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Intellektuelle Fronten - Der Glaubenskrieg um Russland

Der Krieg in der Ukraine hat Deutschland geteilt. Zwei Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber, „Russlandversteher“ und „Russlandgegner“. Innerhalb dieser Lager kommt es zu ungewöhnlichen Allianzen

Autoreninfo

Andreas Steininger ist ausgebildeter Jurist und Ingenieur. Nach mehrjähriger Tätigkeit in Aserbaidschan und Russland wurde er als Professor für Wirtschaftsrecht an die Hochschule in Wismar berufen. Zusammen mit dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement gründete er 2009 das Ostinstitut Wismar (www.ostinstitut.de), das Wirtschaftsjuristen für deutsche Unternehmen in Russland ausbildet.

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Der Krieg in der Ukraine hat auch einen in Deutschland seit Jahren schwelenden Konflikt zweier Lager befeuert, die sich mittlerweile scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen und jede Talkrunde zu diesem Thema zu einer sehr vorhersehbaren Veranstaltung werden lassen: "Russlandversteher" auf der einen und "Russlandgegner" auf der anderen Seite.

Beachtenswert dabei ist, dass die Russland- bzw. Ukraine-Krise in Deutschland zu Koalitionen von Personen und Vereinigungen geführt hat, die sich normaler Weise nicht einmal die Hand geben würden. Parteipolitische Grenzen werden gesprengt, Vertreter der Wirtschaft verbünden sich mit Linken, Grüne und Wertkonservative sind auf einmal einer Meinung, bisherige Gegner werden zu Freunden und umgekehrt.

Wer sind aber die Protagonisten der Russlandbefürworter und Russlandgegner in Deutschland? Der Versuch eines Überblicks.

Die "Russlandgegner"
 

1. Die Menschenrechtler und Werteverteidiger

Eine starke Gruppe der Russlandgegner wird vor allem von den Verteidigern der Menschenrechte und demokratischer Werte gebildet, wobei sich hier eine parteiübergreifende Koalition bildet. Sie sehen sich als moralische Instanz, die aufgrund der Höhe der von ihnen verteidigten Rechtsgüter einfach im Recht sein muss. Jede Relativierung und Versuch eines Kompromisses erscheint daher gleich wie ein Verrat an diesen übergeordneten Werten. Diese Gruppe geht sogar soweit, diese Ideale im Zweifel mit „robusten“ Mandaten, also durchaus auch mit militärischer Unterstützung in der Ostukraine durchzusetzen. Hierbei dient der – nicht zu leugnende – Völkerrechtsbruch Russlands als argumentative Begründung.

Das Gefühl der moralischen Überlegenheit führt teilweise auch zu einer gewissen Arroganz, mit der Argumente der so genannten Russlandversteher, die in einem Aufruf in der „Zeit“ zur Besonnenheit mahnten, einfach weggewischt werden. Da zählt nicht einmal, dass es sich hierbei um ehemalige Politiker mit zusammengenommen Jahrhunderten an Erfahrung im außenpolitischen Bereich handelt.

Dies ist umso verwunderlicher, als dass solche Forderungen nach harten Maßnahmen zum Schutz westlicher Werte bisweilen aus der Richtung politischer Parteien und Organisationen kommen, die eigentlich der Friedensbewegung zuzurechnen sind. Einer der theoretischen Hintergründe hierfür ist wohl zum einen eine stark antifaschistische Ausrichtung dieser Organisationen und NGOs, die in Russland ein autoritär bis faschistisch geführtes Land sehen, dessen Führung auf jeden Fall bekämpft werden muss.

2. Die konservativen Russlandgegner

a. Bürgerrechtler

Die erste Untergruppe wird aus den Vertretern der Bürgerrechtsbewegung gebildet, insbesondere aus der ehemaligen DDR, welche die Erfahrung gemacht hat, dass eine freiheitlich orientierte Bewegung immer zu einer Besserung der Verhältnisse führt und die somit automatisch auf Seiten der Bürgerrechtsbewegung in der Ukraine und gegen pro-russische Einflüsse stehen. Sie sind quasi per se mit jeder Bürgerrechtsbewegung – so auch in der Ukraine – solidarisch. 

In Russland ist eine solche Revolution „von unten“ zurzeit völlig undenkbar; die Unterstützung Putins Politik in der Bevölkerung ist dafür viel zu groß. Insofern kommt diese bürgerrechtliche Unterstützung nur in Teilen der ukrainischen Bevölkerung gut an und in Russland gar nicht  – oder ist dort sogar kontraproduktiv.

b. Die Transatlantiker

Eine zweite Untergruppe der Konservativen sind die so genannten „Transatlantiker“, die vornehmlich aus dem Westen der Republik stammen und grundsätzlich eher geneigt sind, amerikanischen Vorgaben zu folgen. Für sie ist die USA immer noch der Garant für Stabilität und Sicherheit.

Dabei übersehen sie allerdings die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen den USA und Europa. Zum einen ist die große geographische Entfernung zwischen den USA und dem Konflikt in der Ukraine sicherlich ein Grund für führende Vertreter der amerikanischen Administration, forsch aufzutreten. Zum anderen sind vom wirtschaftlichen Standpunkt her Russland, die Ukraine und Osteuropa insgesamt sowie der Frieden in dieser Region für die USA wohl weniger bedeutend, als für Europa und insbesondere Deutschland. Beispiel hierfür ist die Energieabhängigkeit Europas von Russland.  

c. Die „kalten Krieger“

Unter den Konservativen gibt es dann schließlich noch die Gruppierung, die man die „alten kalten Krieger“ nennen könnte. Sie stützen ihre Forderung, Russland gegenüber unnachgiebig aufzutreten, vor allem auf die Erfahrung aus dem kalten Krieg.

Problematisch bei dieser Ansicht ist allerdings, dass sich die Situationen damals und heute nur schwer vergleichen lassen. Handelte es sich etwa zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses um zwei monolithische Machtblöcke, die sich mit hochgerüsteten Waffenarsenalen gegenüber standen, so ist das Bild heute wesentlich differenzierter: es gibt nur noch einen militärischen Machtblock, nämlich die NATO, die sich auf Bitten der Länder wie Polen, der baltischen Staaten, Tschechien auch noch nach Osteuropa ausgedehnt hat. Die Machtstrukturen und Interessen sind sowohl in Russland auch in der westlichen Welt viel heterogener. Und vor allem: die Stimmung in Russland ist aufgeheizt, vielleicht sogar aggressiver als im kalten Krieg, so dass jede weitere „Provokation“ aus dem Westen begehrlich aufgenommen wird, um selber wieder Maßnahmen zur Aufrüstung und Eskalation einzuleiten. Auch ist Russland wirtschaftlich wohl nicht angeschlagen genug, um in absehbarer Zeit einzuknicken.

3. Völkerrechtler

Auch die Völkerrechtler stehen geschlossen gegen Russland. Das wichtigste völkerrechtliche Argument zulasten Russlands ist nicht nur der klare und unbestreitbare Bruch des Völkerrechts durch die Annexion der Krim, sondern auch, dass alle Völker selbstbestimmt darüber entscheiden sollten, welchen Bündnissen, also der EU oder gar der NATO angehören sollten. Vergleiche mit möglichem völkerrechtswidrigem Verhalten des Westens, etwa im Beispiel des militärischen Eingreifens des Westens im Kosovo, werden aufgrund der damaligen Bedrohungslage als nicht vergleichbar angesehen. Tatsächlich lässt neben dem Verweis auf Menschenrechte das Völkerrechtsargument kaum einen Widerspruch zu. Durch den Begriff des „Rechts“ wird dieses Argument geadelt und wie eine objektive Tatsache über die Politik gestellt. Schließlich ist Russland auch Mitglied des Europarates und hat dementsprechend die Menschenrechtskonvention zu achten.

Problematisch ist hierbei jedoch, dass die bindende Wirkung des Völkerrechts nur rudimentär ist und vor allem auf allgemeiner Akzeptanz beruht bzw. darauf, dass sich die Staaten dem Völkerrecht unterwerfen. Damit geht das Völkerrecht wieder in Politik über. Das nationale Wohl bzw. politische Aspekte werden mit Völkerrecht abgewogen.

4. Die Osteuropa-Experten

Aber auch im Kreise der Osteuropa-Experten bzw. Wissenschaftler ist die Meinung weit verbreitet, dass man Russland mit einer „klaren Kante“ begegnen müsse. Dies wird zum einen mit Verweis auf den Völkerrechtsbruch auf der Krim und nunmehr auch in der Ostukraine begründet. Häufig wird aus den Reihen der gegen Russland eingestellten Ostwissenschaftler der Vorwurf gegenüber den so genannten Russlandverstehern insbesondere aus der Wirtschaft laut, letztere seien nur auf Profite aus und ihnen fehle die notwendige Sachkenntnis.

Diese Argumentation ist jedoch gefährlich. Zum einen existiert eine Vielzahl durchaus namhafter Experten und Politiker, die sich Zeit ihres Lebens intensiv mit Russland befasst haben und trotzdem eine positivere Haltung gegenüber Russland einnehmen.

Gravierender ist jedoch, dass man mit selbiger Berechtigung fragen kann, wo denn die Experten waren, als gegenüber Russland die großen Fehler gemacht wurden, die zu der heutigen Situation beigetragen haben. Wo waren diejenigen, die sich doch aufgrund ihrer Kenntnisse und intensiven Befassung mit Russland in den vergangenen Jahren hätten merken müssen, dass sich in Russland so etwas wie ein Versailles-Effekt aufbaute, der jetzt in vollkommene Ablehnung des Westens umschlägt? Wo waren die zur Vorsicht mahnenden Stimmen, als die NATO-Osterweiterung – sicherlich mit Willen der Beitrittsländer – voranschritt? Wo waren denn die Wissenschaftler, die darauf hätten aufmerksam machen können, das es vielleicht ungeschickt ist, fünf Jahre mit der Ukraine über ein Assoziierungsabkommen zu verhandeln, ohne Russland aktiv mit einzubeziehen? 

5. Die Medien

Vielfach ist auf die Medien eingeprügelt worden, dass diese sich zu negativ gegenüber Russland äußerten. Eine solche Presseschelte ist grundsätzlich vor dem Hintergrund der Pressefreiheit abzulehnen. Allerdings muss man feststellen, dass sich zu jedem politischen Thema in der Regel zwei Lager herausbilden: zum einen die eher eine konservative Sichtweise vermittelnden Medien und zum anderen eine Presse, die tendenziell linke Positionen vertritt. Dies gilt auch bei ausländischen Themen (Beispiel: Griechenland). So entwickeln sich in der Presselandschaft normaler Weise zwei gegensätzliche Standpunkte, die eine Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln ermöglicht.

Bei Russland aber scheint die bipolare Sichtweise nur eingeschränkt zu funktionieren: begonnen bei der konservativen Presse, über die liberale bis hin zu linken Publikationen finden sich mit einigen Ausnahmen wie etwa bei der Veröffentlichung des Aufrufs in der „Zeit“ kaum Darstellungen, welche die russische Sichtweise wiederspiegeln. Beispiel ist etwa, dass in der FAZ der erwähnte Aufruf der Elder Statesmen, behutsam mit Russland zu verfahren, nicht einmal Erwähnung fand, sondern nur die Entgegnung eines ukrainischen Dissidenten. Auch Aufrufe, die Ukraine gehöre in die Nato, oder man solle wieder über atomare Abschreckung nachdenken, gehören in diese Kategorie.

Die Begründung für diese bisweilen fehlende Bipolarität ist womöglich darin zu suchen, dass die Russlandkritiker sich über das gesamte politische Spektrum erstrecken; und mit ihnen die Medien.

Die "Russlandversteher"
 

Umgekehrt stellt sich nun die Frage, aus welchen gesellschaftlich relevanten Gruppen sich die Russlandversteher rekrutieren und wie deren Motivation zu beurteilen ist.

1. Wirtschaft und Ihre Vertreter

Tatsächlich ist die Wirtschaft wohl schon seit Jahren das Einzige, was zwischen Russland und Deutschland bis zuletzt noch wirklich gut funktioniert hat. Mit über 6.000 in Russland niedergelassenen deutschen Firmen und einem Exportvolumen von immer noch um die 30 Milliarden Euro gilt Russland als ein wichtiger Pfeiler der deutschen Wirtschaft.

Daher ist es nachvollziehbar, wenn die Wirtschaft über Organisationen wie den Ostausschuss der deutschen Wirtschaft immer wieder versucht und versucht hat, Sanktionen gegen Russland zu bremsen. Darüber hinaus ist es sehr fraglich, ob die bisherigen Sanktionen geeignet sind, Russland zu einer Änderung seiner Politik zu bewegen. Die Sanktionen gegen einzelne Personen in Russland (Einreiseverbote, Kontensperrungen etc.) haben eher symbolischen Charakter. Die Sanktionen, die nach der EU/VO 833/14 so genannte Dual-Use Güter betreffen, wirken sich vor allem negativ auf den deutschen Maschinenbau-Export aus, indem viele Produkte nicht mehr ausgeführt werden dürfen und darüber hinaus eine Verunsicherung der Unternehmen eintritt.

Die gegenwärtige Rubelschwäche und damit auch Wirtschaftskrise Russlands ist allerdings eher auf den dramatisch gefallenen Ölpreis zurückzuführen, da sich Russland zu einem großen Teil über die Einnahmen der staatlichen Unternehmen aus dem Öl- und Gasgeschäft finanziert. Schließlich haben die Sanktionen auch den Nachteil, dass sie zu Gegenreaktionen Russlands und vor allem zu einer Solidarisierung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt haben.

Insoweit ist die Haltung der deutschen Wirtschaft verständlich. Allerdings muss sie sich ebenfalls Fehler entgegenhalten lassen. Wissend um ihre Bedeutung, hätten alle die Wirtschaft vertretenen Organisationen, so etwa der BDI, eine klare und unter den maßgeblichen Verbänden abgestimmte Haltung zeigen müssen: zunächst kritisierte man die Sanktionen, dann versteckte man sich hinter dem „Primat der Politik“, dann wiederum hörte man von verschiedenen Seiten der Wirtschaft, es müsse mal gut sein mit den einseitigen Sanktionen. Aber auch in Ablehnung der Sanktionen ist die Haltung der maßgeblichen Verbände nicht immer einheitlich.

2. Die Linke

Die Wirtschaft erhält bei Thema Russland eine für sie ganz ungewohnte Rückendeckung, nämlich von politisch eher links orientierten Personen, insbesondere von Mitgliedern der Linkspartei. Ohne Rücksicht auf sonstige Positionen schlägt sich die Linke auf die Seite der Sanktions-Kritiker. Allerdings ist die Motivation eine andere. Zum einen ist die Linke immer noch eine Partei, welche die Interessen früherer DDR-Bürger im Blick hat, denen es in der ostdeutschen Republik durchaus gut ging und die eine positivere Einstellung zur damaligen Besatzungsmacht, der Sowjetunion, mitbringen. Mehr noch, diese Bevölkerungsgruppen leben in dem Selbstverständnis, wesentlich besser die Befindlichkeiten Russlands nachvollziehen zu können. Man sieht Faktoren wie die NATO-Osterweiterung als Provokation Russlands und macht das Unverständnis des Westens und die auf ihre eigenen Interessen gerichtete Politik der USA für die Misere zumindest mitverantwortlich. 

Problematisch ist dabei, dass die Vertreter dieser Position häufig die Fehler, Überreaktion und auch zynische Machtpolitik Russlands ausblenden. Sicherlich trifft den Westen an der gegenwärtigen Situation eine Mitverantwortung, insbesondere im Hinblick auf das jahrelange Vorantreiben des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine ohne aktive Einbeziehung Russlands. Bei aller Kritik am Westen dürfen auf der anderen Seite die erheblichen Völkerrechtsverstöße Russlands nicht bagatellisiert werden.

3. Russlandexperten, die Russland positiv gegenüber stehen

Es existiert eine Gruppe von Russlandverstehern, die sich durchaus aus Experten rekrutiert, ohne wirtschaftliches Interesse an Russland. Diese Spezialisten zeichnet im Wesentlichen aus, dass sie der russischen Sprache zumindest ansatzweise mächtig sind, in Russland gelebt haben und sich journalistisch, politisch oder wissenschaftlich mit Russland befassen und versuchen, sich in die russische Gefühlslage einzudenken. Vertreter dieser Gruppe sind Frau Gabriele-Krone Schmalz und Matthias Platzeck, denen auch bereits eine einseitige, pro-russische Sichtweise vorgeworfen wurde.

Dieser Vorwurf kann bisweilen dadurch verfangen, dass sie auch zu leichtfertig über die Völkerrechtsverstöße Russlands hinweggehen und Verstehen-Wollen mit Rechtfertigung russischer Politik verwechseln. So musste Platzeck öffentlich zurückrudern, als er die Annexion der Krim aus den weiteren Diskussionen mit Russland scheinbar ausblendete und damit faktisch die Anerkennung dieser Okkupation in den Raum stellte. Diese Überlegung mag realpolitisch nicht abwegig sein. Selbst wenn zurzeit keiner im Ernst annehmen wird, dass die Krim wieder an die Ukraine von Russland zurückgeht, so darf man einen offenkundigen Verstoß gegen das Völkerrecht nicht so einfach „heilen“. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Lage setzen sich diese Experten zu schnell dem Vorwurf der Parteinahme zugunsten von Russland aus.

4. Die Verschwörungstheoretiker und Antiamerikanisten

Eine besondere, eher unrühmliche Blüte der Russlandversteher sind die Verschwörungstheoretiker und Antiamerikanisten. Sie sehen hinter der Ukraine-Krise einen großen Komplott der USA, dem sich die Europäische Union aufgrund von Führungsschwäche und mangels Erkenntnis nicht zu widersetzen vermag. Dieser Komplott wird nach Meinung dieser Gruppe auch noch sekundiert durch quasi-gleichgeschaltete westliche Medien, die ausschließlich antirussische Ressentiments bedienen.

Wenn auch Kritik am Verhalten des Westens und der Presse bisweilen gerechtfertigt sein mag, so schießen diese Verschwörungstheoretiker meilenweit über das Ziel hinaus und machen sich unglaubwürdig und lächerlich. Da werden neben nicht beweisbaren Behauptungen einer globalen amerikanischen Verschwörung auch schlicht Unwahrheiten offeriert, so dass die Ukraine einzig ein von der westlichen Welt aufrechterhaltenes Konstrukt sei, um Russland zu schwächen. Solche Darlegungen, die zwangsläufig der Gruppe der Russlandversteher zugerechnet werden, gefährden seriöse Meinungsäußerungen aus dieser Richtung. Insofern ist diese Art der Radikalisierung nicht nur nicht hilfreich, sondern ausgesprochen schädlich für alle, die gegenüber Russland eine vermittelnde Haltung einnehmen wollen.

So stehen sich Russlandgegner und Russlandversteher scheinbar unversöhnlich gegenüber – wenn auch aus verschiedenen Beweggründen. Die Verschiedenartigkeit der Motivationen führt zu der eigenartigen Koalitionsbildung, welche die üblichen parteipolitischen Schemata und die Einordnung in Konservative und Linksgerichtete sprengt.

Alle beharren auf ihren Positionen, was unter anderem auch daher rührt, dass man sich in der Regel nur im Kreise Gleichgesinnter austauscht. Die Argumente werden weitgehend schematisch abgespult, die Fronten sind festgefahren, ein wirkliches Eingehen auf die Position des jeweilig anderen ist nicht zu finden. Dabei gäbe es Anlass zum Kompromiss, denn alle Meinungsrichtungen weisen Schwächen in der Argumentation auf.

Die Pattsituation zwischen den beiden in Deutschland bestehenden monolithischen Blöcken der Russlandversteher und Russlandgegner verhindert die Entwicklung neuer Lösungsansätze. Bislang ist von westlicher Seite außer Sanktionen  kein strategischer Vorschlag gekommen, der – insbesondere für die Ukraine – eine langfristige Perspektive eröffnete.

Beispiel hierfür wäre etwa der Vorschlag für eine föderale Struktur der Ukraine, die den ostukrainischen Gebieten eine gewisse Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Kiev ermöglichen würden.

Aber: Wie sollen wir eine Lösung des Konfliktes in der Ukraine erwarten, wenn sich nicht einmal in Deutschland Russlandversteher und Russlandgegner konstruktiv miteinander verständigen können?

 

Andreas Steiniger gründete zusammen mit dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement 2009 das Ostinstitut Wismar, das Wirtschaftsjuristen für deutsche Unternehmen in Russland ausbildet.

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