesischen Immobilienwirtschaft sind Auswüchse der vergangenen Jahrzehnte wilden, ungezügelten und unbegrenzten Wachstums.
Damit steht China keineswegs allein da. Auch unsere Gesellschaften sehen sich mit vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert. Interessant ist aber, wie China diesen begegnen werden wird. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Partei- und Staatsführung der Volksrepublik die Zuspitzung um Evergrande zum Anlass nehmen wird, um den gesamten Immobilienmarkt in China neu zu regulieren – ähnlich wie es die chinesische Führung in vielen anderen Bereichen bereits getan hat, in denen das entgrenzte Wachstum der vergangenen Jahrzehnte gravierende wirtschaftliche und soziale Probleme geschaffen hat.
Die neuen ordnungspolitischen Maßnahmen der chinesischen Führung, insbesondere durch die Regulierung von Big Tech und die Zerschlagung von Monopolen chinesischer Internetgiganten zuletzt ins mediale Bewusstsein des Westens getreten, betreffen viele Aspekte der chinesischen Wirtschaft: von privaten Nachhilfeanbietern bis zu privaten Medienkonzernen in der Unterhaltungswirtschaft. All diese zum Teil sehr tiefgreifenden Eingriffe des chinesischen Staates folgen dem Ziel einer Korrektur gesamtgesellschaftlicher Fehlentwicklungen, die auch wir bei uns monieren. Es soll eine „bessere“ Gesellschaft herbeireguliert werden, in der auch der in den Wachstumsjahren geschaffene Wohlstand gerechter verteilt wird.
Zu Lasten vieler Einzelschicksale
Dies wird zugegebenermaßen brachial und zu Lasten vieler Einzelschicksale umgesetzt. Die drastischen Rahmensetzungen ohne nennenswerte Rücksicht auf Partikularinteressen von einzelnen privaten Interessengruppen, derer sich die chinesische Führung hierbei bedient, erscheinen uns im Westen befremdlich. Vieles wurde und wird über den vermeintlichen Wettbewerb zwischen den Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen der westlichen Gesellschaften und Chinas geschrieben. Die tatsächliche Herausforderung hierbei berührt jedoch eine ganz andere Dimension, nämlich die Frage nach den Kapazitäten des Staates zur effizienten Lösung zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen.
Immobilienkrisen, Digitalisierungsmonopole, soziale und kulturelle Fehlentwicklungen: Die westlichen Gesellschaften haben alle diese Probleme auch – nicht in den gleichen Größenordnungen und in der gleichen Zuspitzung wie in China, aber in derselben qualitativen Grundkonstellation. Und auch uns dämmert die Einsicht, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Daher lohnt es vielleicht, sich zunächst einmal zurückzunehmen und Chinas Erfahrungen zumindest sehr sorgfältig zu beobachten. Dort werden diese Herausforderungen gerade entschlossen angegangen in einem ordnungspolitischen „Experiment“, von dem wir vielleicht etwas lernen können.
Wie wird die chinesische Führung also mit dem Problem Evergrande umgehen? Wahrscheinlich nicht im Sinne einer „Rettung“ aus der Motivation „too big to fail“, sondern eher in Richtung nachhaltigerer, größerer staatlicher Kontrolle des Immobiliensektors und damit einhergehend mit einer führenden und gestaltenden statt nur verwaltenden Rolle des Staates.
Gesellschaftlicher Umbau
Dieser Prozess verläuft eingegliedert in einen großen gesellschaftlichen Umbau, der sich gegenwärtig in China vollzieht, in dem sich das Land den gefährlichen Entwicklungen seines ungebremsten Wachstums und des ausufernden technologischen Fortschritts der vergangenen Jahre stellt.
Wir sollten also genauer hinschauen und den Blick auf uns selbst richten, anstatt wieder nur mit dem Finger auf China zu zeigen; und wir sollten analysieren, wie wir diese drängenden Fragen im eigenen Land selbst lösen können. Der goldene Weg liegt hierbei wahrscheinlich in der Mitte – der chinesische Weg kann nicht der unsere sein, aber wir brauchen ein schärferes ordnungspolitisches Instrumentarium als das, welches wir momentan bei uns zur Lösung dieser Fragen zur Verfügung haben.
Vor diesem Hintergrund sind das Agieren der chinesischen Führung in Bezug auf den Fall Evergrande und die Neuordnung des nationalen Immobilienmarktes als die Suche nach einer zukunftsfähigen Antwort auf gesamtgesellschaftliche Fragen einzuordnen, die uns alle betreffen.
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Wir sind seit geraumer Zeit beim „gesellschaftlichen Umbau“, propagiert von den Medien. Der Staat reguliert immer mehr, auch die Gesellschaft.
Chinas Aufstieg hängt für mich auch mit den Freiheiten zusammen, die man fleißigen Bürgern zugestanden hat, der Chance zur Vermögensbildung. Das führt zweifellos in der Folge zu Ungleichheit und zu Unzufriedenheit bei den armen Menschen im Land. Bei uns firmierte das Ganze als freie Marktwirtschaft und war Garant für unseren wirtschaftlichen Erfolg.
Wenn Xi Jinping jetzt die Menschen, die ihr Erspartes in Evergrande investiert haben, im Regen stehen lässt und das Unternehmen „verstaatlicht“, schafft er den nächsten Faktor der Unzufriedenheit, diesmal beim „Mittelstand“, also den Menschen, die sich gerade im Aufstieg befinden. Die Reichen werden es verschmerzen.
Wie lange dieses (von unseren Medien als) Erfolgsmodell (propagierte) Staatsmodell hält, bis die gut ausgebildeten dieses Land verlassen, ist für mich die große Frage.
Ihnen erwähnte, in den Schatten stellt:
Das Staatsgebiet v. China. Nur 30% von chinesischer Landmasse sind Urbar (!). Und auf dieser 30% Landfläche, leben 90% der 1,4 Mld China Bevölkerung. Wie lange können 30% zur Lebensmittelproduktion vorhandener Landfläche, diese sich zur 2 Mld Marke bewegende Bevölkerungsmasse, noch ernähren?
Was würden die D-Selbsternannten Umerzieher dazu sagen? Uns vorführen, wie man Grüngrassuppe nach Ceaușescus Rezeptur essen soll?
Um die zukünftige Ernährung zu sichern, kauft oder pachtet langfristig der chinesische Staat ganze Landstriche in Afrika und baut Transportwege (Strasse, Schiene)zu den auch von den Chinesen neu errichteten Häfen. Insofern wird Vorsorge betrieben. Darüber hinaus versucht man, die fortschreitende Wüstenbildung durch riesige Aufforstungsprojekte zumindest zu verzögern, im Erfolgsfall zu verhindern. Schon jetzt wird Peking einen Großteil des Jahres von unterschiedlich starken Sandstürmen heimgesucht.
Ohne Häme oder Schaum vor dem Mund oder aus der Glaskugel gelesen. Toll! Ich sehe es wie der Autor, man muss es genau beobachten und einordnen, was in China passiert. Wie übrigens überall auf der Welt. Uns selbst könnten wir auch mal genauer unter die Lupe nehmen. Die makroökonomischen Daten finde ich langsam besorgniserregend - nur Politiker und Journalisten reden über andere Dinge. Als ob wir ein Abonnement auf wirtschaftlichen Erfolg hätten. Diese Phase geht zu Ende, was kommt dann? Man muss Wirtschaft und Gesellschaft immer zusammen denken, hier in Deutschland geschieht das immer auf eine sehr moralisierende und kameralistische Art und Weise, die m. E. keine Zukunft haben wird. Der Staat muss sich im Grunde völlig neu aufstellen.
260 Milliarden US$ klingt nach viel, ist viel.
Wie sieht es bei uns aus, Beispiele:
Verbindlichkeiten / Eigenkapital Bilanz 2020:
Daimler 223,5 Mrd. / 60,7 Mrd.
Dt. Telekom 209,8 Mrd. / 35,9 Mrd.
Bayer 92,2 Mrd. / 30,5 Mrd
Vonovia 38,6 Mrd. / 23,1 Mrd.
Quelle comdirect.de/Analysen/Bilanz
Finde ich eine gute Idee.
Es wird für uns, den sogn. Westen, int. sein zuzusehen, wie China so etwas bewerkstelligt.
Gerade der Berliner Senat kann sich da etwas abschauen.
Auf den kommt ja ein ähnliches Szenario zu.
Das neue Motto lautet nicht mehr: to big to fail, sondern jetzt:
so big! you have to fail!
Banken sollte sich das schon mal hinter ihre gerissenen Ohren schreiben. Sie werden die Nächsten sein.
Die Logik der "Zerschlagung" als Vorschub für Enteignung, obwohl ich gewiss nicht "links" orientiert bin, ist nur die andere Seite des gleichen Schlagstocks. Obwohl jeder es wissen sollte, dass die unkontrollierte Zuwanderung in Millionenhöhe, als Ursache Nr1 zu diesem Notzustand führte. Denn der "Staat" zahlte jeden Preis für schnelles Unterbringen dieser Millionenmassen.
Schon vergessen?
Übrigens: Null- und Minuszinsen; ist nur ein anderes Wort für vorsätzliche Enteignung der Sparer u. solider Privathaushalte. Dagegen wurde bis dato nichts-ultranixx unternommen. Und dies ist auch ein Verbrechen gegen die existenzielle Menschlichkeit.
Ich spreche die Politiker dafür schuldig.
Wer wird der erste sein, der zu schreien beginnt: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ Natürlich im klimageretteten Biotop.
Denn Zerschlagung sagt nichts, in welche Richtung dies gehen soll. Und gerade bei China bekomme ich als Ossi & christlicher Kommunistenverachter Schluckbeschwerden. Unsere ROT-GRÜNE Regierung (egal welche Zusammensetzung) ist durch die UnterStützung der ...... Medien, Justiz & Bildungstempel (wer glaubt das ein Verfassungsschutz die Verfassung schützt & ein Volksvertreter das Volk, der glaubt ....) in der Lage, kommunistische China-Tatsachen hier in der BRD zu installieren & manifestieren.
Das ich ein Gegner der MACHTKONZENTRATION aller Art bin, wissen die meisten von mir. Und Macht versüßt alles Neue, um den Untertan in die Falle zu locken wie die Karnivoren. Dann ist es zu spät! Warum wurden damals die Wohnungen nicht an die deutschen Mieter unter zumutbaren Bedienungen verkauft?
Denn Eigentum verpflichtet & bindet!
VORSÄTZLICH die Gestaltung wie 2015 oder GEÄNDERTES EU-Projekt/ Gebilde & Rahmen? Fragen über Fragen.
Um den ROTEN Weg zu öffnen, so rum oder so rum?