steven-pinker-optimist-kapitalismus-demokratie-kliamwandel
Steven Pinker sagt, er zeichne keine optimistischen Bilder, sondern halte sich an Fakten / picture alliance

Steven Pinker - „Ich bin kein Optimist“

Kapitalismus, Demokratie und Klimawandel – den Experimentalpsychologen Steven Pinker beschäftigen diese Themen nicht erst seit seinem Werk „Aufklärung jetzt". Im Interview mit dem Historiker und Soziologen Rainer Zitelmann sprach er über die Anziehungskraft von negativen Nachrichten.

Autoreninfo

Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe. Er ist zudem als Unternehmer tätig und hat 21 Bücher geschrieben und herausgegeben. Darunter das Buch „Weltreise eines Kapitalisten“, in dem er auch über seine Reisen und Gespräche in Argentinien berichtet.

So erreichen Sie Rainer Zitelmann:

Steven Pinker ist Experimentalpsychologe und hat sich auf die Forschung in den Bereichen visuelle Kognition, Psycholinguistik und Sozialbeziehungen spezialisiert. Derzeit hat er die Johnstone-Family-Professur des Fachbereichs Psychologie in Harvard inne. Zuvor lehrte er in Stanford und am MIT. Pinker hat für seine Forschungsarbeit zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Er wird in der Liste der „World’s Top 100 Public Intellectuals“ des US-Magazins Foreign Policy sowie in der Liste der „100 Most Influential People in the World Today“ des Magazins Time geführt. 

Woran liegt es, dass die meisten Menschen die positiven Entwicklungen unterschätzen und die negativen Entwicklungen so dramatisch überschätzen?
Ein Grund dafür ist das Zusammenspiel zwischen der Natur der Kognition und der Natur des Journalismus. Menschen schätzen Risiko und Wahrscheinlichkeit anhand von Einzelberichten, Erzählungen und Bildern, die ihnen in den Sinn kommen, ein – jenem geistigen Vorgang, den Daniel Kahneman und Amos Tversky als Verfügbarkeitsheuristik bezeichnen. Im Fokus des Journalismus stehen plötzliche Ereignisse, insbesondere solche, die eher negativ als positiv sind, zum Beispiel eine Schießerei, ein Terroranschlag, eine Kampfhandlung oder eine Epidemie. Positives entfaltet sich nach und nach, in kleinen Schritten und kann die Welt verändern, ohne jemals Schlagzeilen zu machen. Dieser inhärenten Voreingenommenheit hat der Journalismus noch zwei bewusste Vorentscheidungen hinzugefügt: zum einem die programmatische Devise „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“. Damit wird Profit aus unserem Interesse an Unglücken geschlagen. Zum anderen ein moralistisches Bekenntnis von Journalisten zur Aufgabe, Schmutz, Skandale und Korruption aufzudecken, weil dies angeblich der einzige Weg zum sozialen Fortschritt sei.

Das reicht, um die verzerrte Wahrnehmung des Positiven zu erklären?
Es gibt noch einen weiteren Grund, den Wettbewerb unter sozialen Gruppen, insbesondere zwischen verschiedenen Eliten. Fortschritt anzuerkennen heißt, einige Institutionen des Status quo zu befürworten – demokratische Regierung, Wissenschaft, Experten, internationale Organisationen. Mitglieder anderer Eliten hingegen prangern den Zustand der Welt an, um ihre Rivalen zu attackieren. So ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, Rivalen zu diskreditieren: Diskreditierung des Staates oder der Regierungen durch die Geschäftswelt, von der Geschäftswelt durch die Wissenschaft, von säkularen Organisationen durch Vertreter von Religionen und so weiter.

In Ihrem Buch „Aufklärung jetzt“ schauen Sie oft 200 oder 250 Jahre zurück in die Geschichte. Offenbar begann damals eine sehr positive Entwicklung. Aber das sind auch genau die Jahre, in denen der Kapitalismus seinen Anfang nahm. Muss man nicht sagen, dass der Großteil der positiven Entwicklungen, die Sie beschreiben, ein Ergebnis des Kapitalismus ist?
Das wäre weit hergeholt. Sicherlich gebührt dem Kapitalismus Anerkennung für die spektakuläre Zunahme des Wohlstands, den die Welt seit dem 18. Jahrhundert erlebt, was in den vergangenen 40 Jahren auch den Osten und Süden der Welt einschließt. Wohlstand bringt in der Regel auch andere positive Lebensbedingungen mit sich. Demokratie, Frieden, Bildung, Frauenrechte, Sicherheit, Umweltschutz sind nur einige Beispiele. Auch der Handel trägt dazu bei, den Frieden zwischen den Nationen zu bewahren. Die eigenen Kunden oder Schuldner zu töten ist schlecht fürs Geschäft. Wenn es billiger ist, Sachen zu kaufen, als sie zu stehlen, kommen Länder nicht in Versuchung, blutige Eroberungsfeldzüge zu führen. Und so moralisch korrumpierend das Streben nach Reichtum auch sein kann, so ist es doch oft weniger blutig als das Streben nach Ruhm für eine Nation, ein Volk oder eine Religion.

Das spricht alles für den Kapitalismus.
Aber der Kapitalismus kann auch an der Seite vieler Übel existieren, wie wir in autoritären Ländern sehen. Und Fortschritt war ebenso abhängig von der Wissenschaft, insbesondere von den Fortschritten im Gesundheitswesen und in der Medizin, und von den Idealen der Menschenrechte und der Gleichberechtigung, die die Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen und Menschenrechtserklärungen beflügelten. Nicht zu vergessen sind auch die Bewegungen, die zu Gesetzen zum Schutz von Arbeiternehmern und Umwelt führten, oder die staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter wie Bildung und Infrastruktur, ferner die Sozialhilfeprogramme zum Schutz von Menschen, die keinen Beitrag für die Wirtschaft leisten können, und die internationalen Organisationen, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten förderten und vor Krieg abschreckten.

Sie kritisieren in „Aufklärung jetzt“ den Nullsummenglauben, wonach Reichtum eine begrenzte Ressource sei und die Reichen nur dadurch reich würden, dass sie den Armen etwas wegnehmen. Warum ist diese Theorie falsch und warum glauben trotzdem so viele Menschen daran?
Einer der Gründe ist theoretischer Natur: Wohlstand entsteht vor allem durch Ideen, Methoden, Rezepte, Algorithmen und andere Formen von Wissen, die zu geringen oder Nullkosten reproduzierbar sind: Wenn ich jemanden lehre zu fischen, habe ich selbst nicht vergessen, wie man fischt. Der andere Grund ist empirisch: Seit der Industriellen Revolution Anfang des 19. Jahrhunderts, mit der der Aufstieg des Wohlstands seinen Anfang nahm, ist die Rate der extremen Armut von 90 Prozent der Weltbevölkerung auf unter neun Prozent gesunken. Das kann jeder mit eigenen Augen erkennen. Ein verhältnismäßig armer Mensch kommt heute im Westen (und zunehmend auch anderswo) in den Genuss von Antibiotika, Streaming-Diensten zur Unterhaltung, Klimaanlagen, einem Dutzend internationaler Spezialitäten und anderen Luxusgütern, die vor 120 Jahren selbst den Vanderbilts und Rockefellers nicht zur Verfügung standen.

Sie plädieren für Kernenergie als einzig realistische Alternative im Kampf gegen den Klimawandel. Deutschland will bekanntlich alle Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke abschalten und hofft darauf, dass sich der Klimawandel ausschließlich mit regenerativer Energie lösen lasse. Das Wall Street Journal nannte dies „World's Dumbest Energy Policy“. Wie ist Ihre Meinung?
Ich stimme mit dem Wall Street Journal nicht immer überein, doch in diesem Fall schon. In meinen eigenen Meinungskommentaren in der New York Times und dem Boston Globe habe ich ähnliche Argumente angeführt.

Sie sagen, dass sich – abgesehen vom Thema Klimawandel – die Situation der Umwelt in den vergangenen Jahrzehnten massiv verbessert habe. Für welche Länder und für welche Bereiche gilt das vor allem?
Laut dem Environmental Performance Index, der Noten für den Umweltschutz erteilt, hat fast jedes Land in den letzten zehn Jahren Verbesserungen erzielt, wobei die wohlhabenderen Länder die sauberste Umwelt haben. Dazu zählen die gefährlichsten Formen von Verschmutzung, also Rauch aus Küchen und die Wasserverschmutzung. Seit dem Erscheinen meines Buches „Aufklärung jetzt“ mehren sich Berichte, dass das Artensterben zunimmt. Das würde ich in die Liste der Sorgen aufnehmen, obwohl wir auch die erfolgreichen Bemühungen um den Schutz vieler gefährdeter oder bedrohter Arten anerkennen sollten.

Sie haben ein sehr optimistisches Menschenbild. Die meisten Dinge werden demnach besser. Andererseits scheinen weltweit Irrationalität und Hysterie zuzunehmen. Sind die Menschen wirklich vernünftiger als vor 200 oder 2000 Jahren?
Nein, nein, ich bin kein Optimist. In meinem vorherigen Buch “Das unbeschriebene Blatt: Die moderne Verleugnung der menschlichen Natur“ habe ich sogar argumentiert, dass die Evolution unserer Spezies dauerhaft viele irrationale und destruktive psychologische Züge aufgebürdet hat, darunter Rache, Dominanz, Nepotismus, Stammesdenken, Wollust sowie magisches und anekdotisches Denken. Fortschritt ist nur möglich, weil es Institutionen und Normen gelingt, die besseren Seiten unserer Natur hervorzubringen. Und sie müssen ständig Sisyphusarbeit im Kampf gegen unsere hässlicheren Instinkte leisten. Was wir „Optimismus“ nennen, ist nur ein Beweis dafür, dass diese Institutionen und Normen einen gewissen Erfolg hatten.

Sie zeichnen ein optimistisches Bild von der Ausbreitung der liberalen Demokratie auf der ganzen Welt. Aber stimmt das? Ist die Demokratie nicht derzeit weltweit in einer Krise? In den USA hat man den Eindruck, dass Populisten, ob nun Trump oder Bernie Sanders, das Geschehen bestimmen.
Noch einmal: Ich zeichne kein optimistisches Bild, sondern halte mich an Fakten. Es stimmt, die liberale Demokratie steht in vielen Ländern unter Beschuss. Aber sie hat auch Fortschritte gemacht in anderen Ländern, über die wir nichts zu lesen bekommen, zum Beispiel in Georgien, Sri Lanka, Nigeria, Armenien, Angola, Malaysia, Tunesien und Äthiopien. Insgesamt stagniert die Demokratisierung, und vielleicht erfährt sie sogar einen leichten Rückschlag. Aber es ist noch lange kein massiver Umkehrtrend zu erkennen. Laut dem Demokratiebarometer „Varieties of Democracy“ hat sich die Zahl der demokratischen Staaten in der Welt im vergangenen Jahrzehnt auf Rekordhöhe bewegt: 2018 gab es 99 Demokratien im Vergleich zu 87 im Jahr 1998, 51 im Jahr 1988, 40 im Jahr 1978, 36 im Jahr 1968 und 10 im Jahr 1918.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Gisela Fimiani | So., 8. März 2020 - 14:32

Vernunft, Verstand, rationales und kritisches Selbst-Denken, sowie Demut, statt Besserwisserei, Arroganz, Eitelkeit. Nur der Mut sich des einen zu bedienen, kann die Entlarvung des anderen, unserer neuen ideologisierenden, falschen Propheten bewirken.

Auf den Fundament der Selbstherrlichkeit, Arroganz & Wahrheits-Beansprucher wachsen die neuen falschen Pharisäer wie Unkraut & nehmen den wirklichen "Lichtgestalten" die Energie weg.

Dominik Roth | So., 8. März 2020 - 14:38

Als nächstes würde ich mich über ein Interview mit Jordan Peterson freuen.

Christa Wallau | So., 8. März 2020 - 15:48

... zu schmutziger Kohle: Ja, das wäre eine mögliche vernünftige Lösung des Problems der starken Luftverschmutzung und der zunehmenden Erwärmung.
Aber in Deutschland will man die Quadratur des Kreises schaffen: B e i d e s muß sofort weg! - Atomenergie u n d Kohlekraftwerke!
W i e dabei die Energieversorgung dauerhaft gesichert bleiben soll und kann, ist zweitrangig.
Bisher harrt diese Frage der Beantwortung.
Hauptsache: Wir Deutschen stürmen voran beim Abschalten a l l e r fragwürdigen Energieversorger!
Alles oder nichts - das ist die Spezialität, made in Germany.

Herr Gott, bitte, laß Hirn regnen auf unser Land!
Ich fürchte, sonst gehören wir Deutschen bald zu den größten Verlierern auf der Welt. Und es nutzt dann niemandem, daß er mit der verrückten Politik
der Grünen und Linken nicht einverstanden war - er oder sie muß alle schlimmen Folgen mittragen.

Werte Fr. Wallau, Kohle war früher mal schmutzig. Heutige Kohlekraftwerke emittieren, leistungsbezogen, weniger Feinstaub als unser Kraftahrzeugverkehr "produziert".
Bezogen auf CO2-Emission wäre Kernkraft die bessere Alternative zur Stromerzeugung als Photovoltaik und Windenergie.
Wenn die Gesellschaft akzeptierte dass ein Auto auch mit 3 oder 2 Liter Spritverbrauch seine Aufgabe erfüllt, um von A nach B zu kommen, wäre viel getan. Wir könnten die CO2-Emissionen des Fahrzeugverkehrs innerhalb kurzer Zeit auf ein Drittel herunterbringen.
Wenn man aber erlebt das Tesla, Porsche und andere aber PS-Boliden mit Batteriebetrieb bauen, weis man dass der Verstand Urlaub hat.
Wer reißt das Ruder herum?

Gerd Kistner | So., 8. März 2020 - 21:17

Im Zuge der Aufklärung haben sich die Naturwissenschaften von der Religion und den jeweils geltenden Moralkodices emanzipiert, entscheidend wurde, was wahr ist. Der Siegeszug von Naturwissenschaft und Technik schuf die Grundlage für ständig steigenden Lebensstandart von immer mehr Menschen, Ambivalenz inbegriffen. Heute wendet sich das Blatt. Medial vermittelt wird in zunehmenden Maße, was der vermeintlich großen, gemeinsamen Sache der bunten, globalisierten Weltgemeinschaft dient. Feigheit und Faulheit (s. Kant) in der Politik – dazu gehören auch Wähler - besiegen den Verstand, die Religion, d.h. der Primat der Ideologie, hält wieder Einzug. Sapere aude wird zu sapere ade. Welche Spur hinterlassen die Seit an Seit marschierenden Grünen und Internationalsozialisten im Lande und in den Köpfen? Erinnert sei nur an irrationale Antigentechnik- und Glyphosathysterie, die Fakten ausblendende Energiewende, Biodiversitätsgeschwafel mit Prädatorengehätschel (Wolf, Waschbär, Krähe, Elster..)...

Romuald Veselic | Mo., 9. März 2020 - 07:15

„World's Dumbest Energy Policy“. Wie wahr... Dafür brauche ich WSJ nicht lesen. Im Umkehrschluss, reicht es, wenn man "Nachrichten"/"Kommentare" der hiesigen Medien liest/hört. Es ist so, wie früher in der Moskauer-Prawda-Zeiten: Es wird zwischen den Zeilen gelesen. Anders herum: Es wird darauf geachtet, worüber nicht berichtet wird. Nach dem Paradies der Werktätigen, soll in D das Klima-Paradies entstehen.

In D sind Dummschwätzer u. Dilettanten an der Macht. Nirgends auf dem Planeten, wird Greta T. so angebiedert u. gehuldigt, wie in D. Ihre Wirkung ist sehr begrenzt, denn die Mehrheit der Erdpopulation, steht ihr skeptisch o. ablehnend gegenüber.
Der Dt-Paradox besteht darin, dass man Humbug als Weltrettung betreibt, u. wissenschaftliche Abhandlungen, als rassistische Schriften der alten, weißen Männer nennt. Alte weiße Frauen, werden nicht erwähnt.
Als Diskrepanz dazu: Die naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger, sind fast absolut, alte, weiße Männer.
Wie ist das möglich?