Der letzte Nokianer

Der Wechsel des Nokia-Chefs ist in Finnland ein nationales Ereignis: 14 Jahre stand Jorma Ollila an der Spitze des Konzerns. In diesem Monat tritt Olli-Pekka Kallasvuo die Nachfolge an. Er setzt auf die konsequente Amerikanisierung des Weltmarktführers.

Es gibt nicht viel, was den gemeinen Finnen aus der Ruhe bringt. Aber ein Wechsel an der Konzernspitze von Nokia gehört dazu. Keine Volkswirtschaft in Europa hängt stärker von einem einzigen Konzern ab: Der finnische Aktienindex HEX und die Kurve der Nokia-Aktie verlaufen fast deckungsgleich. Das Unternehmen ist der Staat im Wohlfahrtsstaat. Wer im Hauptsitz des Telekommunikationskonzerns in Espoo regiert, darf sich mit Fug und Recht als mächtigster Finne fühlen. Keiner ist auf diese Aufgabe besser vorbereitet als Olli-Pekka Kallasvuo. Der 54-jährige Jurist ist seit der Produktion des ersten Autotelefons 1981 am sagenhaften Aufstieg von Nokia beteiligt. Er ist das letzte Mitglied jener legendären Führungsriege um Jorma Ollila, die das Unternehmen von einem kleinen Mischkonzern, der Gummistiefel, Autorreifen und Fernseher produzierte, zum Weltmarktführer in der Kommunikationstechnologie machte. Das „Nokia-Wunder“ ist eng verbunden mit der Erfolgsgeschichte des Mobilfunks: Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit breitete sich ein Produkt in kürzerer Zeit schneller über den Globus aus als das Handy. Der Klingelton des Unternehmens wurde als „Nokia Tune“ zur Erkennungsmelodie der postmodernen Identität. Die Firma selbst bewahrte währenddessen ihre finnischen Eigenheiten. Das gilt ganz besonders für Kallasvuo. Stärker noch als sein dynamisch-charismatischer Vorgänger Ollila verkörpert er die drei klassischen Charakterzüge des finnischen Mannes: fast in Schwermut übergehende Ernsthaftigkeit, sparsamer Umgang mit den eigenen Emotionen sowie das Bestreben, möglichst wenig Worte möglichst effektiv einzusetzen. Kallasvuos Ethos wird durch das finnische Sprichwort „Työ puhuu puolestaan“ (Das Werk spricht für sich selbst) zutreffend beschrieben. Dieses Motto passt perfekt zum Image der Marke, dem größten Gut des Unternehmens. „Nokia“ belegt in der Rangliste der wertvollsten Markennamen weltweit den sechsten Platz. Kallasvuo ist das nicht genug, er will an die Spitze: „Wir wollen die beliebteste und am meisten bewunderte Marke der Welt werden.“ Um dieses Ziel zu erreichen, hat er Coca-Cola den Marketing-Chef abgeworben. Kallasvuos engste Beraterin ist aber ohne Zweifel seine Frau, mit der er zwei Kinder hat. Die Wirtschaftsjuristin Ursula Raninin machte ebenfalls bei Nokia Karriere, wurde zur Chefjuristin des Konzerns. Da sie nicht ihrem Ehemann unterstellt sein will, zieht sie sich von diesem Posten zurück. Ganz an der Spitze stoßen selbst die Finninnen an die Grenzen der Emanzipation. Die Rezepte für die weitere Globalisierung des Nokia-Konzerns hat Kallasvuo aus seiner Zeit in den USA mitgebracht, zwei Jahre hat er das Nordamerika-Geschäft geleitet. Als Kallasvuo nach Espoo zurückkehrte und im Jahre 2004 die Handy-Sparte übernahm, investierte er kräftig in Marktforschung: In 16 verschiedenen Ländern wurden zehntausende Menschen befragt. Aus sechs Milliarden Antworten leiteten Nokia-Forscher zwölf verschiedene Benutzertypen ab, von „Karrierist“ bis „Avantgardist“. Die zukünftigen Produktpaletten werden eng an dieser Typologie orientiert. „Form und Funktion alleine reichen nicht mehr aus, wir müssen mit jedem Produkt eine Geschichte erzählen“, sagt Kallasvuo. Um diese Geschichten in stimmige Erlebniswelten einzubetten, plant das Unternehmen den Aufbau einer globalen Kette von Nokia-Stores in den 18 wichtigsten Konsummetropolen der Welt. Natürlich ist dieses Konzept von Nike übernommen: Kallasvuo ließ es von einem ehemaligen Top-Manager der amerikanischen Sportfirma entwickeln. Auch die Gehaltsstruktur des neuen Nokia-Chefs ist schon amerikanisch: Kallasvuo verdiente im Jahr 2005 ein Grundgehalt von 623524 Euro, hinzu kamen Boni im Volumen zwei Millionen Euro. Was er in seiner neuen Eigenschaft als Konzernchef verdient, kann sicher jeder Finne ausrechnen, denn die Lohnsteuerzahlungen sind dort offen zugänglich. Das Finanzamt veröffentlicht die Daten, natürlich auch im Internet. Wenn es nach Kallasvuo geht, dann wird diese Datei in naher Zukunft bevorzugt per Mobiltelefon konsultiert. Denn er sieht das Handy als das dominante Gerät des 21.Jahrhunderts – zum Telefonieren und Fotografieren, zum Musikhören und E-Mailen. Auch Fernsehen soll künftig eine mobile Angelegenheit werden. Im Kampf der Technologien um die Daten- und Geldströme der Zukunft sieht Kallasvuo sein Unternehmen bestens positioniert: „Als führender Handy-Produzent der Welt werden wir an der Spitze der Entwicklung stehen.“ Mit einer „Produkteinführung“ hat Kallasvuo schon vor Amtsantritt ein Desaster erlebt. Im vergangenen Winter wurde er zu einer Strafe von 31000 Euro verurteilt. Kallasvuo hatte in Zürich eingekauft – einen Koffer, Kleidungsstücke, eine Uhr sowie Antiquitäten – und sich dabei die Mehrwertsteuer von 650 Euro erstatten lassen. Wegen des hohen Betrages alarmierten misstrauische Züricher Zöllner sofort telefonisch ihre Kollegen am Flughafen Helsinki. Dort versuchte der Nokia-Manager vergeblich, sich durch das „Nichts zu verzollen“-Tor zu schmuggeln. Kallasvuo erklärte, er habe vergessen, dass er aus einem Land außerhalb der EU eingereist sei. Grenzen sind für den globalen Nokia-Mann offenbar dazu da, um überschritten zu werden. Er sollte wissen, dass ein einziger Telefonanruf dabei zum Verhängnis werden kann.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.