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Verführung auf Russisch - Putin packt die Deutschen bei der Vergangenheit

Die Putin-Versteher verteidigen eine Politik, die sie angesichts der deutschen Vergangenheit ablehnen sollten. So hat Putin in der Krim-Krise aus zu vielen Deutschen Revanchisten in eigener Sache gemacht

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Moritz Schuller ist Kommentator beim Berliner Tagesspiegel

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Die Krim-Krise war der Test, auf den sich die Deutschen in jahrzehntelanger antifaschistischer Kleinarbeit vorbereitet hatten. Ein Autokrat verleibt sich in Europa mithilfe von völkischen Argumenten militärisch einen Teil des Nachbarlandes ein – ist das gut oder schlecht? Jeder Erstklässler, ob links oder rechts, sollte da eigentlich die Hand heben können, und doch fällt vielen in Deutschland die Antwort darauf erstaunlich schwer.

Weil das kulturelle Band zwischen Deutschland und Russland so stark ist? Weil Tschechow in Badenweiler gestorben ist und Dostojewski in Baden-Baden so viel Geld verspielt hat? Weil die Russen dem Theaterregisseur Peter Stein schon 1978, „mit mehr oder weniger Wodka im Blut“, großherzig Königsberg angeboten haben?

Nein, weil Wladimir Putin die Deutschen dort erwischt hat, wo sie offenbar noch immer verwundbar sind: bei ihrer eigenen Vergangenheit.

Deutsche Sympathien für einen Führer


In seiner Rede nach der Krim- Übernahme richtete sich Putin direkt an die Deutschen, mit dem Argument, dass doch gerade sie Verständnis für eine solche völkische Wiedervereinigung haben müssten. Das klang nach 1990, doch die historische Analogie waren die 1930er Jahre, als Deutschland nicht friedlich, sondern militärisch seine Volksgenossen einzusammeln begann. „Ich mache doch nichts anderes als ihr“, lautete Putins Botschaft an die Deutschen. Und diese Botschaft ist angekommen. „Putin hat hundertmal recht auf der Krim“, sagt Peter Scholl-Latour, und Peter Gauweiler von der CSU sagt: „Wenn Deutschland und Russland gute Beziehungen hatten, dann war das immer gut für Europa.“ Darüber denken unsere Nachbarn, die sich noch an den Hitler-Stalin-Pakt erinnern können, etwas anders.

Auch in den USA oder in England gibt es Verständnis für Putin und Verteidiger seines Vorgehens. Doch nur an Deutschland hat er einen solchen Verständnispakt herangetragen – und nur hier existiert die dazugehörige historische Folie. Wladimir Putin verführt die Deutschen dazu, machtpolitische Sympathien für einen Führer zu hegen, der ein gedemütigtes Volk aus dem Chaos und der Armut der Jelzin-Jahre wieder zu alter Größe emporführt. Er verführt sie, sich als Anti-Westler einzureihen und im Chor mit Moskau den Amerikanern und Engländern ihren Kapitalismus und ihre Völkerrechtsverlogenheit endlich einmal um die Ohren zu schlagen. Für den russischen Präsidenten distanziert sich ein ehemaliger deutscher Kanzler sogar von seiner eigenen Politik im Kosovo.

Russland lebt in einem asymmetrischen Geschichtsbild


Putin schafft es, dass viele in Deutschland plötzlich verteidigen, was sie an ihrer Vergangenheit niemals zu verteidigen gewagt hätten: dass nämlich schon einmal ein Volk, gedemütigt durch Versailles, nach dem Chaos und der Armut der Weimarer Republik, einfach nur seine Volksgenossen heim ins Reich geholt hat. Putins Angebot war infam, weil es den Deutschen ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit unterstellte. Infam, weil dadurch seine Verteidiger, von Gauweiler bis Wagenknecht, zu Verteidigern einer Politik werden mussten, die sie angesichts der deutschen Vergangenheit fundamental ablehnen sollten. In der Krim-Krise hat Putin aus zu vielen Deutschen Revanchisten in eigener Sache gemacht.

Es ist vielleicht nicht erstaunlich, dass das Mammut Russland nach Jahren im sowjetischen Eis noch immer in längst vergangenen politischen Kategorien denkt und historische Rechnungen begleichen will, für die es keine Schuldner mehr gibt. Russland lebt, wie im vergangenen Jahrzehnt auch noch Polen, mit einem asymmetrischen Geschichtsbild.

Eigentlich sollten die antifaschistischen Alarmanlagen aufschrillen


Erstaunlich ist vielmehr, dass es in Deutschland, weltweit gepriesen für den Umgang mit der eigenen Geschichte, für diese Haltung so viele Ansprechpartner gibt. Dass nach all den Jahren der Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ die vermeintliche Identifikation von Volk und Führer in Russland so unkritisch übernommen wird; dass die demokratische Schwäche des Landes und seiner Institutionen nicht ausreichend Anlass ist, Putin zu misstrauen; dass die heroisierende Inszenierung einer Führungsfigur nicht bereits alle antifaschistischen Alarmanlagen in Deutschland aufschrillen lässt; dass die Bereitschaft, sich auf das Weltbild des Autokraten Putin einzulassen, so groß ist, ebenso groß, wie die Bereitschaft, sich vom Westen zu distanzieren.

Putin hat den Deutschen das Angebot gemacht, anders auf ihre Vergangenheit zu blicken. Es ist erschreckend, wie viele plötzlich nicht einmal die einfachen Fragen zur eigenen Geschichte beantworten können.

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