- Die Edeltätowiererin
Eine gutbürgerliche Straße, Blümchentapete, Schmerzen. Zu Besuch bei der Tätowiererin Sarah Bolen
Die Branche hat sich zu einer Edelindustrie entwickelt. Tattoos waren schon immer subkulturelle Statussymbole, doch Berühmtheiten tragen sie heute wie Designer-Taschen. Auf den Internetseiten großer Salons werden Meisterstecher selbstbewusst als Künstler vermarktet, es gibt Fachzeitschriften und internationale Messen. Gute Motive landen auf Online-Plattformen wie Instagram und Pinterest, wo man Detailaufnahmen findet. So verbreitet sich auch die Arbeit von Bolen. Der Darwin, den sie einem Holländer in die Haut gebrannt hat, erregte zum Beispiel viel Aufsehen. Das gleiche Motiv sticht sie jedoch nie. Wenn ein Kunde sich meldet, hat er meist schon eine ungefähre Vorstellung. Bolen setzt sich dann hin und macht eine Skizze – die der Kunde erst sieht, wenn er das Studio betritt.
Mit dem Berliner Kreativprekariat, seinen Co-Working-Spaces und Dumping-Preisen hat Bolens Berufsalltag wenig zu tun. Sie wacht morgens ohne Wecker auf, zeichnet sich ein paar Stunden warm und entwirft Motive, bevor sie ab ein Uhr im Laden ihre Kunden empfängt. Sie konzentriert sich auf eine Person am Tag und richtet sich zeitlich nach ihren Kunden und deren Ankunftszeiten – denn meist fliegen sie von irgendwo ein. Der Preis für ein einfaches Tattoo beginnt bei 250 Euro. Doch in der Regel sticht sie komplexe, ineinander übergehende Motive, bei denen sich die Honorare schnell summieren.
So hat sich die Ästhetin eine komplette Renovierung des Ladens finanzieren können. Es half, dass sie auch einen Abschluss in Interior Design hat: „Als ich vor Jahren eine Phase hatte, in der ich beim Tätowieren nicht besser wurde, schrieb ich mich zum Studium in Vancouver ein.“ Dort zeichnete sie alles mit der Hand, während ihre Kommilitonen digital planten. Die vornehm-anrüchige, in bestem Sinne altmodische Einrichtung des Studios trägt dazu bei, dass ihre Kunden, meist im Alter von 20 bis 45, sich trotz Schmerzen beim Stechen wohl fühlen. Kein Neonlicht über einem Plastiksitz auf Fliesenboden wie in anderen Studios. Bolen serviert Kaffee mit Biomilch, Musik spielt gegen das Surren der Tätowiernadeln an. Das Altmodische setzt sich fort in ihrer Arbeit: Im Trend sind wieder Motive aus den Anfängen der Tätowier-Kultur, Seemannsmotive wie Anker, Rosen mit Schriftzügen oder Herzen. Geweihe, so viel ist klar, gibt es bei Sarah Bolen nicht am A., sondern nur an der Wand.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Namen von Sarah Bolen falsch geschrieben. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
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