- Ein liberaler Hardliner
Bevor er im März Bundesinnenminister wurde, war der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich als Chef der CSU-Landesgruppe ein stets um Ausgleich bemühter liberaler Konservativer. Jetzt muss er manchmal den Wadenbeißer geben, der er eigentlich nicht ist.
Von seinem Büro im 13. Stock des Innenministeriums hat Hans-Peter Friedrich einen weiten Blick über die Stadt. Der gläserne Neubau liegt im früheren Arbeiterkiez Wedding. Heute leben dort mehr Migranten als Deutsche. „Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.“ Ein verhängnisvoller und seltsam gedrechselter Satz war das, verletzend für Migranten, überfällig für manchen Konservativen. Ein Satz, der gar nicht zu dem stets ausgleichenden und mäßigenden früheren CSU-Landesgruppenvorsitzenden zu passen schien. Ein Paukenschlag, mit dem der 54-jährige Politiker sich gleich bei seinem Amtsantritt vor drei Monaten bundesweit bekannt machte.
Ist er ein Hardliner? Oder gibt er ihn nur? Seine Vorgänger Otto Schily und Wolfgang Schäuble setzten strikte Law-and-Order-Gesetze zur Terrorismusabwehr durch. Erfahrene Politiker, die Friedrich kennen, glauben nicht, dass er in diese Fußstapfen treten wird. Der Liberale Max Stadler, Staatssekretär im Bundesjustizministerium, bezeichnet ihn in seiner persönlichen Art als „umgänglich, obwohl wir sachliche Differenzen haben“; Innenexperte Dieter Wiefelspütz (SPD) beschreibt ihn trotz des „Fehlstarts“ als „pragmatischen, liberalen Konservativen“.
Fehlstart? Das sieht Friedrich ganz anders: „Mein Start? Super. Es ist nichts, wenn man immer drum herum redet. Das mögen die Leute nicht.“ Dennoch redet er über Muslime und Integration heute anders als noch im März. Verbindlicher. Der Innenminister hat eine türkische Schwägerin. Ihre Schwester schneidet ihm die Haare, sein Zahnarzt ist fränkischer Türke.
Kürzlich war er in den USA. „Da zählen die Flagge, die Hymne, der Stolz, der american dream“, schwärmt er. Auch er will mehr Gemeinschaftsgefühl in Deutschland und in Europa, und er findet es selbstverständlich, an seinem Revers die Deutschlandflagge zu tragen. „Nur wenn man sich seiner religiösen oder auch nationalen Identität sicher ist, kann man anderen offen begegnen.“
Innenminister war in der Lebensplanung des einstigen Verkehrsexperten eigentlich nicht vorgesehen. Um den Posten gab es Anfang März, nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg, in der CSU ein nächtliches Gerangel. Am Ende rief der entnervte bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer bei Hans-Peter Friedrich an. Dessen Frau, eine Richterin, mit der er drei Kinder hat, gab ihm den Rat: „Du kannst es machen, wenn du der Überzeugung bist, dass du dich für das Amt begeistern kannst.“ Friedrich lacht: „Ein toller Satz. Nicht wahr?“
Auch wenn Seehofer Friedrich notgedrungen zu einem der einflussreichsten Ämter verhalf, die dieses Land zu vergeben hat, ist das Verhältnis – freundlich formuliert – distanziert. Bereits als Friedrich CSU-Landesgruppenchef war, gab es immer wieder Reibereien zwischen dem konsequenten Stimmungspolitiker Seehofer und dem strikten Ordnungspolitiker Friedrich. Mittlerweile hat Friedrich ohnehin stärkere Verbündete. Über die Kanzlerin sagt er: „Hielt sie mich anfangs für stur, weiß sie jetzt, dass ich einfach nur konsequent bin.“ Seine blauen Augen strahlen. Punktsieg. Gegen München.
Woher kommt diese Fähigkeit, nicht einzuknicken, durchzuhalten? An seiner Schule in Naila im Landkreis Hof sei er von 68er-Lehrern und K-Gruppen umgeben gewesen. „Ich wollte dagegensteuern.“ Er wurde mehrmals zum Klassen- und Schülersprecher gewählt, vertrat seine Meinung. „Wenn Sie dann so richtig ausgepfiffen werden, lernen Sie zu stehen“, sagt er und schaut ernst. Aber auch sonst war seine Jugend nicht die eines verwöhnten Bengels, der vor lauter nachgeworfenen Möglichkeiten den Weg aus den Augen verliert. Friedrich ist eines von fünf Kindern. Sein Vater war Bauhofverwalter. „Bis zu meinem 14. Lebensjahr bin ich nicht aus Oberfranken herausgekommen, während viele andere nach Italien fuhren.“
Heute nimmt Friedrich, seit 1998 Bundestagsabgeordneter, an Runden der europäischen Innenminister teil, sitzt am Kabinettstisch, trägt in den geheimen Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums vor. „Für mich ist am Ende wichtig, dass für Deutschland die innere Sicherheit gewährleistet ist.“ Das ist seine Agenda. Und sein Konfliktfeld. Friedrichs politischer Kontrahent ist die FDP. Einer seiner Lieblingssätze lautet derzeit: „Super Vorschlag. Aber ich muss mit der Dame weiterhin zurechtkommen“, so erzählt es der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU). Die „Dame“ ist Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, deren innere Mission der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung ist. Friedrich, so erwartet es sein Umfeld, wird bald aus der Deckung kommen müssen. Ob das leicht wird? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich schon in der Regierung Kohl quergestellt. Auch sie ist in ihrem politischen Handeln konsequent, in der SPD sagt man: „fundamentalistisch“.
Die politischen Parameter verschieben sich gerade grundsätzlich. Noch 2005 trat der promovierte Jurist (Thema: Testamentsvollstreckung) für die Jamaikakoalition ein. Heute ist diese Option für ihn undenkbar. Während ihm die FDP im neuen Amt immer fremder wird, misstraut er den Grünen ohnehin schon länger. Über die Sozialdemokraten sagt er hingegen: „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die Steinmeier- und Steinbrück-SPD sich eines Tages so sehr auf einer Wellenlänge mit uns befindet.“ Er schaut aus dem Fenster seines Ministerbüros, über die Stadt, in die Ferne.
Es gibt immer eine nächste Wahl. Bisweilen suchen sich dann auch Konservative neue Lebensabschnittspartner.
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