Kurt Biedenkopf (CDU), ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen, Ende April dieses Jahres
Kurt Biedenkopf (CDU), ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen, Ende April dieses Jahres / dpa

Tod von Kurt Biedenkopf - Ein homo politicus

Der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ist tot. Er starb mit 91 Jahren in Dresden, Sachsen war sein Erfolg. Vor allem aber stand dieser weltgewandte und zukunftsorientierte Ökonom für eine Politikergeneration, die heute schmerzlich vermisst wird. Ein Nachruf von Ernst Elitz.

Ernst Elitz

Autoreninfo

Ernst Elitz ist Autor und Journalist. Bis 2009 war er erster Intendant des Deutschlandradios. Von 1969 bis 1974 war er Redakteur für Bildungspolitik beim „Spiegel“

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Eine Verabredung mit Kurt Biedenkopf unterschied sich für den Journalisten von den üblichen Politiker-tête-à-têtes. Bei Biedenkopf ging es eben nicht nur um die üblichen wohlformulierten Phrasen, um Parteien-Hickhack, um wer mit wem und wer gegen wen. Sondern Biedenkopf konnte im Gespräch zukunftsweisende Ideen entwickeln – und sie schließlich auch umsetzen.

Er war ein Gelehrter der Jurisprudenz und der Nationalökonomie, er hatte Erfahrungen in den USA gemacht und in der Geschäftsführung des Industrieunternehmens Henkel. Und er gab in den Siebzigerjahren Impulse für das Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetz. Er war kein Pöstchenhopper, den die Partei irgendwo unterbringen musste. Er war ein homo politicus und ein homo oeconomicus, den sein umfassendes Wissen und seine gesammelte Erfahrungen in der Welt der Wirtschaft und der Politik zu einem gefragten Mann machten.

Biedenkopf steht für eine Epoche in der deutschen Politik, die gemessen am heutigen politischen Alltag eindrucksvoll und vorbildlich war. Unvorstellbar wäre ein Kurt Biedenkopf in einer vertraulichen Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin, in der Teilnehmer munter per Smartphone den Journalisten am anderen Ende der Leitung den Gesprächsverlauf samt Sottisen über andere Sitzungsteilnehmer reportieren. In seinen Augen wäre das mit Recht eine charakterlose Bande, die aus Eitelkeit und Eigeninteresse dem Ansehen der Politik unendlichen Schaden in den Augen der Öffentlichkeit zufügt. So viel zum Unterschied im politischen Stil zwischen damals und heute.

Kohl servierte ihn ab

Biedenkopf lebte und wirkte in einer Epoche deutscher Politik, die auch nicht nur durch politischen Anstand, sondern auch von diversen parteiübergreifenden Parteispendenaffären gezeichnet war – an denen Kurt Biedenkopf nicht beteiligt war. Auch damals strahlte nicht der Heiligenschein allumfassender Fairness am Himmel über Bonn und Umgebung. Auch damals gereichte Angst vor der Konkurrenz dem Erfolgreichen nicht immer zum Vorteil. Biedenkopf hatte als Generalsekretär der CDU zu Zeiten des Parteivorsitzenden Helmut Kohl die Organisationsstruktur der CDU von Grund auf modernisiert. Auf dieser Basis konnte der ursprünglich altväterliche Honoratiorenverein für Jahrzehnte zur stabilen Kanzlerpartei werden. Aber Helmut Kohl spürte das Drängen seines Gefährten nach mehr Einfluss in und über die Partei und servierte ihn ab.

Zweifellos war Biedenkopfs überragende Intelligenz in Verbindung mit seinem Managementgeschick gepaart mit der Eitelkeit, vieles besser zu wissen und besser umsetzen zu können als andere. Gespräche mit ihm hatten stets auch den Anflug eines Hauptseminars; seine Haltung die eines wohlmeinenden Ordinarius gegenüber dem wissbegierigen Studenten. Doch Biedenkopf war kein Kathederweiser. Dass er ein mit allen Wassern gewaschener innovativer und handlungsorientierter Politiker war, konnte er nach der Wiedervereinigung als Ministerpräsident in Sachsen beweisen. Alles davor war für ihn Lehrzeit. Alle Connections, die er in Jahrzehnten in Wirtschaft, in Politik und mit den Gewerkschaften gesammelt hatte, konnte er für den Aufbau dieses ihm anvertrauten Landes einsetzen.

Verletzlichkeit des stolzen Mannes

Sachsen war sein Erfolg. Dass auch Erfolge brüchig sein können, beweist der peinliche Rechtsdrift des Freistaats. Bei dem autoritätsgewöhnten Bewohner des Landes aber wurde seine herrschaftliche Attitüde mit der Ehrbezeichnung „König Kurt“ geadelt. Doch zuweilen trat in persönlichen Gespräche auch die Verletztheit des stolzen Mannes zutage, wenn andere – noch dazu aus seiner Regierungsfraktion – sich öffentlich kritisch über ihn äußerten. Geschah das im Deutschlandfunk, hatte ich einen tief verletzten Beschwerdeführer am Autotelefon. Aber Intendanten müssen in solchen Fällen auch Psychotherapeuten sein. Aber sie suchen keine Interviewpartner aus, die Regierungschefs genehm sind.

Das, was Kurt Biedenkopf angepackte, hat er in den meisten Fällen – sei es bei der Reform der Union, in der gewerkschaftlichen Mitbestimmung oder beim Aufbau seines Bundeslandes – zu einem eindrucksvollen und nachhaltigen Erfolg geführt. Er war in einer Zeit, in der kraftstrotzende political animals wie Kohl und Schröder die Bundesrepublik zum Nutzen ihrer Bürger regierten, einer in der Reihe derer, denen das Land viel zu verdanken hat.

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Klaus Funke | Fr., 13. August 2021 - 12:22

Was will man von Ernst Elitz anderes erwarten. Gut, seinen Haussender Deutschlandradio hat er linksgrün verkommen lassen. Wir haben König Kurt hier in Sachsen ein paar Jahre ertragen. Der gab sich den Anschein eines Querdenkers in der CDU, war aber immer alles andere als ein solcher, nämlich nur ein intellektuell sein wollender Möchtegernwissenschaftler auf einem Landesthron. Ich weine ihm keine Träne nach. Seine Gemahlin mit einem Wagenrad von Hut wie die europäischen Royals und mit Goldschuhen machte den Kunstguru. Sie hätschelten einen Uwe Tellkamp. Doch was ist nun draus geworden? Biedenkopf gab sich als Ostversteher und Sachsenfreund. Bei Lichte besehen hat er seinen Amigos, z.B. in Sachen Abwasseranlagen, Millionen verschafft. Er wollte nach der Wende nochmal zu einem VIP aufsteigen, nachdem er in seiner Partei schon abgeschrieben war. Das ist ihm partiell gelungen, die neuen "Kolonien" ermöglichten es ihm. Ein wirkliches Herz für den Osten hatte er nie. Häuschen am Chiemsee.

sonst wäre ich nicht dorthin gezogen.
Trotz damals immer noch großer Vorbehalte gegenüber dem Westen - auf dem Gegenkonto standen aber wohl Millionen, die erst einmal hinübergewechselt sind - und einer diffusen nationalen Gestimmtheit, bei der mir nicht immer wohl war, habe ich mich mit IHM ETC. in Sachsen so sicher gefühlt wie ein Schäflein bei seinen Hirten.
Biedenkopf hatte eine unglaubliche Ausstrahlung als "Landesfürst" und auch solide Beziehungen in die Gewerkschaften hinein.
Irgendwann wohnten er und seine Frau dann in Radebeul.
Vielleicht habe ich mit Kurt Biedenkopf begonnen, CDU´ler auch anders zu sehen als Parteigegner.
Seine Intelligenz strahlte in NRW und vor allem unübersehbar neben einem Kohl.
Auch Dank ihm konnte ich guten Gewissens immer einer Koalition mit der CDU/CSU zustimmen.
Herr Funke, ich führe Ihr eventuelles Misstrauen gegenüber der freien und sozialen Marktwirtschaft, begleitet von intelligenter Staatspolitik, auf Ihre Erfahrungen in der DDR zurück.
RIP

Mir Misstrauen an der freien Marktwirtschaft zu unterstellen, ist schon dreist, liebe Frau Sehrt-Irrek. Apropos "sozial" ist sie längst nicht mehr. Heute bin ich Rentner, aber ich war in den 90 ´igern angestellter Geschäftsführer und ab 2000 selbstständig. Außerdem bin ich freier Autor. Ich will Ihnen nichts unterstellen, aber von der Wirtschaftsführung (auch DDR, aber das kann man nicht vergleichen) verstehe ich schon Einiges. Und bitte verwechseln Sie nicht Misstrauen mit berechtigter Kritik. Denn kritisch bin ich und das muss man auch sein, wenn man ein wacher Zeitgenosse ist. Und gerade, weil ich DDR-Wirtschaft und freie Marktwirtschaft kenne und selber aktiv erlebt habe, weiß ich, wovon ich rede. Und von intelligenter Staatspolitik kann man derzeit ja wohl kaum noch reden. Diese Regierung schadet der Wirtschaft massiv. Einzelheiten erspare ich mir. Ich habe Biedenkopf und seine Ministerien life und persönlich erlebt. Unfähigkeit und Professionelles nebeneinander. Abendfüllend.

ich werde doch mit Ihnen nichts anderes suchen als Debatte, ich hoffe, soweit kennen Sie mich mittlerweile.
Gestört habe ich mich an dem Wort "Amigos" und ja, es hat mich erinnert an eine "Haltung" gegenüber der Marktwirtschaft, nicht an deren Kenntnis, die ich meinte, im Osten gar nicht zu spüren.
Hergeleitet habe ich mir das aus dem "Gutmenschentum" der "Sozialisten" und der ideologischen Kapitalismuskritik in der DDR.
Des Weiteren aus dem enormen Tribut, den man im Osten der Marktwirtschaft "meinte" zu zollen.
Ich will die Umbrüche für den Osten nicht kleinreden und vor allem nicht Ihre Fähigkeiten, die Sie in dieser Situation entwickelten, Herr Funke.
Und Sie sind sicher, dass Sie Biedenkopf gegenüber gewissermassen unvoreingenommen waren?
Ich halte ihn für ein kleines Genie.
Das Wort "Misstrauen" ziehe ich zurück, bei meiner Wertschätzung für Biedenkopf bleibe ich, aber auch der, die ich mittlerweile für Sie hege, obgleich Sie mir parteipolitisch
quer liegen.
RESPEKT
Geht es so?

Ich will nur noch Ihr Wort "parteipolitisch" korrigieren. Ich unterstütze keinerlei Parteipolitik so wie ich auch keiner Partei angehöre, noch irgendwie mit einer von denen sympathisiere. Ich verstehe mich als kritischen Bürger, der aus der Überbetonung aller "Parteienherrschaft" aus der DDR-Zeit gelernt hat. Nie wieder irgendeiner Partei zujubeln und/oder angehören. Alle Parteien sind heuchlerisch, unehrlich und stehen niemals zu ihren Worten. Es gibt keine Partei in diesem Land, der ich vertrauen würde... - das ist Lebenserfahrung, liebe Frau Sehrt-Irrek, heißt: "im Leben erfahren". Ich glaube, Sie sind eine kluge, liebenswerte und erfahrene Frau, aber ein Rest Romantik ist Ihnen noch verblieben, weshalb Sie "Ihrer" alten Partei die Treue halten. Mein Großvater, Jahrgang 1887, war ein aufrechter, glühender und, wie man so sagt, guter alter Sozialdemokrat. Auch, als er im Zuge der "Zwangsvereinigung" in die SED eintrat, ist er im Herzen immer Sozialdemokrat geblieben...

Biedenkopf sprach auch nie von Mittelstandsunternehmen.
Dafür sehr viel von "Privat Equity"
Das "englisch Geplappere" war damals noch nicht sooooo eingeführt. Eine Fremdsprache sprechen wurde, wird teils immer noch, mit Intellekt gleichgesetzt und/oder verwechselt.
Wirkt offensichtlich beim DLF immer noch
Selbstdarsteller der schlichten Form.
Ein Prof Titel ist ja bis heute hauptsächlich ???.... Genau
Tatsächlich in der Hauptsache ein universitärer Verwaltungsakt. Der zudem>meist< auf Beziehungsbeinen steht. Wurde mir von persönlich bekannten Profs vermittelt. Professoraler Vortrag - sein Markenzeichen.
Wertschöpfender Inhalt ? Na ja...
Deutsche sind da leicht zu beeindrucken.
Vor allem in seiner Zeit.
Politik und Prof - Minister das Mindeste
Deutsche = Autoritätsgeschöpfe
War ich auch lange
Wunschbilder der romantischen Art

als einen solchen Kommentar? Der sich nicht mal die Mühe macht, angemessen zu kritisieren, sondern zumindest auf den ÖRR ordentlich eindrischt, der angeblich linksgrün "verkommen" ist.

Aber - wie schon gesagt - was will man anderes erwarten.

Biedenkopf war sehr wohl zweite Wahl, ähnlich wie Bernard Vogel. Im Westen war deren Glanzzeit längst vorbei, beide waren geschasst, in die zweite Reihe verbannt.

Für den Osten hat man sie schnell reaktiviert.

Und beide waren in ihrer neuen Heimat wohl durchaus beliebt und anerkannt - schaut man auf die Wahlergebnisse.

Klar haben beide Fehler gemacht: Man denke nur an das Aufkommen der Rechtsextremisten, das sowohl Biedenkopf als auch Vogel ständig verharmlosten. Doch nicht in deren Bundesländern!

Und die "Ossis"? Hatten sich ja bewusst für Kohl, und in fast allen Ländern für die CDU entschieden. Ach ja, und für die schnelle Einführung der DM. Dabei lese ich doch laufend, die Menschen im Osten wären besonders aufmerksam?

Na was denn nun?

Zumal die vielen, sehr unterschiedlichen Lebensläufe & Erfahrungen, Herr Lenz.?
Nein, wenn auch Kohl (übrigens auch ein Gerhard Schröder) Menschen waren, kantig - nicht Perfekt, aber mit Charakter.
Herr Lenz, die -die schnelle DM wollten, waren meist auch schnell im Westen für immer angelangt. Die, die Sehnsucht nach wahrer Demokratie hatten, sind auf die Straße gegangen.Und Kohl war einer -klare Ansage, klare Kante. Das hat nur vielen in Ost wie West nicht geschmeckt. Und man sollte nicht verkennen. Für viele war die Teilung D. ein lukratives Geschäft & automatisch eine bessere, höhere Stellung, bedingt schon durch die D-Mark. Hinzu die Unverschämtheit, die Blockparteien haben die Wende in der DDR eingeläutet. Jedenfalls war Biedenkopf auch bei unterschiedlicher polit. Einschätzung nicht besonders ...., auch in meinen Augen nicht. Eben 2.Wahl, es gab aber auch Schlimmeres. Und zu Rechts, Herr Lenz. Würde man alle V-Leute in der rechten Szene abziehen, da wären sie unter 3%. ???

"Seine Gemahlin mit einem Wagenrad von Hut wie die europäischen Royals und mit Goldschuhen machte den Kunstguru."

Ein damaliger Kumpel im Referendariat (Jochen R.) absolvierte eine ÖR-Station bei der sächsischen Staatskanzlei. Er hatte oft Kontakt mit MP Biedenkopf und dessen Gattin Ingrid. Deren Verhältnis war wohl ähnlich wie bei Präsident Bush sen. und seiner Barbara: beide Männer hatten zu Hause wenig, eher nichts zu bestimmen!

Es gab sehr amüsante Stories von Jochen qua des Hauses Biedenkopf!
"Nein Kurt, das machen wir anders! ... "

91 ist doch okay, oder?
Das werde ich nicht schaffen, ganz sicher nicht.
Ich werde früher zur Klimaneutralität beitragen!

Wie auch Lothar Späth, Rita Süßmuth, Dr. Heiner Geißler und Dr. Norbert Blüm hatte er letztlich keine Chance gegen den "Kohl-onianismus".
Letzte Ausfahrt Sachsen ...
... knockin´ on heavens door ...

... Ingrid lebt noch, 90 ...

Rob Schuberth | Fr., 13. August 2021 - 12:45

Vorab mein Beileid für seine Familie u. Freunde.

Wenn mich m. Erinnerungen nicht trüben, dann war Herr Biedenkopf lange Zeit Kohls enger Vertrauter, aber mit der Zeit wuchsen auch die Spannungen zw. diesen beiden Alphatieren.

Sein Absprung in den Osten war wohl sein Schritt um weiteren Eskalationen zuvor zu kommen.

Ja, er hatte ein Haus am Chiemsee, aber m. E. war er auch einer der letzten MP die so etwas wie einen Landesvater abgaben. Heute sehe ich nur noch Kretschmann in dieser Rolle.

Seine Bürger haben ihn nicht ohne Grund mehrfach u. in überwältigender Zahl wieder- u. wiedergewählt.

R I P werter Kurt Biedenkopf.

Karl-Heinz Weiß | Fr., 13. August 2021 - 18:10

Eine angemessene Würdigung, die auch die Schattenseiten nicht verschweigt. Ein Politiker ohne Eitelkeit-eine Vision, und damit sollte man (Helmut Schmidt) zum Arzt. Für den Industriestandort Sachsen hat er viel erreicht, wie Lothar Späth für Thüringen. Bei angeblichen Spenden über dem Gesetz stehen-bei Herrn Biedenkopf nicht vorstellbar. Auch deshalb sollte man mit harscher Kritik vorsichtig sein.

Kai Hügle | Fr., 13. August 2021 - 18:46

Man mag den Politiker Biedenkopf durchaus kritisch sehen, aber ich finde es ziemlich abstoßend und unanständig, was, am Tage seines Todes, an primitiven Gehässigkeiten über ihn ausgegossen werden darf - im Kommentarbereich eines "Magazins für politische Kultur"...

Wieder nichts zum Artikel, wieder nur an Mitforisten abarbeiten. Den Moralapostel hier spielen und selbst keine Meinung zur Sache äußern. Da wir beide in Hessen leben, nur so viel an Sie: „ Sie habbe nix druff.“ Uffbasse