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Cicero-Wahlkampfindex - Mehr Demoskopie wagen

Erreicht der Wahlkampf die Menschen? Wie offen sind die Wähler für die Kampagnen der Parteien? Cicero und Cicero Online begleiten den Bundestagswahlkampf mit einem innovativen Umfragetool 

Autoreninfo

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft im Bereich „Methoden der empirischen Politikforschung“ an der Universität Mainz. Zu seinen Forschungsgebieten zählen Wahlen, Wahlumfragen und Wahlkämpfe. 

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[[{"fid":"55311","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1024,"width":750,"style":"width: 120px; height: 164px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Cicero-Sonderausgabe „Die Entscheidung“ zur Bundestagswahl. Die Ausgabe ist am Kiosk und in unserem Online-Shop erhältlich

 

 

Jeder Wahlkampf hat seine eigene politische DNA. „Flut“ und „Irak“ erinnern an die Aufholjagd von Gerhard Schröder im Jahr 2002. Es gab 2009 den „Schlafwagenwahlkampf“, der Angela Merkel eine schwarz-gelbe Regierung und der FDP ein Traumergebnis bescherte. 2005 erfand die SPD den „Professor aus Heidelberg“.

Welche DNA den Wahlkampf 2013 prägen wird, ist noch völlig offen. Welche Dynamik er entfalten wird, hängt nicht nur von den Anstrengungen der Wahlkämpfer ab. Auf jede internationale Krise, jeden tatsächlichen oder vermeintlichen Skandal, auf jedes unbedachte Wort und fast jede Regung der Natur reagieren die Medien und oft auch die Wähler.

Dabei ist eines sicher: Wahlkämpfe werden immer wichtiger. Die Zeiten, in denen sich im Wahlkampf zwei politische Lager gegenüberstanden und es die vornehmste Aufgabe der Lagerparteien war, ihre Anhänger zum Abstimmen zu bringen, sind vorbei. Die Beziehung zwischen den Wählern und ihren Parteien ist nüchterner, zuweilen brüchig geworden. Noch Ende der siebziger Jahre identifizierten sich rund 75 Prozent der Wähler in Deutschland mit einer politischen Partei, der sie sich – auch ohne formelle Mitgliedschaft – emotional und politisch zugehörig fühlten. Dieser Anteil liegt heute bei rund 60 Prozent. Selbst jene Menschen, die sich mit einer Partei verbunden fühlen, sind eher bereit, entgegen ihrer Neigung zu stimmen – aus akuter Enttäuschung über die eigene Partei oder aus taktischen Erwägungen heraus.

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Die Wechselbereitschaft der Wähler in Deutschland ist hoch. Rund die Hälfte von ihnen hat sich eigenen Angaben zufolge im Lauf der Wahlkämpfe 2005 und 2009 erst am Schluss „entschieden“. Dies zeigt: Die Entscheidung des demokratischen Souveräns steht vor dem Wahltag länger denn je zur Disposition. Nicht nur für die Parteien, sondern auch für die Meinungsforscher ist dies eine Herausforderung.
Die Parteien können sich nicht mehr blind auf ihre Gefolgschaft verlassen. Die Wahlkämpfer müssen die Wähler stärker umgarnen, umwerben, überzeugen. Weil dies so ist, erinnern Wahlkampagnen mitunter stark an Markenwerbung. Die PR-Experten der Parteien zerlegen die Wählerschaft in fragmentierte Zielgruppen, planen Targeting-Maßnahmen auf Basis wissenschaftlich erprobter Botschaften und transportieren diese über einen ausgefeilten Mix der Kommunikationskanäle.

Zwar sagen Kritiker, diese Art des Wahlkämpfens habe ihren Preis. Politik sei keine Zahnpasta. Wer sie so verkaufe, befördere eine zynische Sichtweise auf die Politik und dürfe sich über Parteienverdrossenheit nicht wundern. Nur was wäre die Alternative?

Wenn Wahlkämpfe wichtiger werden, dann sollten sie selbst stärker in den Fokus geraten. Wie läuft der Wahlkampf? Schätzen die Menschen dieses urdemokratische Ritual? Oder nerven sie die Kampagnen der Parteien? Alles nur Show? Oder doch nicht? Diesen Fragen werden Cicero und Cicero Online im Wahlkampf 2013 mit einem innovativen Umfragetool nachgehen: dem Cicero-Wahlkampfindex. Der Index will einen anderen Blick auf den bevorstehenden politischen Sommer ermöglichen. Was zeichnet einen Wahlkampf aus? Er soll die Wähler erreichen, auch berühren, sie mit Informationen versorgen, ihnen eine Entscheidungshilfe sein.

Wahlkampf ist auch Kampf: um die Stimmen der Bürger. Dazu reicht es aber nicht, die Wähler zu erreichen. Die Bürger müssen zugleich offen sein für neue Impulse und Anregungen. Ein guter Wahlkampf schafft ein interessantes Angebot, das auf starke Nachfrage trifft. Daher besteht der Cicero-Wahlkampfindex aus zwei Dimensionen. Auf der Angebotsseite wird der Dynamik-Index abbilden, wie sich der Wahlkampf entwickelt, ob er bei den Menschen ankommt, wie sie ihn bewerten. Auf der Nachfrageseite wird der Volatilitäts-Index aufzeigen, wie (un-)entschlossen die Wähler sind, wie sehr sie bereit sind, ihre Wahlentscheidung noch zu ändern, um etwa einer bestimmten Koalition zum Erfolg zu verhelfen.

Die Ausgangslage ist vielversprechend. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Internet-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag von Cicero. Obwohl der Wahltag noch ein gutes Stück weg ist, sind knapp 61 Prozent der Befragten gespannt darauf, wie die Wahl ausgeht. Die Frage, ob sie die Bundestagswahl interessiere, verneinen nur 18 Prozent. Von Politikverdrossenheit kann demnach kaum die Rede sein.

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Gleichwohl bleibt für die Parteien noch viel zu tun bis zum 22. September: Stand heute fühlen sich nur 33 Prozent der Befragten ausreichend über ihre inhaltlichen Vorschläge informiert. Besorgniserregender ist, dass 62 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, der Wahlkampf sei eine reine Schauveranstaltung. 45 Prozent sind vom Wahlkampf bereits genervt, ehe er richtig begonnen hat. Das zeigt: Die Parteien und ihre Spitzenkandidaten dürfen sich auf keinen Fall zu platt inszenieren.

Zu holen ist für die Kandidaten und Parteien eine Menge: Nur 20 Prozent der Befragten halten die Wahl bereits für entschieden. Zwar sagen 55 Prozent, sie seien sich „sehr sicher“, welche Partei sie im September wählen würden. Auf 45 Prozent aber trifft genau dies nicht zu. Und 29 Prozent sagen, taktische Überlegungen könnten sie kurz vor der Wahl noch einmal zum Umdenken bringen.

Auf den Wahlkampf also kommt es an. Bislang setzt Angela Merkel auch 2013 auf ihre erfolgreiche Strategie von 2009: asymmetrische Demobilisierung. Sie weicht der politischen Konfrontation aus und inszeniert sich als Kanzlerpräsidentin, die über dem Parteienstreit steht.

Doch es gibt keine Garantie, dass es 2013 genauso läuft wie vor vier Jahren. Zu oft gab es in Wahlkämpfen einen Stimmungsumschwung. 1994 waren die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und die rot-rote Minderheitsregierung dort so ein Wendepunkt vor der Bundestagswahl. Die CDU packte die roten Socken aus und der SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping verlor. Im Jahr 2002 sah der CSU-Herausforderer Edmund Stoiber schon wie der sichere Sieger aus, dann sagte Schröder Nein zum Irakkrieg und zog während der Flut die Gummistiefel an. 2005 agierte Paul Kirchhof als Steuerexperte der CDU so unbeholfen, dass der Sieg der Kandidatin Merkel in Gefahr geriet. Am Ende stand die große Koalition.

Befeuert wird diese Wahlkampfdynamik auch durch große Ereignisse. So gehören seit 2002 Fernsehduelle zur Choreografie deutscher Wahlkämpfe. Die Zuschauerzahlen sind immens – 2005 waren über 20 Millionen Menschen live am Bildschirm dabei. Entsprechend können die Kanzlerin wie ihr Herausforderer eine Menge gewinnen, gerade weil mit diesem Duellformat auch viele politikferne Wähler erreicht werden. Dass Stefan Raab 2013 mitmoderieren darf, verleiht dem Ereignis einen besonderen Reiz.

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Nach dem Duell werden noch zwei Wochen bleiben, in denen neben den Parteien noch einmal die Bündnisfrage in den Mittelpunkt rückt. Denn am 22. September stehen auch mögliche Koalitionen zur Wahl. Spätestens dann schlägt auch die Stunde der Demoskopen: Die Taktik-Wähler gleichen den vorhergesagten Wahlausgang mit ihrer Präferenz ab – und reagieren, um ihren Einfluss auf das Ergebnis zu optimieren. Zuletzt kam es bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Januar 2013 zu einem Umschwung in letzter Minute. Zehn Tage vor der Wahl lag die FDP in Umfragen noch bei 5 Prozent und musste um den Einzug in den Landtag bangen. Da entschieden sich viele CDU-Anhänger, für die FDP zu wechseln und sie auf diese Weise sicher ins Parlament zu bringen. Die Liberalen verdoppelten ihren Stimmenanteil.

Die Möglichkeit eines solchen Last-Minute-Swings macht alle nervös, er ist der letzte Wahlkampf-Kick. Den Sonntagsfragen der Meinungsforscher sieht man ihn nicht an. Im Gegenteil: Die Sonntagsfrage ist selbst Teil der Dynamik. Wenn das ZDF im September mit seinem letzten Politbarometer bis drei Tage an die Wahl heranrückt, könnten die Wähler in dem Irrglauben, dass diese Vorhersage „richtiger“ sei, umso heftiger darauf reagieren.

Der Cicero-Wahlkampfindex hingegen will in den zwei Monaten vor der Wahl aufzeigen, wie viel Musik noch im Wahlkampf steckt; was die Parteien holen oder verspielen können. Mit dem Index wollen wir mehr Demoskopie wagen.

Der Cicero-Wahlkampfindex ist gemeinsam von Wahlforschern der Universität Mainz, dem Meinungsforschungsinstitut Yougov und Cicero entwickelt worden. Ihm liegen insgesamt zwölf Fragen zugrunde. Diese Fragen werden 2000 Menschen aus dem Online-Panel von Yougov in acht Wellen in den Wochen vor der Wahl gestellt. Los geht es Mitte Juli. Die Ergebnisse der Panelbefragung sind repräsentativ für alle Wahlberechtigten und werden wöchentlich bei Cicero Online veröffentlicht.

 

 

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