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Salvador Illa i Roca hat die Sozialisten zur stärksten Partei im katalanischen Regionalparlament gemacht / dpa

Regionalwahlen in Katalonien - Der bittersüße Sieg der Sozialisten

Auch wenn die Sozialisten mit ihrem Spitzenkandidaten Salvador Illa i Roca die meisten Wählerstimmen geholt und die Separatisten Wähler verloren haben: Die Lage in Katalonien bleibt kompliziert. Denn das beharrliche Arbeiten an der Abspaltung von Spanien geht weiter.

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Autoreninfo

Gunter Steinkamp ist freier Autor und Übersetzer und war von 1978 bis 2015 Produktionsleiter im ARD-Studio Madrid.

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„Neue Seiten“ wollte der frühere spanische Gesundheitsminister Salvador Illa i Roca als Spitzenkandidat der Sozialisten bei den katalanischen Regionalwahlen aufschlagen. Und tatsächlich hat Illa, der stets leise sprechende, betont bescheiden auftretende studierte Philosoph es mit einem klaren „Si!“ zur spanischen Einheit und Verfassung geschafft, seine Sozialisten zur nach Wählerstimmen stärksten Partei im katalanischen Regionalparlament zu machen.

Er unterstützte deutlich – was bei den katalanischen Sozialisten nicht immer so war – den Kurs seines Parteifreundes, Ministerpräsident Sanchez in Madrid. Illa betonte kurz vor der Wahl: „Das Thema Unabhängigkeit spaltet. Die katalanische Gesellschaft wird dadurch zusammengehalten, dass sich alle Katalanen über die gleichen Probleme Sorgen machen, wie den Kampf gegen Covid und die Erholung der Wirtschaft.“

Ein bittersüßer Sieg

„El Diálogo“, der Dialog mit den Separatisten war sein Schlagwort und bediente offenbar die Sehnsucht vieler Wähler. Die Tageszeitung La Vanguardia aus Barcelona titelt nach der Wahl: „Der Illa-Faktor führt die sozialistische Partei Kataloniens zu einem bittersüßen Sieg“. Denn neue Seiten dürfte der relative Wahlerfolg der Sozialisten nicht aufschlagen. Die nach Unabhängigkeit von Spanien strebende Republikanische Linke (Esquerra Republicana / ERC) und die Vereinigten Katalanen JxCat sind auf Platz zwei und drei der Wählergunst jeweils fast genauso stark wie die Sozialisten. Außerdem hat die besonders radikale, kleinere katalanistische Partei CUP deutlich zugelegt.

Die drei nationalistischen Parteien haben damit ihre bisherige, gemeinsame Mehrheit noch etwas ausbauen können. Zwar trennen sie große ideologische Unterschiede. Das Spektrum reicht von wirtschaftsliberal bis kommunistisch. Außerdem herrscht ein gewisses Misstrauen, unter anderem nach Korruptionsskandalen. Doch nun verhandeln die drei schon seit der Nacht zu Montag über eine Neuauflage der bisherigen separatistischen Regionalregierung. 

Der Opfermythos der Nationalisten

Der Kampf der Separatisten geht weiter. Bislang geschah das weitgehend unter den Augen einer schweigenden Mehrheit, die nach Umfragen gegen die Abspaltung von Spanien ist. Doch die Anti-Nationalisten könnten lauter werden. Denn die aggressiven, rechtsradikalen Populisten von der Partei Vox erleben einen überraschenden Höhenflug. Sie sind die radikalsten Gegner einer staatlichen Abspaltung Kataloniens von Spanien, werden aber von einer Zusammenarbeit mit den Demokraten ausgeschlossen. 

Die Unterdrückung der Katalanen unter Franco endete in den 1970er Jahren. Aber sie verleiht bis heute den Separatisten einen Opfermythos. Politische Beobachter sprechen von einer Viktimisierung. Der spanische Sozialist Nicolás Redondo sagt: „Die Nationalisten beziehen sich auf Franco, um irgendeine Rechtfertigung vorzuweisen.“

Katalanistische Aktivisten und Terroristen

Dabei haben sich die Nationalisten über Jahre weltweit Sympathien mit der Mobilisierung friedlicher Demonstranten erworben. Allerdings haben sie vor allem seit 2017 im Kampf um die Macht auch ganz andere Mittel eingesetzt, als ihre Mehrheit im katalanischen Regionalparlament die verfassungswidrige Abspaltung von Spanien beschloss – und in der Folge nationalistische Politiker zu Haftstrafen verurteilt wurden. 

Ihre Aktivisten hatten immer wieder die Zentrale der spanischen Nationalpolizei im Zentrum Barcelonas angegriffen und im Herbst 2017 das katalanische Finanz- und Wirtschaftsministerium. Die Angreifer wollten verhindern, dass spanische Polizeibeamte dort Unterlagen sicherstellten, um das illegale Referendum von 2017 zur staatlichen Unabhängigkeit zu stoppen. Tausende Demonstranten schlossen die Beamten im Gebäude ein. Dienstfahrzeuge wurden zerstört und Unterlagen gestohlen. Darüber hinaus plante eine katalanistische Terrorzelle Sprengstoffanschläge auf Telefonmasten und Stromverteilanlagen. Am 1.10. 2018 kam es zu einer „spontanen“ Attacke auf das katalanische Parlament und 2019 wurden mutmaßliche Attentäter festgenommen, die bewaffnet das Parlament besetzen wollten. Die spanischen Strafverfolger unterstellen dabei eine Zusammenarbeit mit dem damaligen radikalen katalanischen Ministerpräsidenten Torra.

„Trumps Truppen“ beim Angriff auf das Capitol lassen grüßen. Doch wie Trump wiesen die verantwortlichen katalanischen Regionalpolitiker jede Verantwortung für gewalttätige Auseinandersetzungen von sich, obwohl auch sie die Unruhen mit wilden Reden anstachelten. Vielmehr setzen sie auf internationale Imagepflege als moderne, soziale, demokratische Gesellschaft – unter anderem mit einem aufwändigen und teuren System von 16 katalanischen Auslandsvertretungen von Europa bis nach Australien.

5,4 Millionen Schuss Munition

Nicht gerade der Imagepflege diente dagegen der Versuch des katalanischen Innenministeriums, während der Regierungszeit des Regionalpräsidenten Puigdemont in auffällig großer Zahl Präzisionswaffen für die Regionalpolizei „Mossos d´Esquadra“ anschaffen zu lassen: 850 Maschinengewehre und -pistolen, darunter regelrechte Kriegswaffen, sowie 5,4 Millionen Schuss Munition. Immerhin hatten die Katalanen dafür einen ordnungsgemäßen Antrag beim spanischen Innenministerium gestellt. Madrid stoppte den Ankauf der Waffen. Das Ministerium forderte eine Erklärung – doch aus Barcelona kam nur beredtes Schweigen. In Madrid wurde die Vermutung laut, dass die Nationalisten „ihre“ Polizei auf bewaffnete Auseinandersetzungen im Fall einer Loslösung von Madrid vorbereiten wollten.

Schon seit langem verfolgen die Separatisten eine Eskalationsstrategie. Entsprechende Papiere fand die Guardia Civil vor drei Jahren im Haus des damaligen katalanischen Regierungsmitglieds Josep Maria Jové. Von einer „erzwungenen Loslösung“ ist darin die Rede. Dialogangebote an Madrid sollten nur zum Schein erfolgen. Das entspricht der Linie des sogenannten „Programms 2000“ der damaligen Regionalregierung von 1990. Detailliert beschrieben wurde, wie die Nationalisten Gewährsleute an den Schaltstellen von Verwaltung, Bildungswesen, Medien, Sicherheitsorganen und der Wirtschaft installieren wollten. Einerseits solle der Bevölkerung immer wieder ein positives Nationalbewusstsein, andererseits ein Gefühl angeblicher Benachteiligung durch „Spanien“ eingehämmert werden. Der Verfassungsrechtler Prof. Alejandro Nieto Garcia analysiert: „Der katalanische Nationalismus entwickelt sich nicht selbstständig in der Bevölkerung. Er wird durch die Regierung (in Barcelona) organisiert und entwickelt.“ 

Die Königsmacherin

Der Autor und Journalist David Jiménez schreibt, nach den Erfahrungen des Franquismus habe der demokratische spanische Staat den Nationalisten immer mehr Kompetenzen und Geld gegeben in der Hoffnung auf Loyalität – Mittel, die sie dann aber systematisch zum nationalistischen Umbau Kataloniens verwendet hätten.

Währenddessen gab es über Jahrzehnte Gespräche zwischen den Regierungen in Madrid und Barcelona, in denen den Nationalisten immer neue Autonomierechte zugestanden werden, die weit über das Maß an Selbstbestimmung hinausgehen, die alle anderen autonomen Gemeinschaften Spaniens mit Ausnahme des Baskenlandes besitzen. Dabei kam den katalanischen Nationalisten die Zersplitterung der spanischen Parteienlandschaft zugute. Im spanischen Abgeordnetenhaus waren fast alle Regierungschefs der vergangenen Jahrzehnte von Aznar über Zapatero und Rajoy bis zu Sanchez auf Stimmen von ihnen angewiesen. Sanchez aktuelle Linksregierung hätte ohne die Unterstützung der katalanischen Esquerra Republicana im Dezember nicht seinen Haushalt durchs Parlament bekommen.

Andere Katalanisten attackierten die „Esquerra“ dafür als unzuverlässig. Doch bei den Wählern in Katalonien hat es dieser Partei offensichtlich nicht geschadet. Sie ist die aktuelle Königsmacherin in Kataloniens Koalitionsverhandlungen. Ihr bisheriger Ministerpräsident Pere Aragonés erhebt erneut den Anspruch auf den Posten des Regionalministerpräsidenten. Und die Nationalisten versprachen gleich eine erneute (verfassungswidrige) Volksabstimmung über die katalanische Unabhängigkeit. Seit 2017 hat sich da nichts geändert. „El proces“, den Prozess, wie die Nationalisten das jahrzehntelange beharrliche Arbeiten an der staatlichen Abspaltung nennen, geht weiter.

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Tomas Poth | Mo., 15. Februar 2021 - 16:38

Wieder nur ein schönes Beispiel für die Unmöglichkeit ein "Vereintes Europa zu schaffen".

Die katalanischen Separatisten, ebenso übrigens wie Basken oder die Schotten in GB, haben sich unterschiedslos für eine Mitgliedschaft in der EU ausgesprochen.

Es ist der Nationalstaat, den sie verlassen wollen.

Kein Wunder, wenn man die Geschichte der Regionen anschaut. Im Gegensatz zur Europäischen Union, die eine friedliche Gemeinschaft auf freiwilliger Basis darstellt, wurden Katalanen, Basken, Bretonen, Schotten und andere Völker gewaltsam in die jeweilige Nation gezwungen.

Es ist nicht der europäische Gedanke, der Menschen unterdrückt - es ist im Gegenteil Nationalismus, der im Innern zu Unterdrückung, im Äußeren fast zwangsläufig zu Konflikten führt.

Es sind die Separatisten die ihre eigenen Nationnaistaat wollen, also nackter Nationalismus.
Wie auch bei den anderen Beispielen die Sie in Ihrem Post erwähnen.
Lesen die den Artikel ruhig noch einmal, damit er sich Ihnen auch voll und ganz erschließt, Hr. Lenz.

Flamen, Wallonen, Korsen, Sardinier, Sizilianer, Helgoländer ...etc.

Sie alle wollen Autonomie.
Natürlich befürworten sie die EU: es gibt ja Fördermittel für Bedürftige, zurzeit ist der Begriff "Vulnerable" trendy.
(Ich gehöre zu Letzteren)

Die ewige Diskussion: Staatenbund - Bundesstaat

Die Visegradstaaten - und nicht nur diese - sind vehement gegen einen EU-Bundesstaat. Der Kunststaat CSSR/Tschechoslowakei hat sich wieder getrennt;
1918 - 1993.
Also nach einem bilateralen, örtlich begrenzten Dissens der Bevölkerung soll eine multilaterale EU die Lösung sein?
Gleiches gilt für eingangs genannten "Volksgruppen".
Man hat miteinander Probleme im eigenen Land - folglich ist die EU als Bundesstaat die Lösung!
Mit Verlaub, das ist starker Tobak, nicht wahr?

Meine Tochter lebte 7 Jahre in Edinburgh; tolle Stadt & "Europa-affin".
SCO wäre ohne UK, Fördermittel der EU nicht "lebensfähig".

"Utopia" von Thomas Morus

Herr Lenz: "Kamelle u Blömcher!" --- awer ke "Bützje!"
Helau u Alaaf!

Die Bretonen haben ihre "staatliche Unabhängigkeit" um 500 durch Chlodwig I. verloren. Schottland hat sich 1707 freiwillig mit England zusammengeschlossen (u.a. weil Schottland damals - nach Fehlinvestionen in Panama - bankrott war ). Und Katalonien gehört bereits seit 1714 zu Spanien (weil es sich im Spanischen Erbfolgekrieg auf die falsche Seite geschlagen hatte). Nationalstaaten gab vor dem 18.Jahrhundert gar nicht. Wenn man solche - heute nur noch historisch interessanten Fälle - immer noch als "erzwungenen Verlust der Eigenständigkeit" wertet, müssen sich auch die Sachsen von Deutschland, die Pfälzer von Baden-Württemberg und die freie Bauernrepublik Dithmarschen von Schleswig-Holstein lossagen dürfen.

Heinz Maier | Mo., 15. Februar 2021 - 17:44

wäre doch auch für Spanien denkbar, wie auch für
Europa. Ein geeintes Europa mit weitgehender Eigenständigkeit der Einzelstaaten. Das würde doch auch die kulturelle Vielfalt erhalten.

Helmut Bachmann | Di., 16. Februar 2021 - 08:01

Separatisten sind nicht zwingend Nationalisten. Es ist schäbig, hier über Worte zu manipulieren. Trotz aller Versuche, die Nationen zu diskreditieren, ist ein Streben nach Unabhängigkeit immer noch Recht jeden Volkes. Alles andere Totalitarismus. Wie war da noch die Haltung der Moralisten der EU während des Verfalls der UdSSR, Jugoslawiens, etc.? Heuchelei, nichts als Heuchelei.

Juliana Keppelen | Di., 16. Februar 2021 - 13:40

Antwort auf von Helmut Bachmann

"Heuchelei nichts als Heuchelei" aber aber sie sollten doch wissen es gibt eben gute Separatisten und schlechte Separatisten, gute Bomben und schlechte Bomben, gute Putsche und schlechte Putsche, gute Oligarchen (einer davon hat gestern die Tageschau interviewt) und schlimme Oligarchen, gute Oppositionelle und schlechte Oppositionelle usw., usw. Zum Trost kann je nach Lage (oder nach Maas und Ziel) der Dinge noch gestern der Böse heute ein ganz Guter sein und natürlich umgekehrt, da sind wir flexibel. ( Kann Spuren von Ironie enthalten).