Chinesische Container
Wird China zum großen Profiteur der Brexit-Krise? / picture alliance

Brexit und Europa - „China hält den Westen für eine scheiternde Dynastie“

Das Chaos um den Brexit hält Großbritannien und die EU weiter in Atem. Wird am Ende China von der Schwäche Europas und des Westens profitieren? Gideon Rachman, Chefkolumnist der „Financial Times“ geht fest davon aus. Für die EU aber sieht er eine Chance

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Herr Rachman, wie war die Stimmung in der Redaktionssitzung der Financial Times,  nachdem das Parlament Theresa Mays Brexit-Deal schon wieder abgelehnt hat?
Wir können es alle nicht fassen. Wie ist es dazu gekommen, dass wir 15 Tage vor dem Brexit alle keine Ahnung haben, was mit uns passieren wird? Sollen wir Journalisten über „No Deal“ schreiben oder ein zweites Referendum? Wird Theresa May ihren abgelehnten Deal noch ein drittes Mal vors Parlament bringen? Ich persönlich glaube, es wäre schon sehr demütigend für Abgeordnete, wenn sie beim dritten Mal ein Abkommen gut heißen, dass sie bereits zwei Mal abgelehnt haben.

Was aber sonst? Soll die EU eine längere Aussetzung von Artikel 50 anbieten, damit Großbritannien einen noch sanfteren Brexit-Deal aushandelt?
Will die EU das denn? Deutschland vielleicht schon, aber Frankreich wohl nicht. Wir wissen ja auch gar nicht, ob Theresa May das möchte. Sie hält ihre Karten so nah an der Brust, dass keiner weiß, was sie im Blatt hat. Das ist vielleicht auch ihr Problem. Sie spielt allein gegen alle. 

Ist der Brexit nur ein Mosaikstein im Gesamtbild der westlichen Schwäche?
Der Brexit und die Wahl von Donald Trump sind sicher beide Teil der populistischen Revolte. Trump hatte das selbst erkannt. Sein damaliger Berater Steve Bannon meinte, dass sie nach dem Brexit-Votum wussten, dass sie auch die Wahl in den USA gewinnen würden. Fast jeder westeuropäische Staat hat heute eine politische Krise: In Italien und Österreich sitzen Rechtsradikale in der Regierung, in Frankreich stehen die Gelbwesten auf den Straßen, in Deutschland ist die AfD die offizielle Opposition im Parlament. Spanien wird von einer Krise konsumiert, an der das Land zerbrechen könnte. Was alle Länder verbindet, ist der Druck auf den Lebensstandard durch die Globalisierung. Manche wollen die Krise meistern, in dem sie populistische Parolen zur Erneuerung ihrer Nationen rufen, anderen fordern mehr Integration der EU, um gemeinsam stärker zu sein und die Herausforderungen nach außen hin besser meistern zu können

Gideon Rachman
Gideon Rachman / Alistair Hall

Trump wird dabei Europa nicht gerade behilflich sein.
Besonders Deutschland gegenüber empfindet Trump eine starke Feindseligkeit. Ein deutscher Diplomat hat mir erzählt, dass Trump über die amerikanische Unterstützung bei der deutschen Wiedervereinigung gesagt hat: „Wir haben ein Monster geschaffen!” Er sieht in der Stärke Deutschland eine Bedrohung. So wie auch in Chinas Aufstieg.

Dabei haben Amerika und auch Deutschland vom Aufstieg Chinas profitiert.
Sehr sogar. Es war mehr als ein symbolischer Moment, als Deutschland 2016 verkündete, dass China ab nun der größte Handelspartner sei. Wichtiger als die USA. Als Einzelstaaten betrachtet, ist China heute wichtiger für Deutschland als die einzelnen westlichen Staaten. Deutschland findet das inzwischen aber auch nicht nur gut.

In welcher Hinsicht?
Deutschland hatte ein gutes Handelsverhältnis zu China, solange China deutsche Maschinenteile kaufte. Jetzt aber hat China das Made in China 2025-Programm begonnen. Hochwertiges Fachkönnen wurde auf die chinesische To-Do-Liste gesetzt. So wie Donald Trump fürchten die Deutschen jetzt um ihre Vormachtstellung bei den hochausgebildeten Fachkräften und um intellektuelle Eigentumsrechte. Man kann aber China natürlich nicht davon abhalten, sich technologisch weiterzuentwickeln. Ein Handelskrieg ist auch nicht im Sinne Deutschlands, schließlich ist die deutsche Wirtschaft abhängig vom chinesischen Markt.

Umgekehrt aber ist ja auch der Westen ein wichtiger Absatzmarkt für chinesische Produkte. Wie wichtig ist die EU, wir sind nur halb so groß wie der chinesische Markt?
China könnte sicher einiges an Nachfrage im eigenen Markt abfedern. Aber China ist der größte Hersteller und Exporteur der Welt. Das Land muss exportieren. Die Chinesen sind pragmatisch. Sie respektieren Macht und sie machen Deals, an die sie sich halten. Sie denken strategisch und würden die EU, den dritten großen Player neben den USA und China selbst, gerne als Partner gewinnen. Der größte Albtraum wäre es für die Chinesen, wenn sie allein gegen die Welt stehen würden.

Vor allem jetzt, wo die chinesische Wirtschaft weniger schnell wächst? 
Sechs Prozent Wachstum ist immer noch sehr viel. Zugeben, nicht so viel wie neun Prozent bisher. Doch ich bin mir nicht sicher, ob man im Westen nicht bald herausfindet, dass man zwar neun Prozent chinesisches Wachstum nicht gemocht hat, dass aber zwei Prozent Wachstum noch schlimmer sein könnte. Eine Finanzkrise in China trifft den Westen mit.

Als Sie Spanien erwähnten, musst ich an Christoph Kolumbus denken, den die Spanier losgeschickt haben, um die Welt zu entdecken. Europa strotzte damals vor Selbstbewusstsein und Eroberungslust.
Ja, den Chinesen ist das sehr bewusst, denn sie denken in historischen Zusammenhängen. Das ist bei einer Geschichte von 3000 Jahren auch verständlich. Die Chinesen wurden selbst halb kolonisiert. Die Briten schnappten sich Hongkong, die Portugiesen Macau. Die Chinesen sind davon getrieben, diese Demütigung wieder gut zu machen. Es ist für sie emotionell befriedigend, ihren jetzigen Aufstieg zu erleben.

Ist es jetzt einfach die Zeit der Chinesen und wir können im Prinzip nicht viel dagegen tun?
Die USA gibt es seit 1776. Seitdem ging es immer nur bergauf. Für die Amerikaner ist es unnatürlich, dass sie ihre Machtposition verlieren, das ist ihnen noch nie passiert. Die Chinesen dagegen wissen: Es gibt erfolgreiche Dynastien wie die Ming-Dynastie und es gibt Perioden, da geht gar nichts. Irgendwann aber kommt wieder ein Aufschwung. China hält den Westen für eine scheiternde Dynastie.

Wie wirkt sich der Brexit für die Briten auf der Weltbühne aus?
Sehr schädlich. Ich konstatiere da eine gewisse Naivität bei den Brexitieren, die glauben, Handelsabkommen seien leicht zu erreichen. Sie vergessen, dass wir Briten nicht nur tolle Händler waren, wir haben unsere Schiffe auch mit Soldaten losgeschickt.

Der Brexit wird aber auch die EU im Verhältnis zu China schwächen?
Ja, helfen wird der Brexit nicht. Die EU verliert ohne den britischen Markt als Teil der Verhandlungsmasse für Freihandelsabkommen mit Drittstaaten an Macht. Der Aufstieg Chinas macht eine geeinte Europäische Union deshalb noch viel wichtiger.

Gideon Rachman, „Asiens Stunde,  Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert” erschienen bei Weltkiosk im März 2019, aus dem Englischen von Philine Apenburg, 320 Seiten

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Lars Freudenberg | Do., 14. März 2019 - 11:37

Die Überschrift, liefert mehr als der Text im Ganzen liefert, die Chinesen haben etwas erkannt, der Westen hat etwas tief greifendes nicht verstanden, und das wird sein Untergang sein, es gibt nur ein westliches wertes System, was den schritt in das nächste Jahrhundert Schafen könnte, und das ist „Japan“. Wir hatten Friedrich Nietzsche und Aldous Huxley, aber verstanden haben wir nichts. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen wie Populistische Strömung es versuchen, weil wir mehr verloren haben als diese es Vermuten, der Westen muss loslassen lernen, lernen neu anzufangen, und den Mut finden erwachsen zu werden. Oder er wird verschwinden und am Ende nur noch als Fußnote in den Geschichtsbüchern taugen.

Elisabeth Ellermann | Do., 14. März 2019 - 12:13

Ich schon. Denn, wie alle wissen, ist dieser Deal ein Vertrag, der GB niemals wirklich aus der EU austreten lässt. Wie soll das Unterhaus dem zustimmen?? Das kann nur wollen, wer den Brexit mit aller Macht verhindern will.

Christa Wallau | Do., 14. März 2019 - 13:16

das zeigt unzweifelhaft, welche Kriterien
hier angewandt werden: Es sind rein wirtschaftliche und machtpolitische Überlegungen.
Unter diesen Gesichtspunkten ist natürlich nur eine
starke, zentralistisch geführte EU ein ebenbürtiger Gegner. Die jetzige, zerstrittene EU muß den Chinesen lachhaft vorkommen. Chinas Aufstieg basiert auf brutalster Unterordnung vieler positiver menschlicher Wünsche u. Hoffnungen unter die Gesetze der Vernunft, der Gewinnmaximierung und der Konkurrenz untereinander. Menschenrechte und vor allem: DEMOKRATIE spielen keine Rolle!
Wer mit einem solchen Staatsgebilde den Kampf um die Vorherrschaft im Welthandel aufnehmen will, der muß - weiß Gott - Vieles aufgeben!
Die USA zeigen es bereits.
Wollen das aber die Völker des Westens wirklich?
Wollen sie mutieren zu egoistischen, konsumiererenden Arbeitstieren? Wollen sie die Selbstbestimmung verlieren, nur um im Wettstreit um die "Märkte" mitzuhalten? Gibt es keine anderen Wege, sich auf der Welt zu behaupten?

Christa Wallau | Do., 14. März 2019 - 13:16

Es ist blühender Unsinn, Europa als eine "scheiternde Dynastie" zu bezeichnen, es sei denn, man sieht in den Herren Juncker und Co. bereits so etwas wie eine Geschlechterabfolge von Herrschern.
Die europäischen Staaten wurden bisher niemals
von einer Dynastie geführt, sondern waren und sind viele, verschiedene Nationalstaaten, die sich ihre eigene Kultur geschaffen haben und die eines verbindet: Sie sind a l l e demokratische Staaten.
Diesen Zustand gilt es zu verteidigen!
Viele Briten haben kapiert, daß es bei der Auseinandersetzung um den BREXIT um mehr geht als um Wirtschaft, um v i e l mehr: Es geht um
die Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen. Soll die Wirtschaft den Menschen und ihrer Würde dienen oder sollen die Menschen sich
den Gesetzen der Wirtschaft total unterordnen?
Das ist die entscheidende Frage.
Ich möchte mit keinem Chinesen tauschen.

Karlheinz Wehner | Sa., 16. März 2019 - 11:15

Antwort auf von Christa Wallau

Auch ich möchte mit keinem Chinesen tauschen. Aber man muß wohl in
einem totalitären Staat gelebt haben, um das zu verstehen.

Rolf Pohl | So., 17. März 2019 - 17:01

Antwort auf von Christa Wallau

... von einer Dynastie geführt"
Die heutigen europäischen Staaten selbstverständlich nicht Frau Wallau.
Allerdings bezog sich das "niemals" nicht darauf sondern auf historische, sozusagen aktuell nicht mehr existierende Dynastien.
Siehe ROM - Frankreichs Napoleon - Deutschlands NS-Staat -
"Ich möchte mit keinem Chinesen tauschen."
Das wird nicht nötig sein liebe Frau Wallau. Denn wenn es so weiterläuft mit Chinas Entwicklung werden auch Sie und ich von chinesischer Technologie und Weltsicht abhängig ;-)

Juliana Keppelen | Sa., 16. März 2019 - 09:46

Sehe aber (persönliche Wahrnehmung) dass überall da wo wir uns als moralische Scheinriesen aufblasen z,Bsp. naher und mittlerer Osten, Afrika oder neuestes Beispiel Südamerika die Chinesen still lächelnd die von uns freiwillig aufgegeben Felder ( angeblich aus moralischen Gründen) besetzen. Anstatt Moralpolitik brauchen wir mehr Realpolitik die ist uns in den letzten Jahren abhanden gekommen.