- Warum Carsharing-Angebote einen Boom erleben
Auf der am Donnerstag in Frankfurt beginnenden Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) spielen Carsharing-Angebote nur eine untergeordnete Rolle. Dabei sehen immer weniger Deutsche ein Auto als Statussymbol. Die Branche muss konsequent umdenken
Sind Dieter Zetsche und Homer Simpson Brüder – zumindest im Geiste? Den Daimler-Vorstandsvorsitzenden gab es immerhin mal als Werbe Trickfilmfigur Dr. Z, als er auf dem Chefsessel von Chrysler in Detroit saß. Das Familienoberhaupt aus der Zeichentrickserie wiederum verfügt über Führungserfahrung in der US-Autoindustrie. In der zweiten Staffel muss Homer für seinen überraschend aufgetauchten Halbbruder Herb Powell ein Auto entwickeln, das dessen Unternehmen Powell Motors aus der Krise führen soll.
Dieter Zetsche steht in Stuttgart ebenfalls unter Druck. Mit der neuen S-Klasse will Daimler zurück an die Spitze des Premiumsegments, von der BMW und Audi die Stuttgarter inzwischen verdrängt haben. Doch Zetsche läuft Gefahr, eine viel wichtigere Frage zu übersehen: Taugt ein Auto heute überhaupt noch als Statussymbol?
[gallery:Das Auto - Des Deutschen liebstes Spielzeug]
Besonders drängt sich die Frage bei BMW, Audi und Daimler auf, die sich mit 7er, A8 und der S-Klasse im teuren Premiumsegment bewegen. Bei der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt am Main werden alternative Mobilitätskonzepte nur nachrangig betrachtet. Dabei verliert das Auto im Autoland Deutschland seinen Status als Liebhaberobjekt. Für einen wachsenden Teil der Bevölkerung ist es inzwischen reines Transportmittel. Die Generation der unter 30-Jährigen will Autos zwar noch benutzen, aber nicht besitzen und bevorzugt daher Carsharing-Angebote, geht aus einer Fraunhofer-Studie hervor.
Viele Hauptstädter verzichten aufs Auto
In den großen deutschen Städten zeichnet sich der Trend schon ab. Die Anzahl der PKW ist in Berlin zwischen 1995 und 2012 um 6,8 Prozent gesunken, in Hamburg gab es ein Minus von 2,4 Prozent. Die Hauptstädter besitzen gleichzeitig mit 328 PKW je 1000 Einwohner die wenigsten Autos. 41 Prozent der Berliner Haushalte haben gar kein Auto, in Hamburg ist es gut ein Drittel.
Gleichzeitig erleben Carsharing-Angebote einen bisher nie da gewesenen Boom. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich dabei die Angebote ohne feste Rückgabe-Station, wie Car2go, das Daimler zusammen mit dem Autovermieter Europcar betreibt, und DriveNow, eine Kooperation von BMW und Sixt. Die Nutzer müssen sich nur einmal online registrieren. Mit einem Chip, der auf den Führerschein geklebt wird, und einer Pin-Nummer lassen sich die Autos öffnen und starten. Freie Wagen werden per App auf dem Smartphone gefunden. Abgerechnet wird pro Minute, innerhalb des Einsatzgebiets kann der Wagen überall wieder abgestellt werden.
Gab es in Deutschland 2012 noch 42.000 registrierte Nutzer für diese sogenannten Freefloat-Angebote, sind es mittlerweile mehr als 260.000, die sich in Städten wie Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf oder Köln die Autos teilen. Nach einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands Carsharing schafft mehr als die Hälfte der autobesitzenden Neukunden ihren Wagen nach einigen Monaten Carsharing-Mitgliedschaft ab. Der Autobesitz von Carsharing-Neukunden ist von 43,4 Prozent auf nur noch 19 Prozent gesunken.
Kritiker bemängeln, dass die Ökonomie des Autoteilens nur in größeren Städten funktioniert. Mittelfristig ist das aber eher ein Argument für das Wachstumspotenzial des Carsharing. Schon heute wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen werden es bis 2050 mehr als zwei Drittel sein.
Das weiß Frank Ruff schon lange. Der Soziologe arbeitet in einem Großraumbüro am Potsdamer Platz in Berlin und untersucht mit einem interdisziplinären Team von 40 Forschern die Zukunft der Mobilität. Ruffs Arbeitgeber heißt Daimler, sein Titel lautet: Leiter der Forschungsgruppe für Gesellschaft und Technik. Ruff ist einer der Väter des Car2go, das als Pilotprojekt bereits 2008 in Ulm startete.
War es schwer, dem Vorstand beizubringen, dass Daimler eine neue Form der Autovermietung testen soll? „Veränderungen brauchen in unserer Gesellschaft generell sehr lange“, sagt Ruff diplomatisch. Inzwischen sind die Manager in Stuttgart stolz auf den Geschäftszweig. Der Mobilität der Zukunft räumen sie im Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns viel Platz ein.
Verstopfte Straßen, fehlende Parkplätze
Weniger auskunftsfreudig sind BMW und Daimler bei der Frage, ob ihre Carsharing- Programme schon Gewinne erwirtschaften. Offizielle Zahlen gibt es nicht. „Es heißt immer, sie verdienten damit Geld, aber ich weiß nicht, wie da gerechnet wird“, sagt Ferdinand Dudenhöffer. Strategisch hält der Autoexperte von der Universität Essen-Duisburg das Engagement der Premiumhersteller in diesem Bereich für richtig. „Ein Klasseprodukt, das die Kunden emotionalisiert“, lobt er. Das gilt vor allem für DriveNow, wo BMW den Carsharern mit Mini, Mini-Cabrio und BMW 1ern eben nicht nur ein Transportmittel zur Verfügung stellt, sondern auch Lebensgefühl verkauft. Die Autos tragen sogar Namen. Die Nutzer sollen sich freuen,wenn sie mal wieder den 1er BMW Sandro buchen können oder Tinka, den Mini. „Das sind eigentlich bezahlte Probefahrten, bei denen eine Bindung zur Marke entsteht“, sagt Dudenhöffer. Davon könnte BMW profitieren, wenn sich der Nutzer doch für den Kauf eines eigenen Autos entscheidet.
Beim Fraunhofer-Institut denken die Forscher weiter. Nach der Studie „Visionen für nachhaltigen Verkehr in Deutschland“ wird sich die Zahl der Autos bis 2050 deutschlandweit halbieren. „Die Städte sind grün, lebenswert, fußgänger- und radfahrerfreundlich, Carsharing-Parkplätze und Radstationen gibt es an allen größeren Haltepunkten“, schreiben die Verfasser.
Schweizer Verkehrswissenschaftler haben kürzlich untersucht, warum sich Menschen heute vom eigenen Auto trennen. Die häufigsten Gründe: Erstens können sie es sich nicht mehr leisten, und zweitens verleiden ihnen verstopfte Straßen und fehlende Parkplätze die Lust am Fahren. Autohersteller, die sich neuen Geschäftsfeldern verschließen, werden den Anschluss verlieren.
2013 wird ein schwieriges Jahr für die Autoindustrie werden. Im ersten Quartal sind die Neuzulassungen nach Angaben des Kraftfahrzeugbundesamts um 13 Prozent eingebrochen. Bei Volkswagen waren es sogar 17 Prozent. Die Wolfsburger, bei denen das Thema Carsharing bisher keine echte Rolle spielt, müssen sogar den neuen Golf mit hohen Rabatten in den Markt drücken. „Das wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen“, sagt Ferdinand Dudenhöffer. Die aktuelle Absatzkrise ist seines Erachtens aber eine Konsequenz der Eurokrise. Europa ist der wichtigste Absatzmarkt für die deutschen Hersteller. „Allerdings mehren sich auch die Hinweise auf strukturelle Defizite“, sagt Dudenhöffer. So hat eine Untersuchung seines Instituts ergeben, dass die Neuwagenkäufer in Deutschland älter werden. Seit 1995 ist das Durchschnittsalter von 46 Jahren auf inzwischen 52 Jahre gestiegen.
Das Geld, das sie zu Hause nicht mehr verdienen kann, muss die Autoindustrie daher woanders erwirtschaften. Denn das Wachstum beim Carsharing wird den Einbruch auf keinen Fall ersetzen können. In der Autobranche gilt die Faustregel: Großes Auto, große Marge, kleines Auto, kleine Marge. Die Premiumhersteller setzen auf China, wo Audi vergangenes Jahr um 30 Prozent wuchs und BMW um 40 Prozent. Hier funktionieren Luxusautos noch als Statussymbol, weil der neue Geldadel in Peking und Schanghai seinen Reichtum gerne zur Schau stellt.
Das könnte für Dieter Zetsche zum Problem werden, weil er mit seiner neuen S-Klasse zwei Jahre zu spät kommt und die Wettbewerber sich große Anteile des Kuchens gesichert haben. VIPs und Fachpresse haben die Präsentation der neuen S-Klasse im Mai in Hamburg wohlwollend begleitet und die Rücksitze mit Hot-Stone-Massagefunktion, die Parfumspender und die 20 Assistenzsysteme, die den Fahrer fast überflüssig machen, ausgiebig bestaunt.
Verkauft sich die neue S-Klasse trotzdem nicht, sind Zetsches Tage bei Daimler gezählt. Schon an Homer Simpson kann man sehen, dass ein Auto mit vielen liebevollen Extras nicht zwingend zum Erfolg führen muss. Dessen Kreation „The Homer“ fiel trotz separater Kapsel für quengelnde Kinder und drei Hupen, die „La Cucaracha“ spielen, bei der Präsentation durch. Bruder Herb ging pleite und wollte von Homer nichts mehr wissen.
Eine Staffel später kam es aber zur großen Versöhnung. Mit dem von Homer geliehenen Startkapital setzte Herb eine neue Geschäftsidee um, die ihn direkt wieder zum Millionär machte. Aus Dankbarkeit schenkte er Homer den von ihm heiß ersehnten Massagesessel namens Wirbelsäulenschmelzer, sozusagen den Urahn von Dieter Zetsches Hot-Stone-Rücksitz.
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