- „Die Länder müssen viel tun, damit sie wettbewerbsfähig bleiben“
In Afrika haben sich 54 Länder zu einer Freihandelszone zusammengeschlossen. Damit macht sich der Kontinent von Europa und China unabhängig. Es sei gut, dass die afrikanischen Länder jetzt den Aufbau ihrer eigenen Länder beginnen, sagt Afrikaforscher Robert Kappel im Gespräch
54 der 55 Mitglieder der Afrikanischen Union (AU) haben sich zu der Afrikanischen Freihandelszone zusammengeschlossen. Die ist dreimal so groß wie Europa, bei 1,2 Milliarden Menschen und einem Bruttoinlandsprodukt von 2,5 Milliarden Dollar. Bis 2022 sollen alle Zölle auf Dienstleistungen wegfallen sowie 90 Prozent der Produktzölle in Afrika. Ist das ein „historischer Moment“ für die AU, wie deren Kommissionspräsident Moussa Faki Mahamat sagte?
Man hat 17 Jahre verhandelt, um die seit längerem immer wieder kursierende Idee einer afrikanischen Freihandelszone umzusetzen. Das ist insoweit ein historischer Moment, weil – mit Ausnahme von Eritrea – alle afrikanischen Länder diesen Vertrag unterzeichnet haben. Obwohl er möglicherweise für einige Staaten negative Konsequenzen haben könnte. Insofern ist das ein wichtiger Moment für den afrikanischen Kontinent und die afrikanischen Institutionen. Sie stellen die Weichen für die Entwicklung ihres Kontinents jetzt viel mehr selbst.
Auf was für negative Konsequenzen spielen Sie da an?
Wir haben 55 äußerst unterschiedliche Länder. Tunesien, Marokko oder Südafrika spielen in einer völlig anderen Liga aufgrund der Einkommensniveaus, des Industrialisierungsgrades, der modernen Gesellschaft und der Unternehmensstrukturen. Dort gibt es auch auf dem Weltmarkt präsente Firmen. Andere Länder sind sehr klein, mit sehr geringen Bevölkerungen von unter zehn Millionen. Der Unternehmenssektor ist dort sehr schwach. Diese Länder fürchten, dass Firmen aus den größeren Ländern ihre Wirtschaft überrollen werden.
Ist das denn eine berechtigte Sorge?
Oh ja! Natürlich werden innerhalb Afrikas nicht von heute auf morgen die Zölle fallen. Es wird schrittweise umgesetzt werden. Demnach gibt es Möglichkeiten, sich anzupassen. Trotzdem sind ihre Befürchtungen ernst zu nehmen. Derzeit wird in der AU diskutiert, die Ursprungsregeln festzulegen und zudem eine Art Ausgleichsfonds zu schaffen. In diesen zahlen dann die reichen Länder ein, die besonders von der Marktöffnung profitieren. Viele Fragen sind einfach noch offen und es ist unklar, wie diese sich weiterentwickeln werden. In Südafrika – dem reichsten Land in Subsaharaafrika – herrscht sogar die Angst, dass durch die Zollsenkung billige Nahrungsmittel aus den Nachbarländern ins Land kommen und dadurch die heimischen Bauern unter Druck geraten. Also überall gibt es Befürchtungen.
Das klingt jetzt alles sehr negativ. Kann das Abkommen trotzdem zur wirtschaftlichen Entwicklung der AU beitragen?
Ja, auf jeden Fall! Nur 15 Prozent des Handels finden innerhalb Afrikas statt. Zum Vergleich, in der EU liegt er bei 69 Prozent. Das hat in Afrika historische Gründe, koloniale und postkoloniale. Auf den Handel innerhalb Afrikas wurde unglaublich wenig Energie verwendet. Denn wenn der ansteigen soll, müssen zwei Dinge geschehen: ein Industrialisierungsschub und eine Verbesserung der Infrastruktur. Dann können auch die kleinen Länder im Schub mitziehen. Wenn der intrakontinentale Handel von 15 auf 30 Prozent steigen könnte, würde das unglaubliche Skaleneffekte haben. Da müssen die Länder viel tun, damit sie wettbewerbsfähig bleiben.
Klingt als würden die positiven die negativen Effekte übertrumpfen.
Das wird sich zeigen. Es kann wie gesagt auch Verlierer geben. Viele der Länder sind von Import- und Exportzöllen abhängig. Wenn diese jetzt aber wegfallen, dann haben Staaten weniger Einnahmen. Die müssen dann irgendwo anders herkommen. Für die kleinen Länder ist das eine der größten Hürden. Länder wie Südafrika haben damit keine großen Probleme, die haben eine diversifizierte Wirtschaft.
Bei so vielen Befürchtungen und Hoffnungen der Länder: Was steht genau in dem Abkommen?
Da steht erst mal nur drin, dass es Waren- und Dienstleistungsfreiheit geben soll. Also Zölle senken und Personenfreizügigkeit gewähren. Die Arbeitskräfte sollen also von einem Land ins andere gehen können. Allein das wird schon Probleme hervorrufen. Die Umsetzung wird sich erst noch zeigen. Denn die AU steht vor der großen Herausforderung, die Interessen vieler Länder vereinbaren zu müssen. Immerhin hat die Afrikanische Union doppelt so viele Mitglieder wie die EU! Wenn sie es schaffen, das Abkommen in den kommenden zehn Jahren umzusetzen, wäre das schon ein großer Gewinn.
Nigeria hat als eine der größten Volkswirtschaften Afrikas ebenfalls sehr lange gezögert, das Abkommen zu unterschreiben. Wieso?
Nigeria ist eine dominante Volkswirtschaft in Westafrika und voll auf Öl und Gas ausgerichtet. Dieses wichtige Exportgut geht in die ganze Welt, aber wenig davon in die Nachbarländer. Sie exportieren nämlich Rohöl und in den Nachbarländern gibt es nur wenige Raffinerien. An der Integration in Afrika war Nigeria nie besonders interessiert. International wurden sie dazu aufgefordert, in diesem Prozess eine führende Rolle einzunehmen. Irgendwann war der Druck zu groß.
Wird es mit dem Freihandelsabkommen zukünftig für die EU oder China schwieriger werden, ihre Produkte in Afrika abzusetzen?
Nein. Das hat mit der Struktur des Außenhandels zu tun. Hauptsächlich werden Rohprodukte oder landwirtschaftliche Erzeugnisse exportiert. Maschinen und Investitions- oder hochwertige Konsumgüter werden hingegen aus der EU oder China eingeführt. Das wird deswegen keinen Einfluss haben, weil die Zollvereinbarungen, die mit diesen Ländern existieren, bestehen bleiben. Auf der anderen Seite können europäische Staaten den Freihandel nutzen, um von Benin oder anderen Ländern aus leichter in die Nachbarländer zu exportieren. Das kann auch sehr zum Nutzen dieser weit entwickelten Länder sein, die ja technologisch in einer anderen Liga spielen. Deswegen ist die EU auch sehr für dieses Abkommen.
Das Abkommen ist Teil der Agenda 2063. Damit will sich die AU reformieren und mehr sein als ein Projekt zur Friedenssicherung. Ist die Freihandelszone da ein Schritt in die richtige Richtung?
Die Agenda 2063 ist ja ein langfristiges Projekt. Man wählt ein Datum, das weit von einem entfernt liegt und müsste eigentlich die Hausaufgaben von 2019-2025 machen. Es geht jetzt auch darum, die anderen Agenden außer der Freihandelszone umzusetzen. Da geht es um industrielle Entwicklung, Modernisierung der Landwirtschaft, Bildung, Klimawandel, Infrastruktur, Frauenrechte, Zugang zu Elektrizität, Gesundheitswesen und so weiter. Eine unglaubliche Vielfalt an Themen. Die Agenda 2063 ist das, was die afrikanischen Völker für ihren Kontinent wollen – ein Zukunftsprojekt. Die regionale Zusammenarbeit soll jetzt in einem Gesamtpaket unter der Freihandelszone geführt werden.
Westlichen Ländern wird in Zusammenhang mit Afrika oft Neokolonialismus vorgeworfen. Ist das Freihandelsabkommen jetzt eine Art zweite Unabhängigkeit?
Das könnte man so bezeichnen. Denn eigentlich handelt es sich grundlegend um eine Idee des Panafrikanismus, des Vertrauens auf die eigenen Kräfte. Wobei jedes Land seit der politischen Unabhängigkeit die Möglichkeit hatte, sich von Europa freizuschwimmen. Also man muss beide Seiten sehen. Die EU hat mit ihren Handelsverträgen mit Afrika eigene Interessen verfolgt. Sie wollten den afrikanischen Markt weiter bedienen und eigene Unternehmen etablieren. Man schaut immer gerne auf den Feind Europa – der natürlich seine eigenen Interessen hat –, aber man behandelt nicht seine eigenen Fehler. Die Agenda 2063 überspielt nun die ganzen Verfehlungen, die sich viele afrikanische Länder geleistet haben.
Von welchen Fehlern sprechen Sie da?
Sie haben sich in Abhängigkeit von China und der EU begeben. Sie haben nicht in erster Linie an die Entwicklung der eigenen Länder gedacht. Sie haben keine Modernisierung der Landwirtschaft oder der Industrie betrieben. Also es gibt wahnsinnig viele Fehler der afrikanischen Regierungen und das ist ein Elitenproblem. Sie haben sich stark an außerafrikanischen Wünschen wie beispielsweise denen von China oder Europa orientiert. In den meisten afrikanischen Ländern hatten wir einen Destabilisierungsprozess. Die Industrien sind nicht gewachsen, es gibt sogar einen De-Industrialisierungsprozess, weil die Unternehmen nicht richtig gefördert und in vielen Ländern sogar behindert werden. Der Zugang zu Krediten ist vor allem für mittlere und kleine Unternehmen erschwert. Deshalb sind die Mittelschichten oft sehr klein.
Aber genau in diesem Punkten könnte das Freihandelsabkommen doch Abhilfe schaffen.
Das ist zumindest der Ansatz. Es wird mehr Wettbewerb geben, es soll industrialisiert und das Unternehmertum gefördert werden. Denn die Rohstoffe, die produziert werden, werden bislang nicht in den Ländern selbst weiterverarbeitet. So stellt die Côte d‘Ivoire 60 Prozent des weltweiten Rohkakaos her, aber hat keine Schokoladenindustrie. Die eigenen Kräfte sollen jetzt stärker gebündelt werden. Das hat auch mit einem Wandel der Mentalität vieler Regierungen zu tun. Denn zunehmend übt die Mittelschicht mehr Druck auf ihre Entscheidungsträger aus. In der Zukunft geht es um die Frage, ob die technokratischen Eliten in Ländern wie Ruanda, Äthiopien, Tansania, Ghana, Senegal die Dinge selbst in die Hand nehmen. Mal sehen, ob das was wird. Denn in afrikanischen Dokumenten stehen gerne viele schöne Dinge. Entscheidend ist, ob sie das jetzt implementieren werden.
Prof. Dr. Robert Kappel war von 1996-2004 Professor am Institut für Afrikanistik der Universität Leipzig; er leitete den Arbeitsbereich „Politik und Wirtschaft“ . Er hat zudem den von ihm gegründeten Master-Studiengang sept (small enterprise Promotion and Training) geleitet. Von 2004-2011 ist Robert Kappel Präsident des GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg gewesen. In dieser Zeit war er von der Universität Leipzig beurlaubt. Im Oktober 2011 trat er in den Ruhestand. Er forscht gegenwärtig zu den Themen Wirtschaftsentwicklung in Afrika, global value chains und global power shifts.
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Personenfreizügigkeit könnten ein erster Schritt sein, nicht überwiegend von Entwicklungshilfe aus der Welt zu leben. Wobei diese sowieso nur Wenigen zu teil wird. Der innerafrikanischer Handel liegt bisher bei 12% im Warenaustausch. Da ist noch viel Luft nach oben, zumal auch die Konkurrenzfähigkeit der Waren innerhalb Afrikas besser gestellt wäre. In keiner Weltregion ist derzeit der Handel mit den Nachbarstaaten so teuer. Ein Nebeneffekt könnte auch, die Beilegung vieler regional-schwellender Konflikte sein. Denn Handel kann auch Nationen verbinden, dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen. Afrika hat ein enormes Potential an Bodenschätzen, die überwiegend exportiert werden. Das ist derzeit verschenktes Kapital. Doch um Worte auf dem Papier umzusetzen, braucht es politischen Willen, Verbesserung der Infrastruktur und Bekämpfung der Korruption.
Es ist zu begrüßen dass Afrika seine Angelegenheiten selbst in die Hand nimmt.
Dazu gehört auch soweit nötig und sinnvoll eine Abschottung durch Handelszölle oder nichttarifäre Handelshemmnisse gegenüber den anderen Märkten, um die eigene Entwicklung zu fördern und zu stützen.
eine kleine Frage von mir.
Warum war es nicht möglich, statt der alarmistischen Nachrichten über Afrika Artikel zu schreiben, die die Potenziale Afrikas selbst berücksichtigten in den Prognosen?
Ich habe mich zeitweilig wirklich gefühlt wie früher in der Kirche bei "Brot für die Welt".
Muss ich das alles selbst wissen?
Nein, das muss ich nicht, Afrika ist nicht mein Steckenpferd, nicht mehr, bin jetzt eher bei Asien gelandet.
Ich begreife nicht, warum Sorgen in unserer Bevölkerung nicht begegnet wurde mit eben auch den Möglichkeiten einer Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Afrika und EU.
Stattdessen gab es viele Stimmen, die "die" Bevölkerung noch belächelten, wenn nicht erzieherisch wirkten.
So geht Politik nicht!
Das leistet Widerständen unnötig Vorschub, denn bitte, als ob nicht der überwiegende Teil unserer Bevölkerung ausgesprochen christlich und sozial eingestellt wäre.
Was ist da abgelaufen in den letzten Jahren, das man hätte m.E. ganz anders kommunizieren müssen?
Sehr geehrte Frau Sehrt- Irrek, zur Beantwortung Ihrer Frage am Ende des Kommentars empfehle ich das Buch "Afrika wird arm regiert" von Volker Seitz. Herr Seitz war 17 Jahre Diplomat in Afrika und schreibt sachkundig und sachlich, insbesondere über die Problematik Entwicklungshilfe.
das wünsche ich den Afrikanern. Die Kraft und die Stärke mit allen denkbaren Fehlern aus denen sie lernen müssen, ihre eigene Identität zu schaffen. Die Frage ist nur, können sie das ohne religiöse Einflüsse, Versprechungen der Nichtafrikaner "zu helfen", um sich tatsächlich weiter der Bodenschätze und der Arbeitskräfte zu bedienen. Sie auszunutzen und wieder "erziehen" zu wollen. Afrika hat nur eine Chance, wenn es sich selbst erkennt und selbst weiter bildet und sich aus der Abhängigkeit anderer immer ein Stückchen mehr entfernt. Nur, läßt man die Afrikaner gewähren? Irgendjemand wird wieder kommen, Interessen verfolgen und Unfrieden stiften oder es besser wissen. In Bildung und dem Schaffen und verteidigen einer eigenen Identität, das braucht eben Zeit, darin könnte der Schlüssel liegen. Sie brauchen Geduld. Ein Projekt für einige Jahrzehnte. Hoffentlich werden sie wirklich unabhängig ohne übermächtig werden zu wollen.
Das Handelsabkommen wäre ein erster Schritt.
Mal sehen.
Auf dieses Buch wollte ich auch gerade ( wie schon so oft ) aufmerksam machen.
Man versteht dann die Dynamik in diesen Ländern und kommt weg von dem ewigen "nur wir sind schuld und darum müssen wir helfen".
Ich nehme an, diese Freihandelszone ist ein Schritt in die richtige Richtung auch im Sinne von Herrn Seitz?