- Drin oder nicht?
Dirk Broichhausen von Goal-Control ist für das WM-Finale in Rio gesetzt. Mit seiner Torlinientechnik wird er die Frage aller Fragen beantworten: Drin oder Linie?
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus dem Januarheft des Cicero. Hier finden Sie das ganze Heft.
Als am 2. April 2013, kurz vor Mittag, das Handy klingelte, stand Dirk Broichhausen gerade auf der Skipiste – obwohl er wusste, dass es der Tag der Entscheidung war. Am anderen Ende der Leitung die Fifa: „Ich hörte nur: ‚Sie haben den Auftrag‘“, erzählt der Geschäftsführer von Goal-Control aus Würselen bei Aachen. Sein Telefon fiel in den Schnee, und Broichhausen jubelte, als hätte er gerade das entscheidende Tor im WM-Finale erzielt.
Goal-Control, der Underdog, hatte sich mit seiner Torlinientechnik gegen drei Wettbewerber durchgesetzt, darunter Adidas – einen Hauptsponsor der Fifa. Nun würden Broichhausen und seine 40 Mitarbeiter die zwölf WM-Stadien in Brasilien mit jeweils 14 Hochgeschwindigkeitskameras ausrüsten, um den Schiedsrichtern bei schwierigen Entscheidungen zweifelsfrei anzeigen zu können: Tor! Oder: Kein Tor! Wembley-Tore (Finale der WM 1966) oder Phantomtore (Thomas Helmer 1994, Stefan Kießling 2013) sollen damit der Vergangenheit angehören.
Broichhausen kam die Idee für GoalControl, als er 2009 im Fernsehen eine vergleichbar krasse Fehlentscheidung bei einem Zweitliga-Fußballspiel sah. Am nächsten Tag fragte er seinen Chefentwickler: „Können wir einen Ball detektieren?“ Dafür muss man wissen, dass seine Firma Pixargus damals mit Fußball überhaupt nichts zu tun hatte. Ihre Bildverarbeitungstechnologie verkaufte sie an die Industrie, um damit Fehler in Produktionsprozessen zu finden – mit den größten Autoherstellern der Welt als Kunden. „Könnten nicht unsere Kameras feststellen, ob das Ding drin war oder nicht?“
Sie konnten. Ein Team tüftelte feierabends und am Wochenende daran, nach einem halben Jahr gab es einen Prototyp. „Wir haben Zweitligaprofis gefragt, ob sie uns mal einen richtig fetten Schuss draufgeben können.“ Die Technik funktionierte.
Der größte Rückschlag folgte prompt: Im März 2010 entschied das International Football Association Board als höchstes Entscheidungsgremium des internationalen Fußballs: Es wird keine Torlinientechnik geben. Aber aufgeben passt nicht zu Broichhausen. Er ist ein Anpacker, groß, kräftige Stimme, die grauen Locken trägt er kurz, den Anzug maßgeschneidert, eine auffällige Uhr. Verabschiedet er sich am Telefon von jemandem, den er kennt – wie zum Beispiel dem Hausmeister Krause des Aachener Tivoli-Stadions –, sagt er: „Maach et joot.“ Er war sich sicher, dass seine Zeit kommen würde.
Neue Dynamik bekam das Thema während der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Im Achtelfinale gegen Deutschland schoss der englische Nationalspieler Frank Lampard einen Ball über die Torlinie, die Schiedsrichter erkannten den Treffer aber nicht an. Fifa-Präsident Sepp Blatter nannte die Torlinientechnologie danach erstmals eine „Notwendigkeit“. Ein Paradigmenwechsel für die konservativen Gralshüter des Weltfußballs, die bis dahin jeden Einsatz von Technik abgelehnt hatten.
Kurze Zeit später erhielt Broichhausen eine Einladung der Fifa in die Schweiz – alle, die an einer Torlinientechnologie arbeiteten, sollten diese vorstellen. Er handelte schnell: Goal-Control wurde als eigenständige Einheit neben Pixargus gegründet. Im April 2013 kam die Zusage, zunächst für den Confederations Cup als Test für die Weltmeisterschaft in Brasilien. Als der gut gelaufen war, bekam Broichhausen sein WM-Ticket.
Dass jetzt lamentiert wird, die Torlinientechnik sei das Ende des Fußballs, sie würde die Emotionen töten und das Spiel glattbügeln, sieht der 46-Jährige sehr entspannt. War der Ball im Aus? Hat der den jetzt gefoult? War das ein Abseits? „Solche Fragen werden immer diskutiert werden.“ In einer gerade veröffentlichten Studie im Auftrag des Sportinformationsdiensts forderten drei Viertel der Fans eine Einführung der Torlinientechnik in der Bundesliga. In Großbritannien ist das Konkurrenzsystem Hawk-Eye bereits in Betrieb. Die Deutsche Fußball-Liga will die Technik frühestens 2015 einführen. Broichhausen sieht das gelassen: „Die warten jetzt die WM ab, weil sie sehen wollen, wie das System funktioniert. Das kann ich nachvollziehen.“
Für Broichhausen, selbst Fan von Alemannia Aachen, hat sich das Projekt Goal-Control ohnehin schon gelohnt. Für das WM-Finale am 13. Juli im Maracana-Stadion in Rio ist er gesetzt. Am liebsten würde er das Siegtor der Deutschen bejubeln.
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