- Leidenschaft Uhren sammeln
Vom ersten Geld als Zeitungsjunge kaufte sich unser Autor eine Uhr mit wunderschönem Handaufzug. Dann war es um ihn geschehen. Geschichte einer Leidenschaft
[[{"fid":"54850","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":164,"width":120,"style":"width: 120px; height: 164px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieser Text erschien zunächst in der Printausgabe des Cicero (Mai). Wenn Sie das monatlich erscheinende Magazin für politische Kultur kennenlernen wollen, können Sie hier ein Probeabo bestellen.
Uhren spielen in meinem Leben seit 1964 eine Rolle. Damals, als Schüler, träumte ich von einem echten, aber leider viel zu teuren Armbandchronografen. Zur Aufbesserung des Taschengelds verteilte ich freitags im Münchner Stadtteil Harlaching 800 Exemplare eines Anzeigenblatts. An Weihnachten gab es Trinkgeld. Mehr als 500 Deutsche Mark zählte ich am Ende des besagten Jahres – genug, um den neuen Heuer „Carrera“ mit dem wunderschön fein bearbeiteten Handaufzugskaliber Valjoux 72 zu erwerben. 311 Mark machten mich quasi über Nacht zu einer Art Star. Jeder in der Schule wollte die Drücker der Uhr bedienen und sehen, wie die Zeiger starteten, anhielten und wieder in die Senkrechte sprangen.
Solcherart bestätigt, kaufte ich 1965 einen „Memovox“-Wecker von Jaeger-LeCoultre, im Jahr darauf eine Omega „Constellation“. 1970 hatte ich auf der Münchner „Auer Dult“, einem Traditions-Trödelmarkt, gleich dreifaches Glück. Ich entdeckte ein Trio aus Rolex „Prince“, Omega „Speedmaster“ und Angelus „Chronodato“, Gesamtpreis: 600 Mark. Bei drei guten Uhren, heißt es, beginnt eine ernsthafte Sammlung. Mir gehörten sechs, und ich wollte mehr. Mich faszinierte die technische Komplexität, die in dem kleinen Gehäuse Platz findet. Darüber hinaus waren Uhren für mich sympathische, weil dezente Statussymbole, anders als zum Beispiel Autos.
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Allmählich verbreiteten sich die schwingenden Quarze an den Handgelenken. Bei Quarzuhren erfolgt die Zeitmessung durch einen elektronisch angeregten Schwingquarz, ohne die Räder im Laufwerk. Als James Bond 1973 in „Leben und sterben lassen“ das feuerrote Display einer Hamilton „Pulsar“ aufleuchten ließ, war auch ich zunächst angefixt. Doch mir wurde schnell klar, dass mich auf Dauer nur die mechanischen Modelle faszinieren können, ohne Batteriebetrieb und ohne jeglichen CO2-Ausstoß. Mechanische Uhren können Modelle mit Handaufzug sein oder Automatikfunktion, bei denen die Unruh, ein Bauteil des Uhrwerks, bestehend aus Unruhreif und Unruhspirale, als Energiequelle dient. Seit über 700 Jahren wird so die Zeit erfasst. Die elektronische Zeitmessung dagegen entwickelte sich erst in den Zwanzigern. Ich konzentrierte mich als Sammler auf die altehrwürdige Mechanik.
Heute, als Uhrenjournalist, bestätigen mir immer wieder Experten, dass ich damit richtig lag, wie gerade wieder Stephen Urquhart, Direktor der Uhrenmanufaktur Omega: „Wir bekommen inzwischen viele Quarz-Armbanduhren aus den siebziger und achtziger Jahren zur Reparatur. Oft müssen wir passen, da es keine Teile mehr gibt. Mechanische Uhrwerke hingegen können wir immer instand setzen. Notfalls fertigen wir das defekte Teil eben an.“
Ähnlich verhält es sich bei anderen Traditionsmarken. Und genau das sollten sich potenzielle Sammler hinter die Ohren schreiben. Da die Quarzwelle in den Siebzigern das traditionelle Handwerk förmlich überrollte, blieben feine mechanische Armbanduhren in den Läden liegen. Offiziell zertifizierte Chronometer von Junghans oder Laco, Modelle mit Selbstaufzug, auch wunderbare Chronografen wanderten zu kräftig reduzierten Preisen über den Tresen. Breitling offerierte ausdrucksstarke Klassiker vom Schlag eines „Navitimer“ im Discounter für ein Drittel ihres offiziellen Ladenpreises.
Als inzwischen Uhren-Süchtiger entdeckte ich auch die Flohmärkte. Hier ließ jedoch der Zustand teilweise sehr zu wünschen übrig. Heftige Gebrauchsspuren mahnen zur Vorsicht. Permanent führte ich Uhrmacherlupe und Gehäuseöffner mit. Armbanduhren bis in die Achtziger hinein besitzen nämlich in aller Regel keinen Sichtboden, durch den man ihr mechanisches Werk betrachten kann. Verständlicherweise war nicht jeder Händler begeistert, wenn ich ins Innere seiner Ware vordringen wollte. Gegenstände heißer Sammlerdiskussionen sind in diesem Kontext auch die Zifferblätter. Lässt man verblichene, oxidierte oder angekratzte Exemplare, wie sie sind, oder gibt man sie einem Spezialisten zum Erneuern? Mit dem Auffrischen, wie Fachleute sagen, geht die Patina verloren. Genau daran können sich Interessenten beim späteren Wiederverkauf stören. In diesem Sinne waren die Zifferblätter meiner Uhren absolut tabu.
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Der wohlmeinende Rat meiner Lebensgefährtin und Freunde, die Finger von derart unnützem, kostspieligem Zeug zu lassen, störte einen Süchtigen wie mich nicht. In Proportion zu meiner Sammlung wuchsen meine Schulden. Freunde fuhren mit schicken neuen Autos ins Bade- oder Skiwochenende, ich mit einem ehemaligen Taxi, einem Diesel mit 55 Pferdestärken und 480 000 Kilometern auf dem Buckel dorthin, wo es eventuell Armbanduhren, aber auch Fachzeitschriften und Bücher zum Thema zu kaufen geben könnte. Einschlägige Literatur war damals nämlich rar.
Eines Freitags im Jahr 1981 war ich in Augsburg. Wie es der Zufall wollte, öffnete exakt an diesem Nachmittag das zuvor jahrelang geschlossene Geschäft eines angesehenen Juweliers. Nach dem Eintreten traute ich meinen Augen kaum. In flachen schwarzen Schachteln lag, was mein Herz sehnlichst begehrte: mechanische Armbanduhren von Breitling, Ebel, IWC, Jaeger-LeCoultre, Omega, Longines oder auch Vacheron & Constantin. Meist aus den vierziger, fünfziger und frühen sechziger Jahren. Alle mit Original-Preisschildern aus ihrer Zeit versehen. Zur Eröffnung gab es darauf nochmals 30 Prozent Rabatt. Eine IWC mit dem legendären Kaliber 89 war für 40 Mark wohlfeil, eine IWC „Ingenieur“ mit Goldhaube für 250 Mark und ein Breitling „Duograph“ mit Schleppzeiger-Chronograf für 400 Mark. Zu allem Überfluss stand vieles doppelt und dreifach zur Verfügung. Dass ich anschließend überhaupt noch heil nach Hause kam, grenzt an ein Wunder. Im Auto verteilten sich über 50 mit Scheck bezahlte Armbanduhren. Stolz musste ich laufend darauf blicken. Meine Freundin und spätere Ehefrau hingegen war entsetzt, als sie abends vor das uhrenübersäte Bett trat. „Musste das wirklich sein? Du weißt doch um deine Finanzen.“
Flohmarkt-Sternstunden und andere Glücksgriffe ließen die Sammlung bis 1982, damals war ich 34 Jahre alt, auf über 800 Armbanduhren anwachsen. Mehr als 90 Prozent davon waren ungetragen. Besonders freute mich eine Kollektion rechteckiger Modelle aus den dreißiger Jahren, alle mit unterschiedlichen Gehäusen und feinen Formwerken von IWC, Jaeger-LeCoultre, Movado, Longines und Urofa. Oder ein breites Spektrum an Uhren, welches gleichzeitig die Geschichte des automatischen Aufzugs, der Chronografen und der Armbandchronometer deutscher Provenienz abbildete.
Inzwischen war ich schleichend vom Mitarbeiter eines wissenschaftlichen Instituts zum Uhren-Journalisten geworden. 1982/83 verfasste ich mit zwei Koautoren eines der weltweit ersten Bücher über Armbanduhren, meine Bibel. Die Tantiemen für das Buch gestatteten weitere Uhrenkäufe, die das Budget schließlich wieder kräftig überstiegen. Dann kam der Dämpfer: Weihnachten 1986, zwei Kleinkinder auf dem Schoß, bemängelte meine Frau mit trauriger Miene unsere wenig großzügige Wohnsituation. Als sich kurz darauf ein Reihenhaus in einem alten Münchner Stadtteil anbot, empfand ich dies als Chance, die kein Zögern erlaubte.
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Viele Armbanduhren gehabt und in einem Buch verewigt zu haben, war wunderbar. Nun gab es andere Prioritäten. An Kaufinteressenten für meine Uhrensammlung mangelte es nicht. Bücher machen bekannt und schaffen Vertrauen. Der Ruf eilte bis nach Japan. Ein Sammler aus Tokio interessierte sich für die Modelle mit Selbstaufzug. Ein anderer Freak nahm die rechteckigen Armbanduhren mit. Auch viele Chronografen waren schnell weg, und schließlich hatte ich den Hauptteil verkauft – bis auf 150 Exemplare, von denen ich mich bis heute nicht trennen konnte.
Ins neue Haus kam ein Tresor für den chronometrischen Wochenbedarf, der Rest wanderte konsequent in die Bank. Das war zwar umständlich, ließ mich aber ruhig schlafen. Versicherungen spielen bei häuslicher Verwahrung nämlich nur in begrenztem Umfang mit. Oder die Prämien sind schier unbezahlbar.
Meine Frau gestand mir nun wieder feierlich zu, Geld für Uhren auszugeben. Doch das Weitersammeln gestaltete sich schwierig. Reize und Werte interessanter Sammlerarmbanduhren aus vergangenen Epochen hatten sich herumgesprochen. Die Preise kletterten und kletterten. 1983 bekam man eine IWC Fliegeruhr „Mark 11“ je nach Erhaltungszustand für 200 bis 300 Mark. Heute geht unter 2500 Euro kaum noch etwas. Ähnlich verhält es sich beispielsweise mit dem Omega Chronometer Kaliber 30T2 oder einem Kaliber 135 von Zenith. Die Nachfrage übersteigt das Angebot und diktiert damit den Preis.
Ansichtssache ist und bleibt, welche Art von Armbanduhren man sammeln sollte. Marken, Material, Designs, Werke, Zusatzfunktionen, Epochen – die Möglichkeiten sind endlos. Spezialisierung bringt unbestreitbare Vorteile.
Chronometrisches Kraut-und-Rüben-Sammeln besitzt aber auch seine Reize. Wer vieles sucht, wird womöglich leichter etwas finden. So ging es mir 2011 in San Telmo, Buenos Aires. Aus einem der vielen „Antiquitäten-Käfige“ strahlte das weiße Emaillezifferblatt eines 45 Millimeter großen Armband-Chronografen, signiert „Geneva Timing and Repeating Company“. 300 Dollar war die nach Aussagen des Verkäufers umgebaute Taschenuhr allein schon wegen des traumhaften Innenlebens wert. In meinen Augen hatte die heute völlig unbekannte Firma das stattliche Gerät allerdings schon Ende des 19. Jahrhunderts fürs Handgelenk gefertigt – eine Pioniertat. Ich behielt recht: Es handelte sich, wie sich herausstellte, um einen der frühesten Armband-Chronografen überhaupt. Dieser zeitschreibende Jumbo begleitet mich derzeit fast täglich. Nach fast 50 Sammlerjahren bereitet er mir heute ähnliche Freude wie der Heuer „Carrera“ von 1964.
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