- Ich bin draußen
Boris Becker gibt im Twitter-Krieg ein erbärmliches Bild ab. Unser Autor hat Mitleid. Vorsicht, Glosse!
Ok, ich geb’s zu: Ich bin Kurpfälzer. Ein waschechter. Meine Krippe stand nur ein paar Kilometer entfernt von Leimen, jenem mythischen Jungbrunnen der 80er-Jahre, an dem die Legende vom rotblonden Tennis-Siegfried emporsprudelte. Und, klar: Dynamisches Tennis spielte ich damals auch, mit Hechtsprüngen quer über den Platz und so. In Schwetzingen. Es gibt also ein mächtiges Sympathiegrundrauschen zwischen Drachentöter Boris und mir. Das bringt mich auf Parties immer wieder in Erklärungsnot („Was, deeen magst Du? Geht’s noch?!“). Aber damit kann ich leben. Andere stehn auf Schumi oder Schweini. So ist das halt bei Brüdern im Geiste.
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Deshalb tut Boris mir heute wieder leid. Ich leide immer wie ein Hund, wenn Boris volle Kanne daneben drischt – was ja auch außerhalb des Centercourts leider passieren kann. Ein schlechtes, unnötiges Buch zu schreiben, um Geld zu verdienen, das man dringend braucht: Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Abgehakt und eingereiht neben Ochsenknecht, Lindemann und Co.
Im Buchmessestress die deutsche Grammatik kreativ über den Haufen zu schmeissen und dem eigenen Bonmot („Ich stolz Deutscher zu bin“) am nächsten Tag im Fernsehen als T-Shirt Slogan zu begegnen – das zeigt dem Boris, dass er noch sprachprägende Kraft hat („Bei mir gehen Kopf und Füße Hand in Hand“, „Die Guten sind immer umstritten“, „Manchmal fühle ich mich wie 40: Tennisjahre sind wie Hundejahre“). Boris ist und bleibt der Karl Kraus der Postmoderne, der Lichtenberg der Generation Y: Sein Niveau ist hoch, und keiner darf drauf.
„Der geilste Streit, seit es Twitter gibt!“
Aber das rohrkrepierte Twitterbattle mit Raab – im Webdeutsch heisst das digitale Herumpöbeln übrigens „Tweef“ – tat richtig weh. Raab macht sich im TV über Beckers Versprecher lustig, Boris zettelt auf Twitter einen Shitstorm an, der binnen Stunden zu einem leichten Diarrhö-Lüftchen abschwillt. Stell Dir vor, Du willst Dich streiten, aber keiner macht mit! Das ist die Definition des Anti-Swags. Du greifst voll ins Leere, weil niemand sich mehr für Dich interessiert.
Promi-Streiterein auf Twitter avancieren gerade zum boulevardesken Relevanzindikator: Je lauter und länger der Streit, desto wichtiger bist Du. Lily Allen versus Courtney Love, Kate Perry versus Lady Gaga, Bushido versus Kay One, Kachelmann versus Ludowig („Frau Ludowig vor der Maske ist das Bemerkenswerteste, was man in einem Leben sehen kann“) – überall wird wirkungsvoll herumgepöbelt und beleidigt, geschmacklos verleumdet und enttarnt, öffentlich beschimpft und gedisst. Das digitale Gestänkere bringt nicht nur Follower und Retweets, die die eigene Reichweite erhöhen, sondern es erzeugt vor allem Coverage in den Medien.
Der 140-Zeichen-Zoff ist mittlerweile ein Schreibanlass erster Güte. So gesehen war das Duell „Boris versus Pocher“ ein durchschlagender Erfolg. Als die beiden Herren sich vor ein paar Wochen im Netz um Beckers blondierte Ex-Verlobte und Pochers Immernoch-Gattin effektvoll und ideenreich fetzten, jubelte die Bild-Zeitung auf ihrer ersten Seite aus vollem Halse: „Der geilste Streit, seit es Twitter gibt!“.
Doch nach dem Spiel ist immer noch vor dem Spiel, Herr Becker. Die Twitter-Bühne erfordert nicht weniger Training und Vorbereitung als der Tennisplatz. „Becker versus Raab“ wurde zu einer ganz bitteren Nummer für den Herausforderer. Denn Bobbele machte einen entscheidenden Fehler: Er bat sein Twitter-Publikum im Match gegen den TV-Moderator um Hilfe: „Meine „Freunde“, sucht und findet alles, was Ihr Ueber #Raab herausbekommt und twittert es mir…alles !?!?“.
Das geht gar nicht. Das ist ungefähr so, als hätte sich Boris in einem entscheidenden Tie-Break ans Publikum gewandt und gefragt: „Aäääh, wer von Euch kann gut Tennisspielähn und will den nächsten Ballwechsel übernähmänn?“. Boris, das ist ein No go! DU bist der Star, von DIR wollen wir sehen, wie es geht, DEINE Knie müssen bluten, nicht unsere. Mal ganz abgesehen davon, dass wir uns nur ungern, nur sehr ungern sogar, als „Freunde“ in Anführungszeichen titulieren lassen.
Soziale Medien sind asozial
Ich tu jetzt einfach mal so als sei ich kein „Freund“, sondern der Günther Bosch der Sozialen Medien. Ich nehm mir den Boris behutsam zur Seite und zwitschere ihm Folgendes aufmunternd ins Ohr: „Junge, was gestern war, ist vergessen. Morgen gewinnst Du wieder“. Boris’ Miene hellt sich sichtbar auf. Ich zwitschere weiter: „Wenn Stimmung ist, egal ob für oder gegen Dich, dann baut Dich das auf, Mann!“ Jetzt gleitet sogar ein Lächeln über Beckers Gesicht. Er gewinnt wieder Selbstvertrauen. Und dann kommt mein großer Motivationscoup. Ich starte den total recall: „Boris, erinnere Dich an 1999. AOL. Verdammt nochmal, Du warst doch der erste, der DRIN war. Im Netz. Mach endlich was draus!“
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Die sozialen Medien strafen jeden ab, der sich hilflos zeigt. Sie sind alles andere als sozial. Sie sind zutiefst asozial. Das zeigen die Promi-Tweefs: Wer sein Ding nicht gnadenlos alleine durchzieht, ohne Rücksicht auf Verluste, um den wird es ganz schnell einsam und dunkel. Boris Becker ist der Inbegriff des einsamen Fighters. Deshalb bewunderten wir ihn. Es ist an der Zeit, dass er in Twitter das Wimbledon-Feeling abruft. Sonst ist er der erste der Promis, der von der neuen, schrillen Bühne des digitalen Center-Courts verschwindet. Ohne, dass jemand ihm einen Tweet nachzwitschert.
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