- So wurde im Süden gewählt
In unserer Serie „Deutschland, Deine Wahlkreise“ porträtieren wir noch einmal die spannendsten Wettrennen ums Direktmandat in den Bundestag. Im zweiten Teil geht es um den Süden der Republik.
217
Machiavellistische Machtdemonstration
München-Nord
Was Anfang März vorgefallen ist, nannte der SPD-Politiker Florian Post in Cicero kurz darauf eine „machiavellistische Machtdemonstration“. Der 40-Jährige war in der Vergangenheit wiederholt aufgefallen, weil er gegen die Parteispitze revoltierte. Trotzdem schien sicher, dass Post bei der SPD-Aufstellungsversammlung auf Platz eins für die Liste Oberbayern landen würde, von wo aus er erneut in den Bundestag einziehen wollte.
Doch Post hatte die Rechnung ohne Sebastian Roloff gemacht. Im Hintergrund und über die Köpfe der Münchner SPD-Spitze hinweg organisierte der Gewerkschafter aus dem Wahlkreis München-Süd eine Mehrheit, um gegen Post zu putschen. Der Dolchstoß gelang, und Post zog seine Kandidatur für die Liste stinksauer zurück. In den Bundestag indes hätte der SPDler nur erneut einziehen können, wenn er die meisten Erststimmen im Wahlkreis 217 bekommen hätte. Das aber misslang. Er landete hinter CSU und Grüne. bek
Erststimmen 2017 in Prozent:
CSU 32,2; SPD 26,0; Grüne 13,1; FDP 9,6; AfD 7,6; Linke 6,0
Erststimmen 2021 in Prozent:
CSU 25,7; Grüne 24,2; SPD 21,9; FDP 11,2
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Bernhard Loos (CSU)
244
Mächtige Queerpolitikerin
Nürnberg-Nord
Seit dem 7. Oktober 2013 sitzt Thomas Ganserer als Abgeordneter der Grünen im Bayerischen Landtag. Nur heißt Thomas seit gut zwei Jahren nicht mehr Thomas, sondern Tessa. Die Transfrau kandidierte als Direktkandidatin des Wahlkreises Nürnberg-Nord und auf Landeslistenplatz 13 der bayerischen Grünen. Sie hätte als erste Transperson in den deutschen Bundestag einziehen können.
Ganserer, die mit einer Frau verheiratet ist und zwei Kinder hat, wollte allerlei „queer-politische“ Baustellen beackern. Sie forderte unter anderem, dass „lesbische Co-Mütter“ ab der Geburt ihrer Kinder rechtlich anerkannt werden und dass im Grundgesetz zwischen sexueller und geschlechtlicher Identität differenziert wird. In der Queer-Community ist sie längst zur Ikone avanciert. Beim Direktmandat hat das nicht geklappt. Das fiel am Ende an die CSU. bek
Erststimmen 2017 in Prozent:
CSU 31,3; SPD 25,6; Grüne 12,7; Linke 10,0; AfD 9,2; FDP 7,2
Erststimmen 2021 in Prozent:
CSU 28,4; Grüne 22,6; SPD 21,9; FDP 7,5; AfD 5,9; Linke 5,4
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Sebastian Brehm (CSU)
255
Nüßleins Nachwehen
Neu-Ulm
In halbwegs normalen Zeiten wäre der Wettkampf um die Wählerstimmen in Neu-Ulm in etwa so spannend wie die vergangenen Saisons der Fußballbundesliga. Der CSU-Politiker Georg Nüßlein holte im Wahlkreis vor vier Jahren noch 44,6 Prozent der Erststimmen. Auf Platz zwei folgte mit weitem Abstand der Kandidat der SPD mit mageren 14,6 Prozent. Doch es sind keine normalen Zeiten, nicht mal halbwegs.
Die sogenannte „Maskenaffäre“ hat den 52-jährigen Nüßlein Amt und Würden gekostet. Aus der CSU ist er mittlerweile ausgetreten. Sein Nachfolger als Direktkandidat im Wahlkreis war politisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt: Alexander Engelhard ist Vater zweier Töchter und betreibt eine Bio-Getreidemühle. Mit seinem Sieg konnte er die Maskenaffäre etwas vergessen machen. bek
Erststimmen 2017 in Prozent:
CSU 44,6; SPD 14,6; AfD 13,6; Grüne 9,2; FDP 6,0; Linke 4,4
Erststimmen 2021 in Prozent:
CSU 37,2; SPD 16,0; AfD 12,0; Grüne 11; FDP 7,7 FW 7,5
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Alexander Engelhard (CSU)
258
Ministerposten im Blick
Stuttgart I
Für die Grünen ist der südliche Stuttgarter Wahlkreis ein wichtiger Fleck auf der Landkarte Baden-Württembergs. Denn er gehörte zu jenen, die bei der Bundestagswahl erstmals grün eingefärbt wurden. Bislang war es der Ökopartei trotz ihres Siegeszugs im Südwesten noch nie gelungen, ein Direktmandat zu erobern. Alle Erststimmenmandate hat in Baden-Württemberg stets die CDU gewonnen.
Doch bereits 2017 kam Cem Özdemir dem Christdemokraten Stefan Kaufmann gefährlich nahe. Nun trat der bundesweit bekannte Grünen-Politiker erneut gegen Kaufmann an und jagte ihm das Direktmandat ab. Für Özdemir war der Wahlerfolg in der schwäbischen Heimat wichtig, um seine Chancen auf einen Ministerposten zu erhöhen.
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 32,0; Grüne 29,7; SPD 12,8; FDP 8,4; AfD 6,7; Linke 6,5
Erststimmen 2021 in Prozent:
Grüne 40,0; CDU 23,4; SPD 12,8; FDP 10,5
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Cem Özdemir
284
Der ewige Schäuble
Offenburg
Im badischen Offenburg ist Kontinuität angesagt. Seit 1972 tritt Wolfgang Schäuble dort als Direktkandidat an. Und seitdem wird er dort mit deutlicher Mehrheit in den Bundestag gewählt. Dieses Jahr kandidierte der CDU-Grandseigneur zum 14. Mal und zieht mit 79 Jahren erneut in den Bundestag ein.
Er habe sich die Entscheidung, auch im Hinblick auf sein Alter, nicht leicht gemacht, erklärte Schäuble zu seiner erneuten Kandidatur. Er denke aber, dass er mit seinen Erfahrungen in diesen Zeiten vielfältigen Umbruchs einen stabilisierenden Beitrag leisten könne.
Der Wahlkreis Offenburg ist ländlich geprägt. Obst-, Weinbau und Forstwirtschaft spielen dort nach wie vor eine wichtige Rolle. Kein fruchtbarer Boden für Sozialdemokraten und Grüne. Die örtliche SPD war lange Jahre durch Elvira Drobinski-Weiß im Bundestag vertreten, doch 2017 verpasste sie den Wiedereinzug über die Landesliste. Nun trat Matthias Katsch als SPD-Direktkandidat gegen Schäuble an. Katsch war Schüler des Canisius-Kollegs in Berlin und wurde als Sprecher einer bundesweiten Initiative von Opfern sexuellen Missbrauchs bekannt. dg
Erststimmen 2017 in Prozent:
CDU 48,1; SPD 17,3; Grüne 12,6; AfD 10,4; FDP 6,2; Linke 5,4
Erststimmen 2021 in Prozent:
CDU 34,9; SPD 18,7; Grüne 14,0; FDP 10,8; AfD 8,9
–
Direkt gewählter Abgeordneter:
Wolfgang Schäuble
Dieser Text stammt aus dem Sonderheft zur Bundestagswahl des Cicero, das Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können. Er wurde nach der Bundestagswahl aktualisiert.
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Nun ja - zum etwa 387.mal:
Ich wohne in Nordbaden, bin jedoch Rheinländer;
e Kowelenzer Schängelsche.
Ist Nordbaden "SÜDEN"?
Hier im schönen Kaff war die Wahlbeteiligung 85%!
Sehr ausgewogen - ist das nicht bemerkenswert?
Dazu hatte ich bereits gepostet - keine Wiederholungen.
Eine Anmerkung zu Dr. Wolfgang Schäuble.
Mir ist nicht bekannt, warum er sich diese erneute Kandidatur auf erlegt.
Okay, er wird wohl die Antrittsrede des neuen Bundestages halten - und dann?
Die GeschäftsO wurde in 2017 geändert:
es spricht nicht mehr m/w/d Jahres-Älteste (das wäre Dr. Gauland gewesen!) sondern der "Amts-Älteste"; also Dr. Schäuble. Qua "etwaiger" Doppel-Rede zauberte man einen anderen Redner ans Podium.
Erinnert an den Event Dr. vdL, oder?
Sie war plötzlich aus dem NICHTS EU-Chefin!
BT-Präs wird er wohl nicht - Fraktions-Chef, gar Minister auch nicht.
Was treibt ihn an, was ist sein Impetus?
Ein Leben für die Politik - die Partei, D und Europa?
Kürzlich wurde er 79
Alles Gute!