- Wie die Medien Mercedes Gratis-Werbung sicherten
Nach dem Sieg der Nationalelf bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien haben alle Medien über Deutschlands „vierten Stern“ berichtet. Das Symbol hat sich aber Mercedes-Benz gekapert: Mit seiner Kampagne könnte der Generalsponsor des DFB Werbegeschichte schreiben
Es war schon beispiellos, wie der Fußball Berlin am Dienstag zurichtete. Scheinbar endlos fuhr das siegreiche Fußballteam in einem Sattelzug durch die Innenstadt, von überall her Hupen, Wummern, Vuvuzela-Tröten. Wer da im Büro arbeitete, verspürte wahlweise Frust oder Neid – wie etwa CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, der zeitgleich im Bundestag die US-Spionage beackern musste. Er würde lieber mit den Fans feiern, als sich über NSA und CIA zu unterhalten, ätzte er.
Das Fanfest war aber vor allem ein Aufzug der Sponsoren. Für die Beschreibung des Wagens, mit dem das Team zur Fanmeile gefahren wurde, gab der Deutsche Fußball-Bund (DFB) eigens eine Pressemitteilung heraus: Es handle sich um einen „Auflieger von einem 625 PS starken Mercedes-Benz Actros 1863 LS mit GigaSpace-Fahrerhaus in obsidianschwarzer Metalliclackierung“, 13 Meter lang, inklusive „Wohnecke“ im Beifahrerbereich. Mercedes-Benz, Generalsponsor des DFB bis 2018, sei weit mehr als ein Werbepartner, sagte Wolfgang Niersbach schon 2011.
Keine Frage, den Sieg der deutschen Nationalelf haben viele Konzerne mit üppigen Werbekampagnen gefeiert: Jogi Löw und vier seiner Kicker (Neuer, Hummels, Schürrle und Lahm) zeigten sich auf großformatigen Zeitungsanzeigen in Hugo-Boss-Maßanzügen; die Lufthansa hatte den Jumbo, in dem das Team nach Deutschland flog, kurzerhand in „Siegerflieger Fanhansa“ umbenannt. All das ist Marktwirtschaft. So will es auch der Staat, der es Firmen erleichtert, Sponsorengelder steuerlich abzusetzen.
„Der vierte Stern geht auf“, titelten Zeitungen
Erstaunlich ist allerdings, wie effizient Mercedes die Medien im Griff hatte. Der DFB und der Autobauer haben die Kampagne „Der vierte Stern für Deutschland“ gemeinsam vorangetrieben, und mit gewaltigem Erfolg: Der (Mercedes-)Stern wurde zum Leitmotiv dieser WM. Rundfunksender wie der MDR übernahmen den Slogan für ihre Sendungen, die Bild beschwor am Tag nach dem Sieg „Das neue Vier-Gefühl“, die Süddeutsche jubelte: „Der vierte Stern geht auf“. Die FAZ taufte die Bundesrepublik gar in ein „Viersterneland“. Für Mercedes war all das lukrative Gratis-Reklame. Keine Schleichwerbung, sondern freundliche Übernahme.
Was wiederum andere Sponsoren auf den Plan rief: Adidas ließ direkt nach dem Abpfiff massenhaft Trikots mit vier Sternen aus chinesischen Fabriken einfliegen. Normalerweise werden solche Produkte verschifft – doch die Nachfrage nach den hochpreisigen Shirts (Kosten: (84,95 Euro) war zu Wochenbeginn immens.
Nun könnte man sagen, der Stern symbolisiert nun einmal den Fußball-Weltmeistertitel – und Mercedes habe diesen für sich gekapert. Fakt ist aber auch, dass das Mercedes-Sternchen auf keinem der Fan-Devotionalien des DFB fehlte.
Also bitte, es ist WM! Kein Platz für Außenpolitik!
Zudem war die Initiative, die die beiden Partner ursprünglich 2010 in Südafrika gestartet hatten, bei der Weltmeisterschaft vor vier Jahren noch nicht das Leitmotiv. Da dominierten andere Medien-Bilder: etwa der WM-Pokal oder der Hit der Sportfreunde Stiller („'54, '74, '90, 2010, ja so stimmen wir alle ein…“), der von 2006 wieder aufgewärmt worden war. In diesem Sommer war es anders: Die Medien sind nicht nur voll auf den Mercedes-Slogan eingestiegen – sie haben ihn in der Bevölkerung erst populär gemacht.
Spätestens zur Halbzeit der WM in Brasilien verdrängten Wir-holen-uns-den-vierten-Stern-Hurrareports die Berichte über die brasilianischen Favelas, über FIFA-Korruption und Misswirtschaft – aber auch über andere Krisenherde in der Welt. Krieg in Nahost? Chaos in der Ostukraine? Also bitte, es ist WM! Sternenzeit! Kein Platz für Außenpolitik! Nach den WM-Extraseiten in der Bild am Sonntag gab es in dieser Woche zweieinhalb Bild-Ausgaben lang von der ersten bis zur letzten Seite kein anderes Thema als Fußball (auch in anderen Zeitungen wurde der Platz knapp). Kein Wunder, dass die Kairo-Korrespondentin, die eine brutale Verhaftung bezeugte und den Bericht in keinem einzigen deutschen Medium platzieren konnte, die gesamte WM frustriert boykottierte.
Mercedes-Benz könnte als einer der erfolgreichsten Sportsponsoren in die Werbegeschichte eingehen. Der DFB wird sicherlich Millionen kassiert haben. Was der Sponsoringvertrag genau beinhaltete, wie viel Geld floss – darüber gab der Verband auf Cicero-Online-Anfrage keine Auskunft. Transparenz und Fußball passen eben nicht einmal in Deutschland zusammen.
Die Autorin ist kein Fußball-Muffel: Sie harrte knapp acht Stunden auf der Berliner Fanmeile aus, um das Endspiel zu sehen.
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