- Amerikas bester Winzer ist ein Deutscher
Den besten Wein an Amerikas Ostküste macht ein deutscher Winzer. So ist es auch Roman Roths Verdienst, dass Long Island inzwischen als anerkanntes Anbaugebiet gilt
[[{"fid":"60267","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":190,"width":139,"style":"width: 139px; height: 190px; margin: 4px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der November-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.
Der Hauptgang war abgeräumt, und die Dinnergäste warteten aufs Dessert. Da setzte sich einer der Gäste an den Flügel, der im American Hotel in Sag Harbor mitten im Restaurant steht, und stachelte die zentrale Figur des Abends an. Roman Roth solle doch aus dem Stegreif ein paar alte deutsche Weinlieder zum Besten geben.
Zuvor hatte der Deutsche, der heute als bester Winzer an der Ostküste der USA gilt, beim Degustationsmenü vor jedem Gang routiniert die Facetten seiner Weine ausgeführt. Doch wer verwöhnten Amerikanern etwas verkaufen will, muss sich als Entertainer betätigen. Glücklicherweise hat der ehemalige Chorknabe aus Rottweil, einer Stadt zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, das richtige Talent für solche Augenblicke. Er singt mit einem Tenor, der so viel Körper hat wie sein bester Merlot.
Nicht zuletzt durch Roths Pionierleistung ist die Region Long Island im vergangenen Jahrzehnt zum ernst zu nehmenden Weinanbaugebiet geworden. Anfang der Neunziger heuerte der ehemalige Geselle einer badischen Winzergenossenschaft bei Christian Wölffer an, einem Hamburger Unternehmer, der sich in den Kopf gesetzt hatte, auf seiner Farm in Bridgehampton im Staat New York Wein anzubauen. Durch seine Arbeit im Keller von Wölffer Estate hat Roth seither den Stil der Weine der Region geprägt, als Kontrastprogramm zu opulenten und fruchtbetonten Weinen aus Kalifornien. „Es ist kühler im Sommer auf Long Island“, sagt er, was am Atlantik liege. „Das sorgt für Eleganz und Lebendigkeit.“
Die ehemaligen Kartoffeläcker, die inzwischen zum Wölffer Estate gehören, liegen in Sagaponack, einem Dorf, das den Hamptons zugerechnet wird, dem idyllischen Sommerkosmos wohlhabender New Yorker. In den Fünfzigern und Sechzigern mischten sich hier zuerst die Schriftsteller unter die Bauern und Fischer, da schöne Holzhäuser nah am Meer damals für weniger als 50 000 Dollar zu haben waren. Truman Capote kam, um seinem anstrengenden New Yorker Gesellschaftsleben zu entfliehen. Kurt Vonnegut lebte bis zu seinem Tod in Sagaponack. Der legendäre James Salter hat hier draußen einen großen New-York-Roman geschrieben, der gerade auf Deutsch unter dem Titel „Alles, was ist“ veröffentlicht wurde.
Heute hingegen ist es kein Problem, in Sagaponack mehr als 50 Millionen Dollar für ein Haus auszugeben. Die Hedgefondsmanager und Goldman-Sachs-Partner haben den einst verschlafenen Ort entdeckt, was manche bedauern, da sie die gelben Ferraris und oft mehr als tausend Quadratmeter großen Villen als geschmacklos empfinden – was aber zweifellos gut für die örtlichen Winzer ist, da auf den Festen der Geldelite mehr getrunken wird als auf den Terrassen der Schriftsteller.
Trank man bis vor etwa einem Jahrzehnt den örtlichen Wein nur gelegentlich aus ironisch-fatalistischem Lokalpatriotismus, ist er hier draußen nun sehr begehrt. Der Durchbruch, bei dem die Wölffer-Weine der Region den Weg ebneten, ist hart erarbeitet. Roth erinnert sich noch, wie er von New Yorker Sommeliers rüde abgewimmelt wurde: „Die Leute wollten Wein aus Long Island nicht mal probieren.“ Heute ist das anders. Für seinen Spitzenwein, den streng limitierten Merlot „Christian’s Cuvee“, nach Gutsgründer Christian Wölffer benannt, verlangt Roth 100 Dollar die Flasche, eine Rekordmarke für Weine aus dem Staat New York – was seine Kunden nicht abschreckt: „Sie sind eher stolz, dass New York einen solchen Wein produziert.“
Christian Wölffer starb am Silvesterabend 2008 bei einem Bootsunfall vor der brasilianischen Küste. Doch sein Long-Island-Imperium, zu dem noch eine Reitanlage und Pferdeställe gehören, floriert unter Roths Leitung weiter. Das Weingut wuchs bis heute auf eine Fläche von 22 Hektar an, die Produktion von 500 auf mehr als 25 000 Kisten. Das ist auch auf die Experimentierfreude des deutschen Kellermeisters zurückzuführen. Einen gehobenen Schaumwein produziert er schon, ebenso einen Apfelwein, den „Big Apple Wine“. Bald wird er noch einen aus Chardonnay destillierten Brandy auf den Markt bringen.
Als Wölffer ihn einstellte, erinnert sich Roth, gab dieser folgende Devise vor: „Du kannst anschaffen, was du brauchst, du kannst machen, was du willst. Du musst nur sicherstellen, dass du den besten Wein produzierst, der hier draußen möglich ist.“ Die Vorgabe erfüllt Roth auch mit seinem eigenen Wein, den er unter dem Label „The Grapes of Roth“ produziert. Der Name ist ein Wortspiel auf den Titel des berühmtesten Romans von John Steinbeck („The Grapes of Wrath“, auf Deutsch: „Früchte des Zorns“), der zuletzt in Sag Harbor lebte, im selben Ort, in dem auch Roth zu Hause ist. Dem ersten Jahrgang Merlot aus dieser Reihe verlieh der Wine Advocate, das Journal des einflussreichen Kritikers Robert Parker, gleich 92 von möglichen 100 Punkten. Kein Wein aus dem Bundesstaat New York wurde bislang höher bewertet.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.