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Prism - Angela Merkel weiß, dass sie ein Problem hat

Vor ihrem Sommerurlaub stellte sich Angela Merkel den Fragen der Journalisten zur NSA-Affäre. Doch die Kanzlerin muss eingestehen: Sie weiß nichts. Sie ahnt wohl, dass Prism die Bundesregierung noch in Schwierigkeiten bringen könnte

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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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„Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht“, sagt die Bundeskanzlerin. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dann sagt es Merkel noch mal und noch mal, ganz so, als seien ihr selbst daran schon Zweifel gekommen: „Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht“.

Tatsächlich gab es daran zuletzt sogar große Zweifel – zumindest in Sachen Datenschutz, Post- und Fernmeldegeheimnis sowie beim informationellen Selbstbestimmungsrecht. Seit Edward Snowden Anfang Juni einem Journalisten des Guardian sein Wissen über das amerikanische Überwachungsprogramm Prism offenbarte und die flächendeckende, weltweite Überwachung des Datenverkehrs durch den US-Geheimdienst NSA enthüllte, wird in Deutschland intensiv über den Datenschutz diskutiert. „Wir prüfen, ob das die Spitze eines Eisberges ist“, sagt Merkel. Für eine Bundeskanzlerin ist das ein ziemlich ungewöhnlicher Satz. Im Grunde ist es das öffentliche Eingeständnis der eigenen Ohnmacht.

Dabei ist der sommerliche Besuch der Kanzlerin in der Bundespressekonferenz an diesem Freitag ein ziemlich berechenbares Ritual. Die Journalisten fragen mehr oder weniger kritisch, und Merkel antwortet mehr oder weniger ausweichend. Sie lobt ihre Regierung, verspricht den Hochwasser-Opfern weitere Hilfe, betont ihre Verdienste bei der Bekämpfung der Eurokrise und nennt Deutschland ein „starkes Land“.

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90 Minuten nimmt sich die Kanzlerin Zeit, um vor ihrer Abreise nach Südtirol vor den Hauptstadtkorrespondenten noch einmal gute Stimmung zu verbreiten. Das ist in diesem Jahr besonders wichtig, weil in neun Wochen ein neuer Bundestag gewählt wird – und die Kanzlerin gern weitere vier Jahre das Land regieren möchte. Das lindgrüne Sakko der Kanzlerin passt zum Sommer, passt zur Urlaubsstimmung und es passt zur Siegeszuversicht, die sie verbreiten möchte. Eigentlich.

Denn dank Snowden hat der Wahlkampf in Deutschland endlich ein erstes Thema. Eines, das Merkel nicht weglächeln, wegschweigen oder wegwurschteln kann. Prism hat die Bundeskanzlerin und ihre Regierung in die politische Defensive gedrängt. Also sind die Fragen der Journalisten in der Bundespressekonferenz diesmal noch etwas kritischer und die Antworten der Bundeskanzlerin noch ausweichender. Gut sieht die Kanzlerin nicht aus, darüber kann auch ihr entspanntes Lächeln nicht hinwegtäuschen. Merkel hat ein Problem. Und sie scheint es zu wissen.

Merkel laviert. Details von Prism will sie nicht kennen, das Spähprogramm gar zu analysieren, sei ihr „völlig unmöglich“. Dabei wird darüber in Deutschland bereits seit sechs Wochen intensiv diskutiert. Bei der Frage nach der Rolle und dem Wissen des BND verweist sie auf das Parlamentarische Kontrollgremium. Auf die Frage, wie sie die Arbeit ihrer beiden für Prism zuständigen Minister – Kanzleramtschef Ronald Pofalla und Innenminister Hans-Peter Friedrich – einschätzt, spricht sie beiden erneut „vollstes Vertrauen“ aus. Und der Frage, ob es ein Prism-Progamm gebe oder zwei, wie die Bundesregierung der Öffentlichkeit zuletzt weismachen wollte, weicht sie aus. Die Kanzlerin verspricht stattdessen „Aufklärung“, „schnell, präzise und transparent“. Sie zitiert dazu ausgerechnet ihren sozialdemokratischen Vorgänger Gerhard Schröder: In der Irak-Frage hatte er gegenüber den USA den Satz geprägt, das Recht des Stärkeren dürfe nicht an die Stelle der Stärke des Rechtes treten.

Dabei haben die Amerikaner die Deutschen und auch Kanzlerin Merkel in den letzten Tagen deutlich spüren lassen: Für sie gilt das Recht des Stärkeren. Sie haben die Macht und die Möglichkeit. Die Fragen, Einwände und Bedenken der Deutschen interessieren sie nicht besonders. Die US-Regierung hat Bundesinnenminister Friedrich bei seinem Besuch in Washington ziemlich kühl abblitzen lassen. Merkel verspricht in Berlin „Aufklärung“ und spricht von „vielen Detailfragen“, die es noch gebe.

Fast zur selben Zeit erklärt NSA-Chef Keith Alexander in den USA auf einer Sicherheitskonferenz, die Deutschen wüssten jetzt alles. Merkel lobt in Berlin die deutsch-amerikanische Freundschaft. Sie bekräftigt die Aussage Barack Obamas, dass „man nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten haben“ könne. Dazu erklärt sie, die Bundesregierung wolle die Amerikaner bitten, sich bei ihren Aktivitäten in Deutschland an deutsches Recht zu halten. Keith Alexander hingegen sagt in Übersee über die deutschen Freunde: „Wir sagen ihnen nicht alles, was wir machen oder wie wir es machen.“

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In Berlin auf der Pressekonferenz mit den Hauptstadtjournalisten versichert die Kanzlerin dann noch, dass sie für die Freiheit und für die Sicherheit Verantwortung trage, für den Schutz vor Terror und für den Schutz der Privatsphäre. Und sie betont, dass beide Werte selbstredend in einem gewissen Spannungsverhältnis stünden. Schöne Worte sind dies, Allgemeinplätze. Doch konkret wird sie auch hier nicht.

Hilflos wirkt Merkel, sie klammert sich fast an den Satz „auf deutschen Boden gilt deutsches Recht“. Natürlich möchte man gerne wissen, wie die Kanzlerin die amerikanischen Freunde dazu bringen will, sich an deutsches Recht zu halten, wie sie in Washington Druck machen will. Man werde „geeignete Wege finden“, antwortet Merkel. Doch vermutlich ahnt sie, dass es keine geeigneten Wege geben wird und vor allem ahnt sie wohl, dass Prism die Bundesregierung in den kommenden Wochen noch in Schwierigkeiten bringen könnte. Und vermutlich hofft sie, dass die ganze Wahrheit erst nach dem 22. September auf den Tisch kommt.

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