- „Argumente, die bei der Bevölkerung ziehen“
Am Sonntag stimmt die Schweiz über die Ecopop-Initiative ab, die zum Schutz der Natur die Zuwanderung begrenzen will. Ihr Präsident André Welti erklärt im Cicero-Online-Interview, dass die Initiative nichts mit Ausländern zu tun habe: Sie richte sich eigentlich gegen den Schweizer Kapitalismus
Cicero Online: Herr Welti, Sie möchten Zuwanderung in die Schweiz begrenzen und begründen das mit dem Naturschutz. Ihre Ecopop-Initiative steht für „Ecologie et Population“, also Umwelt und Bevölkerung. Im Initiativtext steht „der Bund strebt auf dem Gebiet der Schweiz eine Einwohnerzahl auf einem Niveau an, auf dem die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft sichergestellt sind“. Was meinen Sie damit? Die Schweiz ist doch schon lange kein Selbstversorger mehr. Man braucht sich nur die Importe von Konsumgütern anzuschauen.
André Welti: Ja, das war die Schweiz auch noch nie. Es geht um die Landschaft, den Reichtum an Pflanzen und Tieren, den wir als Menschen in der Schweiz bedrohen. Viele Menschen scheinen vergessen zu haben, dass wir total und immer von der Natur abhängen.
Um die Natur nicht weiter zu belasten, wollen Sie eine Schweiz mit maximal neun Millionen Einwohnern. Das soll über die Zuwanderung geregelt werden: Um höchstens 0,2 Prozent darf die Schweizer Bevölkerung durch Immigranten zunehmen. Wie kommen Sie auf genau diese Zahlen?
Es gibt drei Szenarien für das Bevölkerungswachstum der Schweiz bis 2050. Mit den neun Millionen orientieren wir uns an der mittleren Hypothese des statistischen Bundesamts. Die 0,2 Prozent orientieren sich an dem Wert, um den die Bevölkerung in der Europäischen Union jährlich durch Zuwanderung wächst.
Es geht Ihnen explizit um die Begrenzung von Zuwanderung. Sind denn Schweizer besser für die Natur als Immigranten?
Nein, natürlich belasten die Schweizer die Natur mindestens so schlecht wie jeder andere. Ob der Pass nun blau, braun oder rot ist, spielt wirklich keine Rolle. Ich bedaure, dass wir bei der Zuwanderung ansetzen müssen, schließlich habe ich selbst eine Großmutter aus Niederschlesien, eine aus Italien. Es ist schlicht die einzige Möglichkeit, die wir haben.
Dann verhindern Sie mit der Initiative künftige Familiengeschichten wie Ihre eigene.
So dramatisch ist es nicht: Wenn heute jährlich drei Personen aus der EU in Schweiz einwandern, dann könnten nach unserer Initiative noch zwei einwandern. Es ist eine maßvolle Initiative, fast ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich sage es noch einmal: Zuwanderung ist das Einzige, was wir steuern können. Wir leben schließlich in einer Demokratie, wo sich die Familienplanung glücklicherweise der staatlichen Intervention entzieht. Nicht so wie in China, wo man auch mal schnell eine Ein-Kind-Politik durchführen kann.
Auf Familien wollen Sie dennoch Einfluss nehmen – auf die in Entwicklungsländern. Der Bund soll künftig 10 Prozent der Mittel in die Förderung der freiwilligen Familienplanung stecken, die für gewöhnlich in Entwicklungszusammenarbeit fließen. Mehr Geld für Verhütungsberatung statt wirtschaftlicher Entwicklungshilfe also?
In Europa können Sie sich überall informieren, Krankenhäuser haben gut ausgebaute Möglichkeiten, um in Sachen Familienplanung zu beraten. Das soll es in weniger gut entwickelten Ländern auch geben.
Sollte man nicht sagen: Mehr Geld in die Entwicklungszusammenarbeit? Schließlich würden dann weniger Wirtschaftsflüchtlinge kommen, wenn es ihnen in den Herkunftsländern gut geht.
Unsere Initiative sagt ja nicht: Die klassische Entwicklungshilfe muss darunter leiden. Wir hätten gar nichts gegen die Aufstockung des Etats für Entwicklungszusammenarbeit. Wenn wir die Situation in Auswanderungsländern substanziell verbessern könnten, wäre natürlich das eine super Sache. Es wandert niemand wirklich freiwillig aus. Man braucht immer einen Leidensdruck.
Unter einem solchen Leidensdruck steht die Schweizer Natur – wegen des Bevölkerungswachstums. Diese Annahme steht hinter Ihrer Initiative. Auch die „Initiative gegen Masseneinwanderung“, die Anfang des Jahres vom Schweizer Volk angenommen wurde, argumentierte mit der Natur, die es vor zu vielen Menschen zu schützen gelte. Ein glühender Verfechter dieser rechtspopulistischen Initiative war Ständerat Thomas Minder. Der trommelt auch für die Ecopop-Initiative. Das alles soll Zufall sein?
Sehen Sie, man nimmt die Argumente, die bei der Bevölkerung ziehen. Wenn Sie in der Schweiz rechts außen stehen, dann nutzen Sie auch ein linkes Argument, um die eigenen Ziele zu erreichen.Unsere Initiative, die kann man gut oder schlecht finden, ist ernst gemeint.
Sie würden also sagen, das wäre eine linke Initiative, der zu Unrecht versteckter Rechtspopulismus unterstellt wird?
Ja, wir werden in die falsche Ecke gestellt. Wir sind eine linke Initiative, die mit Ausländern nichts zu tun hat. Wir wollen eigentlich das immerwährende Wachstum der Wirtschaft stoppen, das eben durch mehr Leute noch mehr befeuert wird.
Sie hätten auch genau dieses Wachstum per Initiative begrenzen lassen können. Aber es geht doch gegen die Ausländer.
So ein Initiativtext muss laut Schweizer Staatsrecht verständlich, kurz und auf eine Sache bezogen sein.
Zum Beispiel auf Zwangsabgaben für Unternehmen, die zu stark wachsen.
Wirtschaftswachstum hat zu viele Facetten, um das mit einer Initiative abzudecken. Sie können nicht mehrere Maßnahmen fordern. Es tut mir Leid, dass die Zuwanderer betroffen sind. Aber feststeht: Die Natur leidet unter den Menschen und unter der zu starken Wirtschaft. Wir sind Opfer unseres eigenen wirtschaftlichen Erfolgs geworden.
Träger dieses Erfolgs sind Großkonzerne wie Novartis und der Bankensektor. Wollen Sie also zurück zum Agrarstaat?
Nein, das ist keine Option. Aber weniger wäre sicher mehr.
Das kann man auch auf das Einkommen übertragen. In Ihrer Argumentation für die Initiative im Internet heißt es: Mehr reale Kaufkraft führt „zu einem höheren Konsum, der sich in einer entsprechend höheren ökologischen Belastung äußert“. Sollte man sich dann nicht die 237.000 Millionäre in der Schweiz vorknöpfen, oder sollte gleich die reiche Schweiz insgesamt ärmer werden?
Es gibt ja schon Millionärs- und Vermögenssteuern. Aber ja, wir Schweizer sollten bescheidener werden. Wir haben einfach sehr viele Möglichkeiten, das viele Geld auszugeben. Manche fliegen für den Sommerurlaub nach Dubai – das hat Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum und die Natur. Und viele wollen ein Einfamilienhaus, am besten stadtnah und mit Pseudogarten.
Sie fürchten diese Ausbreitung der Schweizer Städte.
Vor allem im Mittelland wird die Schweiz zunehmend dicht besiedelt. Man kann das als nostalgisch bezeichnen, aber wir wollen eben kein Lagos und kein Mexico City, das sich zwischen Bodensee und Genfer See ausbreitet.
Das ist doch eine Dystopie.
Vermutlich wird das auch nicht passieren. Aber wenn Sie vom Bodensee nach Bern fahren, finden Sie kaum eine freie Fläche über vier Kilometer. Dort steht immer etwas, sei es ein Einfamilienhaus oder eine Garage. Das Auge findet keine Ruhe.
Also ist es ein raumplanerisches Problem.
Ja, die Schweiz hat eine miserable Raumplanung. Die Organisation, in der ich bis zu meiner Pension 30 Jahre gearbeitet habe, hat deshalb immer für ein besseres Raumplanungskonzept geworben. Erfolglos. Es gab auch schon viele Initiativen, die darauf abgezielt haben. Die wurden aber nicht angenommen.
Herr Welti, vielen Dank für das Gespräch.
André Welti (65) ist Präsident der „Vereinigung Umwelt und Bevölkerung“ – zu Französisch „Ecologie et Population“, kurz Ecopop. Unter diesem Namen lancierte der Verein die Initiative „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“, über die die Schweiz am Sonntag abstimmt.
In einer früheren Version des Interviews wurde fäschlicherweise André Welti folgender Satz über Thomas Minder zugeordnet: „Er ist schlicht unehrlich.“
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