- Pakistan, das gefährlichste Land der Welt
Der Terroranschlag in Lahore zeigt: Die Talibanisierung der pakistanischen Gesellschaft hat dramatische Ausmaße angenommen. Umso bedenklicher ist es, dass die USA und Saudi-Arabien ihren Einfluss in der Region schon vor einiger Zeit verspielt haben
Der schreckliche Anschlag von Lahore, dem überwiegend Frauen und Kinder zum Opfer fielen, hat die schnelllebige Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Pakistan gelenkt, was selten genug vorkommt. Immerhin handelt es sich bei Pakistan um einen Staat, der mehr Einwohner als Russland zählt, von beträchtlicher strategischer Bedeutung ist und über Atomwaffen verfügt.
Während lange Zeit die Gefahr einer iranischen Atombombe in der westlichen Weltöffentlichkeit bis zur Hysterie aufgebauscht wurde, nahm kaum jemand zur Kenntnis, dass im benachbarten Pakistan die Taliban an den Toren zur Macht stehen. Nicht umsonst handelte sich Pakistan unter Experten den unrühmlichen Titel ein, eines der gefährlichsten Länder der Welt zu sein.
Der pakistanische Taliban-Experte Ahmed Rashid wies darauf hin: Ohne Pakistan sind die Probleme in Afghanistan nicht lösbar. Die afghanischen Taliban haben sich teilweise auf pakistanisches Gebiet zurückgezogen, in die unzugänglichen Berggegenden Waziristans. Diese Region steht nur noch theoretisch unter der Hoheit der pakistanischen Administration. Die afghanischen Taliban genießen dort, von wo aus sie ihre Operationen starten, sogar teilweise den Schutz ihrer pakistanischen Brüder.
Misstrauen zwischen den USA und Pakistan
Afghanistan und Pakistan sind schicksalhaft miteinander verbunden. Das hat drei Gründe: das demographische Gewicht Pakistans, sein Einfluss auf die Paschtunen im Süden Afghanistans und die geographische Nähe der beiden Länder. Die Armee Pakistans steht unter einem enormen Druck, ebenso die politische Klasse. In der Bevölkerung wächst der Unmut gegenüber den USA. Viele Pakistaner denken trotz finanzieller Unterstützung aus Washington nicht mehr, dass die Zusammenarbeit mit dem Westen für ihr Land gut sei. Des Öfteren starben pakistanische Truppen durch „friendly fire“, kamen Zivilisten durch US-Drohnen ums Leben, wurde die Souveränität Pakistans verletzt. Andererseits misstrauen die Amerikaner der politischen Führung Pakistans. Für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist das alles andere als hilfreich.
Bruce Riedel, ein früherer CIA-Analyst und maßgeblicher Schöpfer von Obamas Strategie für Afghanistan und Pakistan (AfPak), warnte schon vor Jahren davor, dass der pakistanische Staat Dschihadisten zum Opfer fallen könnte. Atomwaffen in deren Händen wären ohne Frage eine der größten Bedrohungen für die Weltgemeinschaft überhaupt.
Die Gefahr ist real, denn die Talibanisierung der pakistanischen Gesellschaft hat dramatische Ausmaße angenommen. Die urbane Mittelschicht droht zwischen den Extremen aufgerieben zu werden. Die Inkompetenz der Regierung ist diesbezüglich auch wenig hilfreich.
Einzig Peking gewährt Pakistan diplomatische Unterstützung. Die Achse Peking-Islamabad existiert ja schon lange, was beiden Staaten ins geopolitische Konzept passt, um Indiens Handlungsspielraum einzudämmen.
Unterschiede zwischen afghanischen und pakistanischen Taliban
In den westlichen Medien werden die Taliban häufig als einheitlicher, monolithischer Block porträtiert. Dabei gibt es große Differenzen zwischen den Terrorgruppen.
Zwar haben sich die afghanischen Taliban teilweise auf pakistanisches Territorium zurückgezogen, wo es zu einem Austausch kommt, zur gegenseitigen Unterstützung und zur gemeinsamen Planung von Terroranschlägen. Die pakistanischen Taliban aber haben ein ganz anderes soziales Netzwerk und eine andere politische Zielsetzung als ihre Verbündeten in Afghanistan.
Die paschtunische Volkszugehörigkeit − die Paschtunen sind eine indoarische Ethnie, die auf beiden Seiten der Grenze lebt − spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.
Die pakistanischen Taliban haben das Ziel, ein islamistisches System in Pakistan zu errichten. Sie haben Stützpunkte im Punjab, in Sindh und anderen Regionen Pakistans. Die pakistanischen Taliban setzen sich schon lange nicht mehr nur aus Paschtunen zusammen, sondern haben sich zu einer nationalen Bewegung entwickelt, in der man alle Volksgruppen findet. Anders in Afghanistan: Dort gehören mehr als 90 Prozent der Taliban der Volksgruppe der Paschtunen an.
Saudischer Wahhabismus
Die saudische Außenpolitik in den 1980er und 1990er Jahren hatte einen unglaublich negativen Einfluss auf die Stabilität in der gesamten Region. Der Wohlstand der Saudis beziehungsweise die Art, wie dieser Wohlstand verwendet wurde, um radikalislamisches Gedankengut zu verbreiten, hat viele der heutigen Konflikte mitverursacht. Die Verbreitung des Wahhabismus, der saudischen puritanischen Form des Islams, in der jüngeren Vergangenheit hat die Saat gelegt für die heutigen Probleme. Nicht nur in Afghanistan und nicht nur in Pakistan. Die USA haben ihrerseits die Mudschaheddin in Afghanistan gegen die einfallende Rote Sowjet-Armee aufgerüstet. Die Chance zur Befriedung der Region wurde somit von beiden Seiten vertan.
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