- Verheddert in Produktionsketten
Die Textilbranche lobt das vom Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) initiierte „Bündnis für nachhaltige Textilien“. Doch nur wenige Unternehmen unterschreiben den Aktionsplan, den sie selbst entwickelt haben. Denn in einer globalisierten Welt können sie ihre eigenen Anforderungen kaum erfüllen
Als die Textilfabrik in Savar, Zentral-Bangladesch, in Flammen aufging, starben 111 Arbeiter. Über 1100 Tote zogen die Rettungskräfte aus den Trümmern der Textilfabrik in Bangladesch, die nur ein paar Monate später, im April 2013, eingestürzt war. Am Tag zuvor waren schon Risse in im Gebäude entdeckt worden. Die Arbeiter wurden trotzdem angehalten zu arbeiten. Sie sind Glieder in einer langen Kette, die bis zu 140 verschiedene Produktionsschritte umfasst und bis zu einem Hemd reicht, das am Bügel in einem deutschen Kleidungsgeschäft baumelt. 39,95 Euro steht da auf dem Preisschild – etwa ein Monatslohn der Näherin in Bangladesch.
„Viele Unternehmen haben keine direkten Beziehungen mehr zu Lieferanten“
Es sind diese einstürzende Textilhallen in Asien, die Arbeitsbedingungen und umweltschädliche Produktionsabläufe, die Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im April aktiv werden ließen. Er bat zivilgesellschaftliche Organisationen, Experten aus dem Staatsapparat, Produzenten, Händler und Gewerkschaften an einen runden Tisch. Fünf Monate lang diskutierten unter anderem Greenpeace, Adidas und Vertreter der Wirtschaftsuniversität St. Gallen, wie man nachhaltig Umwelt- und Sozialstandards in Lieferketten der Textilindustrie durchsetzen könnte. Am 16. Oktober präsentierte Müller dann das Ergebnis: den „Aktionsplan des Bündnisses für nachhaltige Textilien“. Glücklich war er dabei nicht – denn von den 60 Teilnehmern, die am runden Tisch gesessen hatten, haben bisher erst 32 ihre Beitrittserklärung zum „Textilbündnis“ unterschrieben. Und die auch nicht ohne Bauchschmerzen.
Der Outdoor-Bekleidungsherstellers Vaude gehört zu den Unterzeichnern. Doch in dem mittelständischen Unternehmen weiß man: Nicht jeder Punkt in dem Aktionsplan ist einzuhalten. „Die Lieferketten sind lange, da kann man nicht jeden Player kontrollieren“, erklärt ein Unternehmenssprecher gegenüber Cicero Online. Von diesen „Playern“ gibt es nicht nur viele, sondern auch viele unbekannte.
Textilbündnis: Aktionsplan zu Wasserverbrauch und Kinderarbeit
Das liegt am System des sogenannten Subcontracting – die Auslagerung von Wertschöpfungsaktivitäten auf andere Unternehmen. Bekommt ein Zulieferer beispielsweise den Auftrag, einen Hemdsärmel herzustellen, heißt es noch lange nicht, dass er ihn auch selbst vernäht hat und dass die Knöpfe aus der eigenen Produktion stammen. Meist liefern andere Firmen zu. So entstehen immer mehr vertragliche Verästelungen. „Viele Unternehmen haben gar keine direkten Beziehungen mehr zu Lieferanten, sondern nur zu Agenturen“, erklärt Kai Falk, Geschäftsführer beim Handelsverband Deutschland (HDE), zu dem unter anderem die Kleidungsgroßhändler C&A und KIK gehören. Sollte zum Beispiel ein Lieferant ausgetauscht werden, würde das häufig nicht zum Händler zurückgespielt. „Außerdem geben viele Unternehmen ihre nachgelagerten Zulieferer nicht preis“, sagt Frank.
Dies macht nicht nur eine Übersicht über die gesamte Wertschöpfungskette unmöglich. Das Problem sei auch, dass zwar Aufträge, nicht jedoch die einzuhaltenden Standards weitergegeben würden, sagt Brigitte Zietlow, Spezialistin für Textil- und Lederindustrie beim Bundesumweltamt. Somit auch nicht die Standards und Ziele, die im Aktionsplan des Textilbündnisses festgelegt sind. Die Unterzeichner verpflichten sich unter anderem dazu, den Wasserverbrauch zu reduzieren und grundwasserschonend zu produzieren. Ab 2019 müssen die Unternehmen ihre Abwasserdaten veröffentlichen.
Zudem müssen sie in der eigenen Wertschöpfungskette Kinderarbeit unterbinden und Löhne gewährleisten, die existenzsichernd sind. Die Standards zu „Korruption und Transparenz der Lieferkette“ müssen bis Dezember 2015 umgesetzt sein.
Große Händler und Hersteller verweigern sich dem Bündnis
„Es ist allen Unternehmen klar, dass sie die gesamte Lieferkette nicht immer vollständig kontrollieren können“, sagt Textilindustrie-Expertin Zietlow. Für Unternehmen mit kleiner Produktion und nur einem Zulieferer wäre das dagegen „ein Armutszeugnis“. Das will man sich natürlich ungerne ausstellen lassen. Trigema, das ausschließlich in Deutschland produziert, hat unterschrieben; auch die Pololo OHG, die in Spanien und Deutschland Kinderschuhe herstellt. Unternehmen mit Lieferketten also, die nur durch Westeuropa verlaufen.
Auch Vaude hat noch einen vergleichsweise guten Überblick über die eigene Produktion, obwohl sie im fernen Asien beginnt. Denn Regenjacken, Zeltplanen oder Skitourenrucksäcke bestehen aus hochtechnischen Materialien, die nicht jeder Zulieferer im Sortiment hat. Ein Lieferantentausch, ohne dass es das Unternehmen im baden-württembergischen Tettnang merkt, ist schwieriger.
Dennoch: Damit der Druck auch in Bangladesch spürbar ist, braucht man die großen Händler und Hersteller im Boot. Die sind aber nicht dabei. Adidas erklärt auf Anfrage, dass globale und nicht rein deutsche Ansätze sinnvoll seien. Der HDE hat den Aktionsplan auch nicht unterzeichnet – weil er in seiner „jetzigen Fassung noch nicht geeignet“ sei. „Der Minister hat die Vorstellung, man könne ein Produkt vom Baumwollfeld bis zum Bügel nachverfolgen“, sagt Falk. „Das ist aber nicht möglich.“
Hat sich das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung etwas viel vorgenommen mit einer Industrie, deren Wertschöpfungsketten sich um den ganzen Globus legen, sich in Knäueln aus Zulieferer- und Subverträgen verlieren? Man wisse, dass das Textilbündnis ambitioniert sei, sagt ein Ministeriumssprecher. „Aus unserer Sicht haben wir uns aber nicht ‚verhoben‘.“
Wann und ob die Näherinnen etwas von Müllers Bündnis in Bangladesch spüren werden, bleibt offen.
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