- Von der Kupfermine zum Mode-Olymp
Justin O'Shea sieht auf den ersten Blick nicht so aus, aber er kennt die Präferenzen stilbewusster Frauen auf der ganzen Welt. Als Chefeinkäufer des größten Internet-Modehändlers mytheresa.com reist er um die ganze Welt, um herauszufinden, was in der nächsten Saison Trend wird
Vollbart, bis unters Kinn tätowiert, das offene Hemd bietet einen Blick auf das Brusthaar: Justin O’Shea sieht aus, als spiele er Gitarre in einer Rockband der wüsteren Sorte. Sein Job jedoch ist zu wissen, welche Kleider die sehr modeinteressierten Frauen dieser Welt kaufen wollen – und zwar bevor die es selbst auch nur ahnen.
O’Shea ist Buying Director bei dem Münchner Unternehmen mytheresa.com, also Chefeinkäufer bei einem der weltgrößten Online-Versandhändler für Luxusmode. Als solcher reist der 34-Jährige eigentlich andauernd von London über Paris, Mailand und New York, nach Stockholm, Florenz, Rom und wieder zurück. Neun Monate des Jahres ist er damit beschäftigt, neben Moderedakteurinnen und einschlägigen Promis in den ersten Reihen der Fashion Weeks zu sitzen und in den Showrooms der Designer die Stücke der aktuellen Kollektionen anzuschauen, sie zu befühlen, auf ihr Verkaufspotenzial hin zu untersuchen und sie schließlich in großen Stückzahlen zu bestellen. Wer sich seinen Beruf anschaut, versteht ein bisschen besser, wie das globale Geschäft mit der Mode heutzutage funktioniert.
Denn es sind die Einkäufer der Online-Shops, die dafür sorgen, dass die neuen Kollektionen erhältlich sind, lange bevor sie in den Modemagazinen gezeigt werden oder in den Geschäften hängen. Die Chefeinkäufer von mytheresa.com, Net-aporter und Luisaviaroma setzen die Trends.
O’Sheas Kundinnen sitzen in 110 Ländern, in Argentinien, Australien, Abu Dhabi – sogar in mehr als ein Dutzend afrikanischer Länder liefert der Shop. Er sagt, durch die ständigen Reisen habe er ein Verständnis dafür entwickelt, wie sich Frauen in den unterschiedlichen Regionen der Welt kleiden. Speziell im Nahen Osten sei es wichtig, den örtlichen Lifestyle einzubeziehen. „Wenn ich Lanvin kaufe, entscheide ich mich für lange Kleider oder größere Größen – weil ich weiß, dass das Label im streng religiösen Saudi-Arabien gerade sehr angesagt ist.“
Anders als die Modekritiker ist O’Shea begeistert von den Kollektionen des Designers Hedi Slimane für das Pariser Traditionshaus Saint Laurent. Während die Süddeutsche Zeitung stänkerte, für die
Frühjahrskollektion hätte Slimane „den alten Yves mitsamt seinem Le Smoking unter harte Aufputschmittel gesetzt und ins Nachtleben von L. A. gezerrt“, sagt der Einkäufer: Mir gefällt die Richtung, die die Marke nimmt.“ Anders als unter Slimanes Vorgänger Stefano Pilati sei Saint Laurent nun wiedererkennbar und verständlich. Der Erfolg gibt ihm recht: Die Käuferinnen lieben die bodenlangen Seidenkleider und die Schlapphüte aus Filz.
Doch auch der Profi tätigt mal Fehlkäufe. Erst vor kurzem orderte er eine ordentliche Anzahl Sneakers eines bekannten Labels, weil er davon überzeugt war, dass der Schuh richtig erfolgreich werden würde. „Aber er hat sich einfach nicht verkauft. So ist das eben manchmal.“ Vielleicht sahen die Schuhe auf dem Foto auch einfach nicht gut genug aus. Beim Versandhandel entscheidet der erste Blick. Was nicht sofort gefällt, bestellt die Kundin nicht. Egal, wo auf der Welt sie vor dem Bildschirm sitzt.
O’Sheas abenteuerliche Erwerbsbiografie ist so global wie sein Job. Aufgewachsen in einem kleinen australischen Dorf, begann er seine Karriere als Stylist der britischen Alternative-Rock-Band Snow Patrol.
Mit der befand er sich gerade auf Tour, als seine Eltern sich scheiden ließen. „Mein Vater ist ein eher traditioneller Mann, der keine Ahnung hat, wie man kocht oder Wäsche wäscht. Ich ging also nach Hause
zurück, um mich eine Zeit lang um ihn zu kümmern“, sagt O’Shea in einem Englisch, in dem sich die australische Angewohnheit, die Melodie am Satzende fragend anzuheben, mit der nordamerikanischen Marotte mischt, möglichst viele Lückenfüller-likes einzubauen. Vater und Sohn jedenfalls kauften ein Haus, richteten es ein und O’Shea brachte seinem Vater bei, wie man sich eine anständige Mahlzeit zubereitet. Um, wie er sagt, „die Midlifecrisis meines Vaters auszuleben“, besorgten sie sich dann zwei Harley Davidsons. Weil O’Shea senior in einer Mine arbeitet, verdiente auch Justin in jenem Jahr sein Geld mit den Kupferabbau unter Tage. Die Erzählungen eines Kollegen von Tahitis schwarzen Perlen führten ihn anschließend in den Südpazifik. Er stieg in den Perlenhandel ein. Just als er nach London gegangen war, um eine eigene Schmuckkollektion aufzuziehen, kam er zu seinem ersten Job als Einkäufer für ein Modegeschäft. Nach London folgten Amsterdam und Kuwait, bis er vor drei Jahren schließlich bei seinem jetzigen Arbeitgeber in München landete.
Die Stadt, in der er lediglich drei Monate im Jahr verbringt, sagte ihm lange nicht zu. Bis er sich in seine Kollegin Veronika Heilbrunner verliebte. Die beiden sind so etwas wie das coole Powercouple
der Mode. Meistens prägen sein Gesicht zwei steile Falten zwischen den Augenbrauen, aber wenn O’Shea von seiner Freundin spricht, hellt sich seine Miene auf.
Er selbst trägt im Grunde seit Jahren das gleiche Outfit: maßgeschneiderte Dreiteiler des schwedischen Labels Acne und Prada- Schuhe. Dazu eigens für ihn angefertigte Sonnenbrillen, hinter denen er seine jetlagmüden Augen versteckt. Wie das ruhige Auge des Orkans, der zweimal jährlich die Laufstege, Magazine und Shops umwälzt, setzt der Mann, der die Trends steuert, modisch vor allem auf: Beständigkeit.
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