Die Schauspieler Dietmar Bär (l) und Klaus J. Behrendt posieren am Mittwoch (17.08.2011) vor dem Cinedom in Köln vor der "Wurstbraterei".
Die Tatort-Kommissare Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt hauen in jeder Folge richtig rein / picture alliance

Virtualität und Realität - Blumenkohl mit brauner Butter

Kolumne: En Passant. Sophie Dannenberg schreibt jeden Monat für Cicero über beiläufige Entdeckungen. Diesen Monat: Essen – das einzige, was die Virtualität uns nicht bieten kann, uns aber dennoch ständig vorhält

Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

So erreichen Sie Sophie Dannenberg:

Im Netz kann man ja fast alles – einkaufen, reich werden oder auch arm, sogar Sex haben, irgendwie. Nur essen kann man nicht. Trotzdem stellen die Leute andauernd Fotos von ihren vollen Tellern online. Das ist schon eigenartig. Diese Leute bieten eine Leckerei an und entziehen sie einem zugleich. Der amerikanische Soziologe Gregory Bateson hat in den sechziger Jahren derlei widersprüchliche Beziehungsangebote als Doublebind bezeichnet und als eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Schizophrenie identifiziert. Die These konnte sich in der Schizophrenieforschung nicht halten, aber bis heute ist klar, dass einen ambivalente Botschaften verwirren können.

Wenn ich die kulinarischen Verlockungen im Netz sehe, denke ich immer an jene alte Dame, die mir erzählte, dass sie als junges Mädchen den ganzen Krieg über an Blumenkohl mit brauner Butter denken musste. Das Bild schwirrte unentwegt durch ihren Kopf, so wie heute die Essfotos durch Facebook oder Instagram, von denen man keinen einzigen Bissen abbekommt. Selbst wenn man die Rezepte nachkocht, schmecken sie nie so gut, wie sie auf den Posts aussehen. Die Essfotos im Netz zielen nicht auf die Realität des Essens, sie entwerfen eine Utopie, wie sie eigentlich nur ein Hungernder kennt. Wer weiß, vielleicht klingt im virtuellen Essen auch der Kriegshunger nach.

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar
  • Ohne Abo lesen
    Mit tiun erhalten Sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Cicero Plus Inhalte. Dabei zahlen Sie nur so lange Sie lesen – ganz ohne Abo.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.