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Ein Schmerz, der nicht vergehen will

Patrick Behlke war 25 Jahre alt, als er fern der Heimat sterben musste. Der Stabsunteroffizier, der Frieden schaffen wollte, wurde Opfer eines Selbstmordanschlags in Afghanistan. Begegnung mit dem Vater des gefallenen Soldaten

An dem Tag, an dem Michael Behlke die Geschichte seines Sohnes Patrick erzählt, werden nach einem Selbstmordattentat vier Tote aus Afghanistan gemeldet. Dieses Mal hat es Einheimische getroffen, keine deutschen Soldaten. Trotzdem ruft jede Meldung von Anschlägen am Hindukusch die Erinnerung an den 20.Oktober 2008 wach. Damals hatten die Behlkes auf dem Laufband eines Nachrichtensenders von zwei getöteten Deutschen in der Nähe von Kundus gelesen. Sylvia Behlke war sofort alarmiert, in Kundus war ihr Sohn stationiert. Sie rief beim Familienbetreuungszentrum der Bundeswehr an, das den Angehörigen von Soldaten im Auslands­einsatz zur Seite stehen soll. Danach war sie beruhigt, ihr Sohn sei nicht dabei, hatte man ihr versichert. „Das dürfen die am Telefon wahrscheinlich gar nicht mitteilen“, sagt Michael Behlke heute. „Oder sie wussten es wirklich noch nicht.“ Als seine Frau einige Zeit später von einem Spaziergang mit dem Hund nach Hause kam, standen zwei Männer in Uniform vor der Haustür. Sie wusste sofort: „Die bringen die Nachricht, die einem den Boden unter den Füßen wegzieht.“ Fünfundzwanzig Jahre alt ist Patrick Behlke geworden. Seinen letzten Geburtstag hat er am 29.September in Afghanistan gefeiert. Dann, keinen Monat später, reißt ihn eine Bombe aus dem Leben. Morgens um vier Uhr ist er mit seiner Einheit losgefahren: Deutsche und afghanische Soldaten sowie Polizisten, die gemeinsam nach den Drahtziehern der andauernden Raketenangriffe auf die deutschen Stellungen suchen. Am Eingang des Dorfes Hadschi Amanullah errichten Patrick Behlke und sieben seiner Kameraden einen Kontrollpunkt. Daniel Stöth, mit dem Behlke in Kundus ein Zelt teilt, wird später erzählen, dass gegen Mittag ein junger Mann auf einem Fahrrad heranradelt. Er selbst steht auf einem Truppentransporter an einem Maschinengewehr, sieht, wie Patrick Behlke und sein Kamerad Roman Schmidt auf den Radfahrer zugehen, um ihn zu durchsuchen. Die Explosion im nächsten Moment fegt Stöth vom Laster, ein Granatsplitter zerfetzt ihm den Kiefer. Dort, wo kurz zuvor noch die beiden Kameraden standen, steigt schwarzer Rauch auf. Fünf Kinder, die in der Nähe gespielt haben, liegen ebenfalls tot am Boden. „Es ist immer noch so, als ob er irgendwann wieder nach Hause kommen müsste“, sagt Michael Behlke. Vier Jahre schon lebte der Sohn nicht mehr bei seiner Familie im brandenburgischen Danewitz. Deshalb ist es normal, dass er nicht täglich da ist. Aber er schickte regelmäßig Mails, rief an, kam zu Besuch aus Zweibrücken, wo er beim Bataillon 263 als Fallschirmspringer und Scharfschütze stationiert war. Vielleicht hat eine gewisse Abenteuerlust bei der Entscheidung eine Rolle gespielt, für acht Jahre Zeitsoldat zu werden. Nervenkitzel versprach der erlernte Beruf als Landschaftsgärtner nicht. Der Vater ist sicher, seinen Sohn hätten vor allem der körperliche Einsatz, das Sportliche und auch die Kameradschaft gereizt. „Er war sich der Risiken bewusst, auch wenn er zu Hause mit Rücksicht auf seine Mutter darüber nie so deutlich gesprochen hat.“ Ob er versucht hat, ihn zurückzuhalten? „Mein Sohn war erwachsen, er hatte seine Entscheidung getroffen. Fallschirmspringer zu werden, war schon lange sein Traum. Davon hätte er sich nicht abbringen lassen“, sagt Michael Behlke. Empfindet er Wut? Zorn darüber, dass sein Sohn sein Leben Tausende von Kilometern entfernt von der Heimat in einem Kampf verloren hat, den die Politik als zwingend ansieht, den die Bevölkerung aber überwiegend ablehnt? Michael Behlke zögert nicht mit der Antwort: Patrick habe die Arbeit der Bundeswehr in Afghanistan als notwendig angesehen. Dabei hätte er im vergangenen Herbst nicht einmal nach Kundus gehen müssen. Eigentlich stand ein Fortbildungslehrgang auf seinem Plan. Doch als seine Kompanie zu dem gefährlichen Einsatz abgeordert wurde, sei es für ihn selbstverständlich gewesen, die Zusatzausbildung zu verschieben. „Bei den Soldaten herrscht schon eine große Solidarität untereinander.“ Auch von sich selbst sagt Behlke: „Ich habe nichts gegen die Bundeswehr. Ich habe nur etwas gegen die Art der Führung.“ Der Vater, der um seinen Sohn trauert, ist kein Querulant, kein Berufskritiker. Er meldet sich zu Wort, weil er glaubt, dass die Spitzen der Militärs umdenken müssen. Er spricht über das Schicksal seines Sohnes, der der dreißigste tote Bundeswehrsoldat in Afghanistan war, seit deutsche Kräfte vor sieben Jahren den Einsatz dort begannen, weil er aufrütteln will. „Wenn man nach dreißig toten Soldaten seinem Ziel noch immer nicht nähergekommen ist, muss man doch endlich einmal darüber nachdenken, ob die Strategie richtig ist. Man kann doch nicht weiter Schulen bauen und Buntstifte verteilen, wenn die Risiken für die Soldaten immer weiter steigen.“ Bei Franz Josef Jung, mit dem er vor der offiziellen Trauerfeier für seinen Sohn kurz sprechen konnte, sei er mit seiner Kritik nicht durchgedrungen, sagt Behlke. Mittlerweile hat sich der Ton allerdings verändert. Er befürchte eine weitere Verschlechterung der Sicherheitslage im Norden des Landes, sagte der Verteidigungsminister unlängst. Weil die Amerikaner den Druck auf die Taliban im Süden des Landes erhöhen, könne es zu einer „Verlagerung der Terroraktivitäten“ kommen. Reinhold Robbe, der Wehrbeauftragte des Bundestages, spricht mittlerweile das Wort vom Krieg aus, das die Regierung noch zu umgehen versucht: „Für die Soldaten ist es kein Thema, dass sich die Bundeswehr in Kriegseinsätzen befindet“, sagt er und nennt ausdrücklich das lange als weitgehend harmlos dargestellte Kundus im Norden, wo es „kriegs­ähnliche Szenarien“ gebe. Und wie zur Bestätigung wird beinahe gleichzeitig gemeldet, dass genau dort wieder eine deutsche Patrouille von dreißig Soldaten mit Handwaffen und Panzerabwehrwaffen beschossen wurde. Doch damit nicht genug. Die Bundeswehr sei permanent unterfinanziert, kritisiert Robbe und spricht von einem Mangel an Geld, Material und Ausrüstung. Hier sieht Michael Behlke sich bestätigt. Patrick habe sich seine schusssichere Weste selbst gekauft, ein amerikanisches Modell, das weitaus besser sei als das deutsche. Außerdem habe er Geld für eine Schutzbrille, einen Gehörschutz und ein Navigationsgerät ausgegeben. Seine Kameraden hätten das ebenfalls getan, weil alle mit dem zur Verfügung gestellten Material nicht zufrieden waren. Nun werde gerne so getan, als sei es seinem Sohn darum gegangen, möglichst die neueste Ausrüstung zu bekommen und eine Brille mit besonderem Chic zu tragen, erzählt der Vater. Doch die Wirklichkeit sei eine andere: Die Brillen, die die Soldaten erhalten, seien kaum zu gebrauchen, weil sie schnell beschlagen. Der offizielle Hörschutz lasse überhaupt keinen Laut durchdringen, keinen Ton, eben auch keine Warnungen, die sich die Soldaten gegenseitig zurufen. Die amerikanischen Schutzteile dagegen seien durchlässig für normale Sprache und reagierten nur auf explosionsartige Geräusche. Und das Navigationsgerät aus deutschem Bestand funktioniere in Afghanistan gar nicht. Im August vergangenen Jahres hatte Patrick noch Totenwache für einen gefallenen Kameraden gehalten. Mit dem Tod ging er pragmatisch um. Als er auf dem Weg zum Bundeswehrflugplatz in Köln-Wahn war, wo der Leichnam ankam, ließ seine Mutter ihre Sorge um ihn erkennen. „Dafür sind wir Soldaten“, sagte der Stabsunteroffizier, der bereits im Auslands­einsatz im Kongo war. Dort seien sie allenfalls mal mit Steinen beworfen worden, erzählt sein Vater. In Telefonaten aus Afghanistan habe Patrick seltsam bedrückt geklungen. In seinem Laptop hat er aufgezeichnet, wie es ist, wenn die Raketen einschlagen und die Spähtrupps angegriffen werden. „Er wusste, was er riskiert“, sagt sein Vater. „Auch wenn er den Gedanken daran, dass es auch ihn treffen könnte, möglichst weit von sich schob.“ Wie schwierig die Lage vor Ort sei, wo die Soldaten wegen des Raketenbeschusses oft nur bei Dunkelheit ihre Patrouillengänge unternehmen könnten, weil sie dann mit ihren Nachtsichtgeräten den Aufständischen überlegen seien, müsse eigentlich auch den Verantwortlichen klar sein. „Die Führung muss dringend mehr für die Sicherheit unserer Soldaten tun“, fordert Behlke. Verstanden fühlt er sich da allenfalls vom Zweibrücker Oberbürgermeister Helmut Reichling, der in seiner Trauerrede gesagt hatte, ein Land, das mit dreistelligen Milliardenbeträgen „verzockten Finanzunternehmen“ unter die Arme greife, müsse auch in der Lage sein, seine Soldaten mit dem Besten auszurüsten, was die Militärtechnik zu bieten habe. Es könne nicht sein, dass die Limousinen der Banker besser gepanzert seien als die Fahrzeuge der Soldaten. Bei der Trauerfeier für Patrick und den gleichzeitig getöteten Roman Schmidt hat Verteidigungsminister Jung erstmals von Gefallenen und nicht von Getöteten gesprochen. Lange tat sich die Bundeswehr mit dieser Wortwahl schwer. Gefallene gibt es im Krieg, und von einer Beteiligung am Krieg spricht man in Berlin nach wie vor nicht gern. Als unlängst der 32. in Afghanistan gefallene Soldat geehrt wurde, der 21-jährige Sergej Motz, der in Bad Saulgau lebte, war es die Bürgermeisterin des Ortes, die in der Trauerfeier davon sprach, dass plötzlich der „Krieg in die Stadt gekommen“ sei. „Wir werden gezwungen, uns damit zu beschäftigen – Sergej Motz zwingt uns zu dieser Auseinandersetzung.“ Doch die findet sowohl in der Bundeswehr als auch in der breiten Öffentlichkeit kaum statt. An den Gedanken, dass deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt werden, hat man sich mehr oder minder gewöhnt. Dass es dort aber nicht allein um Friedenserhaltung, sondern auch um bisweilen blutigen Kampf um den Frieden geht, ist noch nicht im Bewusstsein verankert. Das Gespräch stockt. Es fällt Michael Behlke immer noch schwer, über seinen gefallenen Sohn zu reden. Die Bundeswehr hat Psychologen geschickt. Mit denen haben seine Frau und er gesprochen, auch Patricks Bruder und seine Schwester. Das habe im ersten Moment geholfen. Doch werde jedem von ihnen erst mit der Zeit so richtig bewusst, was da wirklich geschehen ist, dass sie Patrick nie mehr wiedersehen werden. „Das wird uns unser Leben lang begleiten“, sagen die Behlkes. In ihrem Holzhaus in Danewitz, aus dem die Fröhlichkeit ausgezogen ist, haben sie Bilder, Urkunden, Erinnerungsstücke ihres Sohnes aufgehängt. Sie gehen häufig zu seinem Grab, sie reden. „Aber im Grunde muss das jeder mit sich selbst ausmachen“, sagt der Vater. Manche Tage sind schwieriger als andere. Die Arbeit – Michael Behlke arbeitet für ein ausländisches Bauunternehmen – liefert Ablenkung. Auch Sylvia Behlke ist berufstätig, arbeitet in einem Lebensmittelgeschäft. Allerdings sei es für eine Mutter ungleich schwieriger, den Verlust des eigenen Kindes zu verkraften. Seine Frau leide noch mehr, glaubt ihr Mann. Hin und wieder treffen sie im Ort Patricks Freunde. Es schmerzt besonders, die Gleichaltrigen wiederzusehen. Patrick war beliebt, ein wildes, sportliches Kind, das mit seinem Mountainbike durch die brandenburgische Landschaft raste. Ein aufgeschlossener junger Mann, der mit seinen Kameraden Snowboard fuhr und beim Triathlon antrat. Seine Freunde und seine Familie versuchen, zu neuer Normalität zu finden. Lesen Sie Mehr Foto: Picture Alliance

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