() Papst Benedikt
„Das vom Modernismus verseuchte Rom“ – Lefebvre und der Papst
Wer die momentanen Turbulenzen im jüdisch-katholischen Verhältnis begreifen will, der muss hinabsteigen in den Brunnen der Vergangenheit.
Wer wissen will, warum Benedikt XVI. die „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ am Herzen liegt, sodass er deren vier Bischöfe vom Bann der Exkommunikation befreite, der muss zurückblicken auf das Jahr 1988. Hätte Joseph Ratzinger damals nicht die größte Niederlage seines Lebens erlitten, müsste Benedikt XVI. heute nicht seine „volle und unbestreitbare Solidarität für unsere Brüder, die Träger des ersten Bundes,“ bekräftigen. Damals scheiterte der Glaubenspräfekt Ratzinger, als er die Abspaltung der „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ verhindern sollte. Heute will Benedikt XVI. die Wunde schließen – die Wunde innerhalb der Kirche und die Wunde am eigenen Leib.
Der ehemalige Erzbischof von Dakar, Marcel Lefebvre, war 64 Jahre alt, als er im November 1970 die traditionalistische Bruderschaft gründete. Sie sollte sich zum Zentrum entwickeln eines innerkirchlichen Widerstands gegen die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßenen Reformen. Vor allem die nachkonziliar beschlossene neue Liturgie, die Abkehr vom Latein und die Relativierung des Opfergedankens, war Lefebvre ein Dorn im Auge. Trotz päpstlichen Verbots weihte er Priester ausschließlich nach dem und für den alten Ritus. In dieser Hinsicht wie auch in vielen theologischen Fragen stellte Lefebvre den Glauben über den Gehorsam. Insofern erinnert sein Rebellentum durchaus an Martin Luther – wenngleich er im Namen einer alten, zu restaurierenden, keiner neuen, erst zu findenden Kirchenmoral aufbegehrte.
Die finale Eskalation begann im Dezember 1983. Lefebvre veröffentlichte sein „Bischöfliches Manifest“. Unmittelbarer Anlass war das zu Jahresbeginn von Johannes Paul II. in Kraft gesetzte neue Kirchenrecht, dem Lefebvre vorwarf, „protestantischen und modernen Irrtümern“ Rechtsrang zuzuerkennen. Im „Manifest“ listete er dann sechs „Irrtümer“ des Konzils auf, darunter „eine demokratische Ausrichtung der Kirche“, eine „protestantische Auffassung des heiligen Messopfers und der Sakramente, verurteilt durch das Konzil von Trient“ und eine „irrige Auffassung von der Gewalt des Papstes“, die keineswegs absolut, sondern der Überlieferung und der Heiligen Schrift untergeordnet sei.
Trotz dieser Provokationen riss der Gesprächsfaden nicht – auch dann nicht, als Lefebvre im Juni 1987 die Weihe von Bischöfen ankündigte. Eine solche Maßnahme, schrieb er an Joseph Ratzinger, sei nötig, „um dieses Werk fortzusetzen, denn Rom ist in der Finsternis.“ Sowohl im Juli 1987 als auch im April und Mai 1988 kam es daraufhin zu mehreren Gesprächen zwischen Lefebvre und dem Vorsitzenden der Glaubenskongregation. Das letzte Treffen mündete in ein Konsenspapier. Die sogenannte „Fünf-Punkte-Erklärung“ wurde am 5. Mai 1988 unterzeichnet. Das Schisma schien damit endgültig verhindert, Ratzinger hatte erreicht, was der Papst ihm aufgetragen hatte.
Die Erklärung enthielt das Versprechen Lefebvres, „dem Bischof von Rom [...] immer treu zu sein“. Außerdem verpflichtete er sich, hinsichtlich „gewisser nach dem Konzil erfolgter Reformen der Liturgie und des Kultus, die uns mit der Tradition schwer vereinbar erscheinen, eine positive Haltung des Prüfens [...] einzunehmen und jede Polemik zu vermeiden.“ Ratzinger bekräftigte im Gegenzug, man werde dem Papst nahe legen, einen Priester aus den Reihen der Bruderschaft zum Bischof zu ernennen. Ein genaues Datum wollte er nicht festschreiben.
Tags darauf, am 6. Mai 1988, schickte Lefebvre Ratzinger ein Ultimatum – „eine kleine Bombe“, wie er laut seiner Biographie sagte. Spätestens am 30. Juni, nach dem Hochfest Peter und Paul, müsse die Weihe vollzogen sein. Rom solle so beweisen, dass es nicht auf Zeit spiele, nicht den Tod des mittlerweile 82 Jahre alten Ex-Bischofs abwarte. Ratzinger antwortete am 17. Mai, Lefebvre möge für den Papst ein „demütiges Nachsuchen“ verfassen, aber kein Datum nennen. Der aufgebrachte Lefebvre fuhr daraufhin nach Rom, traf abermals mit Ratzinger zusammen. Am 24. Mai kam es zum entscheidenden Treffen. Ratzinger möge doch Johannes Paul II. mitteilen, er, Lefebvre, bitte um die Weihe von drei Bischöfen bis zum 30. Juni. Ratzinger übermittelte das Ansinnen, der Papst lehnte ab. Mehr als einen Bischof werde er nicht bestimmen, und bis zum 15. August könnte es dauern. Lefebvre erblickte in dieser Verzögerungstaktik den Versuch, seine Bruderschaft ohne allzu große Zugeständnisse in der „Konzilskirche“ aufgehen zu lassen.
Der Weg war nun vorgezeichnet. Am 2. Juni schreibt Lefebvre an Johannes Paul II.: „Angesichts der Weigerung, unser Bitten zu berücksichtigen, und der offenkundigen Tatsache, dass das Ziel dieser Wiederversöhnung für den Heiligen Stuhl keineswegs das gleiche ist wie für uns, halten wir es für besser, auf Zeiten zu warten, die für die Rückkehr Roms zur Tradition günstiger sind. [...] Wir fahren fort zu beten, dass das vom Modernismus verseuchte Rom wieder das katholische Rom werde und zu seiner zweitausendjährigen Tradition zurückfinde. Dann wird es kein Problem der Wiederversöhnung mehr geben, dann wird die Kirche eine neue Jugend erleben.“
Am 30. Juni 1988 weiht Lefebvre im schweizerischen Econe widerrechtlich, aber gültig vier Priester zu Bischöfen, darunter den nun wegen seiner Holocaust-Leugnung so unrühmlich bekannt gewordenen Briten Richard Williamson. Wenige Stunden zuvor hatte Ratzinger noch ein Telegramm geschickt: „Der Heilige Vater verlangt von Ihnen väterlich, aber mit Festigkeit, sofort heute nach Rom aufzubrechen, ohne die Weihen vorzunehmen.“ Vergebens: Die Würfel waren gefallen, die Wege der Bruderschaft und des Vatikans hatten sich endgültig getrennt. Am 1. Juli 1988 verkündigt die Bischofskongregation, dass Lefebvre und seine vier Bischöfe sich durch den „schismatischen Akt“ die „Exkommunikation als Tatstrafe zugezogen haben“.
Lefebvre stirbt am 25. März 1991. Seine Bruderschaft bleibt klein, wächst jedoch von damals 100.000 auf heute rund 600.000 Anhänger weltweit. Benedikt XVI. erlässt am 21. Januar 2009 die Strafe der Exkommunikation. Ein „Zeichen zur Förderung der Einheit in der Liebe der Universalkirche und zur Überwindung des Skandals der Spaltung“ sei der Gnadenakt. Die Bruderschaft fordert er auf, „die Autorität des Papstes und das Zweite Vatikanische Konzil aufrichtig anzuerkennen.“
Foto: Picture Alliance
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