Pochen-Macher Kim Brian Dudek auf dem Gelände der vierten Pochen Biennale. / Foto: © Ingmar Nolting

Pochen Biennale - Im Osten geht das Licht an

Die internationale Medienkunstausstellung Pochen Biennale zeigt ab September 2024 zeitgenössische Kunst aus der Ukraine und rückt Chemnitz in die Mitte Europas

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Robert Horvath hat Biochemie und Kommunikations-wissenschaften studiert. Derzeit absolviert er ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Kim Brian Dudek steckt den Schlüssel ins Schloss und dreht ihn um. Ein lautes Klacken ertönt, dann öffnet er die schwere Tür und tritt ins Halbdunkel. Der 33-Jährige steht in einem hohen und breiten Gang. Es ist kühl. Rohre schlängeln sich entlang der Decke. Dudek schaltet das Licht an. Lange Neonröhren werfen kaltes Licht auf die Innereien eines ehemaligen Industriekomplexes. In der Distanz mündet der tunnelartige Raum in eine riesige, säulengespickte Halle. „Das wird der neue Ausstellungsort.“ 

Wenn Dudek spricht, hallt seine Stimme von den Wänden wider. Kein Wunder. Denn noch ist der weitläufige Gebäudekomplex leer. Nackt sind die Wände, staubig der Boden. Doch schon bald wird hier für vier Wochen die vierte Pochen Biennale stattfinden. Der drahtige Mann, der die Ausstellung gemeinsam mit Benjamin Gruner leitet und bei Planung und Umsetzung tatkräftig von einem großen, zum Teil ehrenamtlichen Team unterstützt wird, läuft langsam Richtung Gebäudemitte. 

Zeitsprung, 2014: In Chemnitz finden sich Freunde zusammen und gründen den Verein Spinnerei e.V. Gemeinsam organisieren sie verschiedene Kulturprojekte, darunter die seit 2015 auch in Chemnitz stattfindende Fête de la Musique, das größte Musikfest der Welt, das jährlich am 21. Juni an verschiedenen Orten auf dem gesamten Globus zelebriert wird. Vier Jahre nach der Gründung, ab 2018, wendet sich ein Teil der Gruppe einem neuen, einem zusätzlichen Projekt zu. Die Idee: eine Biennale für Chemnitz. Eine alle zwei Jahre stattfindende multimediale Kunstausstellung, die Themen behandelt, die eng mit der Stadt, ihren Menschen, ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbunden sind. Die erste Schau widmete sich, unter dem Titel „Tage des Aufbruchs“, dem ehemaligen Chemnitzer uranabbauenden Unternehmen Wismut. Weil Grubenarbeiter es im Jargon „pochen“ nennen, wenn sie das Erz aus dem Gestein schlagen, und das Wort zudem allerlei Assoziationen zulässt, einigt sich das Team auf diesen Titel. Die Pochen Biennale war geboren. 

Die Pochen Biennale 2020 wurde von Sabine Maria Schmidt und 
Olaf Bender kuratiert. Zu sehen gab es u. a. Frank Bretschneiders 
Live-Performance. / Foto: Udo Siegfriedt

Das Gebäude, das Dudek betreten hat, befindet sich auf dem Wirkbau-Areal, einem ehemaligen Industriekomplex, in dem in der Vergangenheit unter anderem Wirkmaschinen für die Textilindustrie hergestellt wurden. Die Textilherstellung und später auch der Maschinenbau waren es, die Chemnitz in der Vergangenheit zu einem der bedeutendsten Industriezentren Deutschlands aufsteigen ließen. „Die Firma, die die Wirkmaschinen hergestellt hat, gibt es auch heute noch“, erklärt Dudek. „Die sitzt mittlerweile in Ingolstadt.“ Zu DDR-Zeiten bereits habe das Unternehmen den Standort Karl-Marx-Stadt verlassen Von der ehemaligen Industrie ist, abgesehen von den hohen Fabrikgebäuden aus rotem Backstein und dem Glockenturm, der alle 15 Minuten sein Läuten vernehmen lässt, vor Ort nichts mehr zu sehen. Stattdessen finden Besucher auf dem weitläufigen Areal nun unter anderem ein Theater, eine Galerie und das Club-Urgestein Atomino, das hier nach den tanzlosen Coronajahren eine neue Heimat gefunden hat. Beinahe wie ein Fremdkörper wirkt da das milliardenschwer bewertete Chemnitzer Unternehmenskommunikations-Start-up Staffbase, das neben den verschiedensten Kultureinrichtungen ebenfalls auf dem Gelände angesiedelt ist. 

Orte, die reizen, sie zu erforschen

Das sowohl historisch als auch aktuell interessante Areal und die leer stehenden Räumlichkeiten darauf hätten das Team von Pochen überzeugt, erzählt der 33-Jährige, als er die große Säulenhalle durchquert. Deckenhohe Fenster sorgen für fahles Licht. „Leer stehende Gebäude haben einen gewissen Effekt auf Menschen.“ Zum einen, weil sie in ihnen keine Kunst erwarten würden. Zum anderen, weil es Orte seien, die reizten, sie zu erforschen – gerade dann, wenn sie einst von Bedeutung waren. Er verrät: Auch ein alter Supermarkt und ein ehemaliges Archiv seien in der engeren Auswahl gewesen. Überzeugt habe schlussendlich das bessere Gesamtangebot des früheren Industriekomplexes. Ein Vorteil: die Nähe zur Chemnitzer Innenstadt. „Zu Fuß ist man in nicht mal 20 Minuten auf dem Marktplatz.“ Die Vorbereitungen für die kommende Pochen Biennale befänden sich nun in der heißen Phase. Dudek läuft den in mehrere Abschnitte unterteilten, zum Teil verwinkelten, zum Teil weiten und offenen Ausstellungsort ab. Im Säulenraum liegt ein Haufen zusammengekehrter Schutt. Daneben steht eine Metallbox mit Klappstühlen. 

Im wörtlichen Sinne leer gefegt wirkt das Gelände für die 
Pochen Biennale 2024. / Foto: © Ingmar Nolting

In den nächsten Wochen fange das Team mit der Ortsentwicklung und den baulichen Maßnahmen an. Geplant sei keinesfalls nur eine riesige Industriehalle, in der Bilder hängen, so der Biennale-Leiter. Statt den Raum lediglich als leeren Container zu betrachten, wolle das Team ihn sich vielmehr „aneignen, zu eigen machen“. Am Ende soll der Raum mit den Kunstwerken korrespondieren. Mit dem bewussten Setzen von Licht und Perspektiven, einer bestimmten Wegführung, dem Hinstellen und Wegnehmen von Wänden sowie der bestimmten Auswahl an Materialien wolle man hier ein „vollumfängliches Erlebnis“ schaffen. Nach Beendigung dieser Maßnahmen werden hier bis Ende September diverse Ausstellungsräume, eine Bühne und eine Bar entstanden sein. „Stand heute erwarten wir 20 künstlerische Positionen“, erzählt der 33-Jährige. Das heißt: 20 verschiedene Künstler beziehungsweise Künstlerkollektive. Da es viele Videoarbeiten gebe, werde der Ausstellungsort eher dunkel sein. Daneben werden Künstler auch Fotografien, Audioinstallationen, Performances und andere Medienkunstformate präsentieren. Einige der Werke werden explizit für die Schau angefertigt. 

Über 40 verschiedene Veranstaltungen, darunter Podiumsdiskussionen, Lesungen, Vorträge, Workshops, Führungen, Stadtspaziergänge sowie gemeinsames Kochen sollen im Begleitprogramm stattfinden. Der Biennale-Leiter schiebt sein Fahrrad in Richtung des nur wenige Minuten vom Ausstellungsort entfernten Kulturbahnhofs Chemnitz. Er selbst lebt seit 2021 in der Stadt. Geboren und aufgewachsen im ländlichen Raum Hessens, zog er für sein Studium nach Marburg, dann weiter nach Jena, Berlin und Halle. „Ich habe gewusst, ich will in Ostdeutschland bleiben. Dann habe ich überlegt, wo ist es spannend, wo kann man etwas verwirklichen.“ Dudeks Suche endet schließlich in Chemnitz. Durch vorhergehende Engagements in verschiedenen Kunstprojekten sei er über Kontakte ins Pochen-Team gekommen. Während er erzählt, passiert er weitere leer stehende Gebäudeteile. Die Tatsache, dass Chemnitz zu einer der Städte Deutschlands mit dem höchsten Leerstand gehöre, ist für Dudek kein Problem. Ganz im Gegenteil. „Ich hatte Lust, etwas zu gestalten.“ Er sieht das Potenzial der sächsischen Großstadt und nennt sie einen „Möglichkeitsraum“. 
 

2023 stellte das Pochen-Symposium die Frage, ob die Welt fragil geworden sei. Eröffnet wurde es mit der 
Perfor­mance "fertile soil" von Olja Grubic / Foto: © Peter Rossner

 


Man kennt sich in Chemnitz

Die Sonne brennt. Dudek sitzt im Schatten einer Überdachung im Biergarten des Kulturbahnhofs. In dem Kulturhaus befinden sich neben dem Club Transit auch die Büros des Pochen-Teams. In dieser Schaltzentrale läuft ein Großteil der Biennale-Organisation zusammen. Im Hintergrund ist der Glockenturm des Wirkbau-Areals zu sehen. Ein DJ legt auf und sorgt für entspannte Hintergrundmusik. Es ertönen sanfte, elektronische Klänge. Während der 33-Jährige im Biergarten sitzt, wird er immer wieder von Anwesenden gegrüßt und in kurze Gespräche verwickelt. Man kennt sich in Chemnitz, besonders in der Kulturszene. 

Nachdem sich das Pochen-Team 2018 mit dem Chemnitzer Bergbauunternehmen Wismut („Tage des Aufbruchs“), 2020, anlässlich 30 Jahre Deutsche Einheit, mit der Treuhand („Preis der Zukunft“) und 2022 mit der Datafizierung („Die (neue) Vermessung der Welt“) beschäftigt hatte, habe man bereits 2022 gemeinsam überlegt, an welchem Thema man in der nächsten Phase arbeiten wolle. Zu dieser Zeit zeichnete sich das Ende der Pandemie ab, und im Hintergrund brodelte und intensivierte sich der Ukrainekrieg. „Wir wollten ein Projekt auf die Beine stellen, das sich mit der Frage beschäftigt, wie Menschen mit Krisen umgehen“, erklärt Dudek die frühen Überlegungen. 

Noch stehen die Räume auf dem Chemnitzer 
Wirkbau-Areal leer. / Foto: © Ingmar Noltin

Bald darauf steht das vom ukrainischen Kurator Serge Klymko erarbeitete Konzept. Der Titel der diesjährigen Medienkunstausstellung: „Ex Oriente Ignis“, zu Deutsch: „Das Feuer kommt aus dem Osten“. Im Zentrum der diesjährigen Biennale stehen dabei unter anderem der Ukrainekrieg sowie die Perspektive der davon betroffenen ukrainischen Bevölkerung. Ein Großteil der ausgestellten Arbeiten soll daher von ukrainischen Künstlern kommen. „Für uns war es sehr wichtig, dass wir auch mit ukrainischen Künstlern ausstellen – nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie Ukrainer sind, sondern eingebettet in eine Thematik und gemeinsam, auf Augenhöhe mit ostdeutschen und europäischen Künstlern“, erklärt der Biennale-Leiter „Die Besucher erwartet verschiedene künstlerische Zugänge zu diesem schweren und emotionalen Thema“, erzählt Dudek. „Mit dem umarmenden Begleitprogramm versuchen wir den Bogen zu schlagen zwischen dem Lokalen und dem Internationalen.“ 

Doch worin genau liegt sie, die Verbindung zu Chemnitz, die die Pochen Biennale seit ihren Ursprüngen herzustellen versucht? Zum einen besitze die Stadt, im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl, „eine der größten ukrainischen Communitys. Auch schon vor dem Krieg“, erklärt Dudek. Zudem setze man Chemnitz mit dieser Ausstellung nun auch in einen internationalen Kontext: „Chemnitz ist nicht nur Chemnitz in Sachsen, sondern Chemnitz ist in der Mitte von Europa.“ Da der Ukrainekrieg im Osten des Kontinents tobe und Chemnitz im kommenden Jahr Kulturhauptstadt eben dieses Kontinents werde, könne das Pochen-Team das Thema nicht ignorieren. Auf der Biennale wolle man sich demnach auch mit der Frage befassen, wie sich Europa mit dem Ukrainekrieg verändert, und was der Konflikt mit Chemnitz und seinen Bewohnern mache. Aber auch, „was es eigentlich bedeute, in solch gefährlichen Zeiten aufzuwachsen“. Ein Besuch der Chemnitzer Biennale lohnt, da ist sich Dudek sicher. Er kenne die Künstler und deren Arbeiten. „Ich weiß, dass man in diesem Zeitraum in anderen Teilen Ostdeutschlands keine Ausstellung mit vergleichbarer künstlerischer Qualität finden wird.“ Zudem biete die Biennale einen idealen Vorgeschmack auf Chemnitz als Kulturhauptstadt 2025.


Info: Die vierte Pochen Biennale wird vom 26.09.–20.10.2024 im Chemnitzer Wirkbau stattfinden. Kuratiert wird sie von Serge Klymko.

 

Dies ist ein Artikel aus dem Sonderheft „Chemnitz Capital“ von Cicero und Monopol.

 

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