- Madam No aus Fermanagh
Premierministerin Theresa May ist bei ihrer Regierungsbildung auf die Unterstützung der nordirischen DUP angewiesen. Wofür stehen die Partei und ihre Vorsitzende Arlene Foster? Ein Porträt
Zehn Tage nach dem Donnerschlag, dem Brexit-Votum, kam Nordirlands Erste Ministerin, Arlene Foster, an der Spitze einer Regierungsdelegation zur Nachbarin nach Dublin. Der Nord-Süd-Rat, ein Kind des Friedensabkommens vom Karfreitag 1998, war eiligst einberufen worden, um gemeinsam über die Konsequenzen zu brüten. Erwartungsgemäß lehnte Foster die Idee der irischen Regierung ab, eine paritätische Beratungsgruppe einzusetzen.
Foster sagt gerne Nein. So schlug sie auch eine Einladung der irischen Regierung aus, zu den Feierlichkeiten im Gedenken an den 100. Jahrestag der irischen Osterrebellion zu kommen. Und natürlich hatte sie einst das Karfreitagsabkommen verworfen.
Kindheit im Terror
Wer Arlene Isabel Foster, geborene Kelly, ergründen will, muss ihre Herkunft verstehen. Als sie 1970 geboren wurde, stürzte Nordirland gerade in den Abgrund eines mörderischen Konflikts, der fast 30 Jahre lang wüten sollte. Sie wuchs in der Grafschaft Fermanagh auf, unweit der irischen Grenze. Während ihrer Jugend waren die Brücken gesprengt, Landsträßchen blockiert worden, um der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) die Logistik zu erschweren.
Die protestantischen Bauern entlang der Grenze kamen schon bald zur Einsicht, dass die IRA einen Genozid plante: Deren Kämpfer, so die nicht ganz an den Haaren herbeigezogene Unterstellung, ermordeten protestantische Bauern, um das Land in katholische Hände zu bringen. Terror in Reinkultur. Eine von Fosters Nachbarinnen in genau dieser Gegend, Esther, sagte mir 1988 anlässlich eines Gesprächs: „Wir glauben, dass wenn jemand erschossen wird, dann sind es nicht unsere Nachbarn, die ihn erschießen, aber es ist der Nachbar, der die Einzelheiten an die Leute, die so was tun, weitergibt – was das Opfer tut, wohin es mit seinem Auto fährt. In unserer Gegend werden Sie keinen Protestanten finden, der seinen katholischen Nachbarn vorbehaltlos traut. Ich jedenfalls nicht.“
Außerhalb bekannter Muster
In diesem Klima also wuchs Arlene Foster auf. Ihr Vater diente in der verhassten Reserve der nordirischen Polizei, der Royal Ulster Constabulary. Das machte ihn in den Augen der IRA zum „legitimen Zielobjekt“. Tatsächlich wurde ein Bombenanschlag auf ihn verübt. Später wurde Arlenes Schulbus bombardiert, angeblich, weil der Fahrer im ebenfalls verhassten Ulster Defence Regiment diente.
Und doch: Foster durchbricht herkömmliche Muster. Nicht bloß, weil sie weiblichen Geschlechts in einer altmodischen Männerpartei ist, sondern weil sie aus der westlichen Hälfte Nordirlands kommt, von West of the Bann, dem Fluss. Dort sind die Protestanten in der Minderheit, das dämpft in der Regel ihre rabiateren Instinkte. Ferner gehört Foster der Church of Ireland an, der anglikanischen Minderheitskirche unter den mehrheitlich presbyterianischen Nordiren.
Nach ihrem Jura-Abschluss an der Queen’s-Universität von Belfast praktizierte die junge Anwältin in der Kreisstadt Enniskillen, wo die IRA 1987 elf Protestanten ermordete, während sie der Kriegsgefallenen gedachten. Die Motivation dieses Anschlags war konfessionell. Gleichzeitig engagierte sich Foster in der damals noch dominanten Protestantenpartei, der Ulster Unionist Party (UUP). Sie klomm rasch die Karriereleiter empor.
Befürworterin des Brexits
Doch nach dem Karfreitagsabkommen gehörte sie zu einer Fraktion der UUP, die Widerstand gegen den Friedenskurs ihres Parteichefs David Trimble leistete. Die jungen, erstklassig erzogenen Rebellen wurden spöttisch als „Baby Barristers“ bezeichnet, als Baby-Anwälte. 2004 schließlich wechselte sie die Seite und trat zu Pfarrer Ian Paisleys Democratic Unionist Party (DUP) über, die in der Zwischenzeit die UUP vom Spitzenplatz verdrängt hatte.
Nun steht sie an der Spitze der presbyterianisch geprägten DUP, die ihren Schwerpunkt in der Osthälfte Nordirlands hat. Ihre Entscheidung, die DUP auf Brexit-Kurs zu steuern, wurde zwar von ihren Wählern gedeckt, erscheint aber dennoch pervers: Nordirland als Ganzes stimmte mit knapp 56 Prozent für den Verbleib in der EU, doch das war allein dem nahezu geschlossenen Stimmverhalten der Katholiken zuzuschreiben. Die Mehrheit der Protestanten befürwortete den Austritt aus der EU, die jährlich Millionen in die eigentlich bankrotte Provinz pumpt.
Erneute Grenze wäre absurd
Ferner ließen diese Brexit-Protestanten fahrlässig außer Acht, dass ein Austrittsvotum die schottischen Gelüste nach Unabhängigkeit schüren würde. Sollte Schottland den Staatsverband verlassen, würden die nordirischen Protestanten in eine tiefe Identitätskrise gestürzt, denn ihre Loyalität zur britischen Krone braucht die schottischen Vettern als Transmissionsriemen. Sie misstrauen den Engländern oft ebenso inbrünstig wie ihre katholischen Nachbarn.
Und schließlich will niemand auf der Insel Irland, dass neue Grenzpfähle errichtet werden – gerade im Grenzland von Fermanagh. Foster ist auf Unterstützung aus der Republik angewiesen – sie wird lernen müssen, Ja zu sagen.
Dieser Text erschien in der Cicero-Ausgabe vom August 2016, die Sie in unserem Online-Shop nachbestellen können.
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Danke für diese Informationen. Freue mich immer über unaufgeregte Beiträge zum Thema. Bei der "Welt" gibts ja leider derzeit keinen Artikel über Großbritannien, in dem man nicht schadenfroh oder höhnisch über May, den Brexit, die Wahlen oder die Koalitionsverhandlungen schreibt. Irgendwie schlimm zu sehen, was aus einst seriösen Medien geworden ist.