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() Der 70jährige Peter Wallenberg
„Wir haben kein Geld“

Sie sind eine der mächtigsten Unternehmer-Dynastien Europas. In fünfter Generation halten die schwedischen Wallenbergs ihre Milliarden zusammen.

Der Schriftzug „Investor“ am Eingang zu dem Gebäude am Arsenalsgatan 2c ist winzig, wirkt aber gerade dadurch mehr aggressiv als bescheiden. Absicht ist das nicht. Die Beteiligungsgesellschaft hinter der prächtigen Altstadtfassade in Stockholm umfasst 140 Unternehmen. Es ist das mobile Feldkommando der diskreten Familie Wallenberg. Hier laufen Fäden ihres Imperiums zusammen. Teatime beim amtierenden Clanchef, Jacob II. Wallenberg. Der 52-Jährige ist Chairman von „Investor“. Sein gleichaltriger Cousin Marcus III. wacht als Präsident über die mächtigen Enskilda-Banken – und noch über einiges mehr, etwa das Rüstungskonglomerat „Saab Defense“ („Saab Auto“ gehört zu General Motors). Wie subtil diese Zweierherrschaft an der Spitze eines der ältesten und größten Industrievermögen Europas gehandhabt werden muss, wird sich erst sehr viel später erschließen, wie vieles andere bei den Wallenbergs. Eine Tasse Tee reicht dafür nie. Denn nur die Wallenbergs wissen wirklich, wie ihr Konzern funktioniert. Und das erzählen sie nicht einfach so. „Auch in den nächsten hundert Jahren wird das Vermögen kontinuierlich wachsen“, sagt Jacob II. „Vor allem aber: Es wird zusammenbleiben.“ Er sagt nicht unser, er sagt: das Vermögen. Und er sagt tatsächlich: „in den nächsten hundert Jahren“. Im Verlauf des Gesprächs gewöhnt man sich an andere Dimensionen. „Wenn die Wallenbergs ein Geheimnis hüten, dann dies: Wir müssen arbeiten. Denn eigentlich haben wir kein Geld.“ Hm. Was verdient er denn als operativer Chef der reichsten Familie Schwedens? „250000 Euro. Circa.“ Ein Wallenberg müsse die Fähigkeit haben, nachts durchzuschlafen, permanenten Druck auszuhalten – und vor allem: damit glücklich zu sein. Sätze zum Mitschlürfen für Nichtmilliardäre. Die Wallenbergs könnten locker vom Erbe zehren und, sagen wir, mit dem Alinghi-Skipper und Milliardenerbe Ernesto Bertarelli um die teure Ehre des America’s Cup segeln. Fachlich wäre das kein Problem. Konzerngründer André Oscar (siehe Kasten) hat es auf einem Schoner vom Matrosen zum Kapitän gebracht. Seitdem gehört Hochseesegeln zum Pflichtprogramm des männlichen Nachwuchses. Auch Jacob II. ist Marineoffizier der Reserve. Die Grundausbildung erlebte er als grauenhaft. Einen Wallenberg x-mal über die Kampfbahn zu jagen, verlockt jeden Spieß. Als Kind habe er seinen Vater einmal gefragt: „Warum arbeitest du so viel? Du bist doch ein Wallenberg.“ Der antwortete: „Ich muss arbeiten, um jeden Morgen dein Frühstück auf den Tisch zu bringen.“ Das provozierende Understatement ist nicht einmal mit der besonders nüchternen Ausprägung des schwedischen Calvinismus zu erklären. Dahinter steht eine langfristig angelegte Familienstrategie, auch um den Preis, dass vielen das öffentliche Auftreten der Wallenbergs als biedermännisch erscheint. Von einem Vorfahr ist glaubhaft überliefert, dass er sich im Jahr einen Anzug leistete. Ein anderer wechselte immerhin zweimal die Jackenfarbe: im Winter schwarz, vom 29.Mai an grau. „Meinen ersten Job bei der Bank erhielt ich 1983, weil ich ein Wallenberg bin. Bei späteren Beförderungen war der Name ein Nachteil“, sagt Jacob II. Kein Vorgesetzter wollte sich die Blöße geben, den Sprössling des Grand Chefs zu protegieren. Als sorgsam geplanten Höhepunkt der Konversation nennt Jacob II. den Wert seines Privatvermögens: „um die acht Millionen Euro“. Und entschuldigt sich gleich selbst: „I am very sorry for your disappointment.“ Tatsächlich. Wo sind all die Milliarden? Und warum gelang es den Wallenbergs, während fünf Generationen, die operative Kontrolle über ihren Reichtum zu behalten, statt einfach nur reich zu sein, wie andere Erben alter Industrievermögen? Jacob II. schränzt ein kariertes Blatt vom Notizblock und skizziert in wenigen Strichen ein Familienvermögen von – natürlich untertriebenen – sechs bis sieben Milliarden Euro auf den ausgefransten Zettel. Oben thronen drei gemeinnützige Stiftungen. Ihnen gehört alles. Und das bedeutet: 40 Prozent des gesamten Börsenkapitals Schwedens. Eine solche wirtschaftliche Machtballung in einem einzigen Clan kennt kein europäisches Land – allein das bis in die Knochen sozialdemokratische Schweden. Dieser an sich labile Schwebezustand in nicht immer freundlicher Umgebung und über so lange Zeit ist einzig dank der genialen Konstruktion der drei Wallenberg-Stiftungen einigermaßen konfliktfrei in Balance zu halten. Das mit rigoroser Selbstdisziplin gepflegte low profile der Familie in der Öffentlichkeit ist dafür Voraussetzung und Teil der bis ins Kleinste ausgefeilten familiären „very long term strategy“. Sie wird von Generation zu Generation weitervermittelt. Ihre Stiftungen, obwohl gemeinnützig, sind den Wallenbergs heilig: als steuersparende Institutionen, aber auch als patente Herrschaftsinstrumente. Seit 1917 trägt ihr komplexes Machtgefüge über Wirtschaftskrisen, Kriege und Globalisierungsdruck hinweg, vermutlich bis in alle Ewigkeit. Wenn die Mittals (weltweit größte Stahltycoone) oder die Microsoft- und Googlemilliardäre längst vergessen und ihre Vermögen in alle Winde zerstreut sein werden: Das Wallenberg-Vermögen wird intakt bleiben wie eh und je. Die Stiftungen sind Eigentümer des gesamten Aktienbesitzes. Das hält den Nachwuchs noch in Generationen auf Linie. Denn keiner wird dazu verlockt, das kollektive Milliardenvermögen als Playboy oder, im günstigeren Fall, als Kunstmäzen durchzubringen. Die Erträge der Stiftungen – jährlich an die 100 Millionen Euro – müssen in Bildung und Wissenschaft investiert werden, ausschließlich in Schweden. So schreibt es die Satzung vor. Das ist Mäzenatentum mit strategischem Hintersinn, denn der Zweck erfüllt sich doppelt: Im Lauf der Jahrzehnte kamen so Milliardenbeträge zusammen. Ebenso wichtig: Die seit Jahrzehnten mit kurzen Unterbrechungen regierenden Sozialdemokraten – derzeit legen sie gerade eine Pause als Opposition ein – sind zufrieden und lassen den Clan in Ruhe. Das Arrangement ist intimer als es nach außen scheint. Beim Ministerpräsidenten Tage Erlander, der Schweden 23 Jahre lang mehr beherrschte als regierte (bis 1969), platzte der damalige Hauschef und Bankier Marcus II. öfters unangemeldet ins Büro. Erlander kommentierte die Zweckgemeinschaft von Sozialisten und Kapitalisten ironisch: Die Militärs hätten den besten Geheimdienst – nach Vatikan und Banken. Er hielt sich, natürlich, an die Banken der Wallenbergs. Die Schweden wissen, was sie an „der Familie“ haben. Und „die Familie“ weiß, was sie am schwedischen Staat hat. Andere tun sich entschieden schwerer. Lisbeth Rausing, milliardenschwere Erbin des schwedischen Tetrapak-Konzerns, floh vor den gefürchteten nordischen Steuervögten nach London. Die Wallenbergs blieben. Ingvar Kamprad, Gründer und Hauptaktionär von Ikea, lebt seit Jahren als Steuerasylant im Schweizer Exil. Die Wallenbergs blieben. Auch künftig werden sie sich nicht zu den vigilanten Eidgenossen absetzen, wo zugereiste Milliardäre – es sind inzwischen 120 – als Mindestlohn-Anwärter zählen und es mithilfe des Staates schaffen, keinen Rappen Einkommenssteuer und nur eine rudimentäre Pauschalsteuer zu zahlen, die sich am Wert der meist nicht besonders pompösen Wohnung bemisst. Die Wallenbergs lösen es eleganter, indem sie ihre persönlichen Einkommen in nachweislich bescheidenen Grenzen halten und ohne Sonderprivilegien versteuern. Haben und Herrschen ist eben nicht dasselbe. Die Wallenbergs herrschen lieber. Was sie haben, reicht allemal für ein sehr komfortables Leben. Aber deswegen liegen ihnen die Mitbürger noch lange nicht zu Füßen. In ganz Schweden gibt es kein Denkmal, kein Gebäude, das nach einem Wallenberg benannt wäre. Nicht einmal in der Stockholmer Oper hängt eine Spendertafel mit ihrem Namen, obwohl die Familie den Prunkbau mit ihrem Geld erst ermöglicht hat, wie auch jenen des bombastischen Stadshuset, des Rathauses. 1993 bezahlten die Wallenbergs auch das private Hallenschwimmbad der Königsfamilie auf Schloss Drottningholm. Im Haushalt der Royals war gerade kein Budgetposten frei. Man gibt. Man nimmt. Das Volk sieht meist allein das Nehmen und schmollt. Nur ein einziges Straßenschild im Zentrum Stockholms erinnert an einen Wallenberg, erst noch an einen aus der Linie geschlagenen: Raoul. Der junge Diplomat aus einem von der Familie offiziell nicht anerkannten Seitenzweig rettete im Zweiten Weltkrieg in Budapest mit der eigenmächtigen Ausgabe von Schutzpässen Tausenden Juden das Leben. Er verschwand plötzlich. Jahrzehntelang blieb sein Schicksal ungewiss. Heute weiß man: Er starb „während eines Verhörs“ 1947 im Moskauer Lubjanka-Gefängnis des KGB. Ob durch Gewalt oder eines natürlichen Todes, bleibt offen. Ungarische Kollaborateure hatten ihn fälschlich als Spion denunziert. Bewundert werden die Wallenbergs wegen ihrer dynamischen Rolle bei der Industrialisierung Schwedens, Skandinaviens überhaupt. So steht es in den Schulbüchern. Geschadet hat ihnen hingegen ihr Lavieren während des Zweiten Weltkriegs. So genau steht das aber nirgendwo. Das neutrale Schweden, rundum von Nazideutschland eingekesselt, befand sich in einer heiklen Lage. Die Brüder Jacob I. und Marcus II. pflegten enge Kontakte zum deutschen Widerstand. Carl Goerdeler und Claus Graf Schenk von Stauffenberg besuchten mehrfach Schweden. Über das Wallenberg’sche Beziehungsnetz gelang es den Männern des 20.Juli 1944, hochrangige Kontakte nach London zu knüpfen. Das ist die eine, die gern erzählte Geschichte. Die andere, die verborgene, ist ein wenig zwiespältig. Zur gleichen Zeit machten die Wallenbergs nämlich große Geschäfte mit Nazideutschland. Pro forma gehörten ihren Enskilda-Banken sämtliche Auslandsbeteiligungen des Stuttgarter Bosch-Konzerns, was diesen vor dem Zugriff der Alliierten schützte und den Nazis kriegswichtige Geschäfte im ihnen sonst verschlossenen Ausland ermöglichte. Den Amerikanern galten die Wallenberg-Brüder als Kriegsgewinnler. Und die Schweden waren enttäuscht von den Industriebaronen. Über das Privatleben der Familie erfährt die Öffentlichkeit noch heute nur gerade, was sie erfahren soll, nicht zuletzt deswegen, weil auch die wichtigste schwedische Tageszeitung, Svenska Dagbladed, unter ihrer Kontrolle steht. Als sich 1971 der 47-jährge „Kronprinz“ Marc Wallenberg, „Boy-Boy“ genannt (der Vater von Marcus III.) in einem verschneiten Wald bei Stockholm ins Herz schoss, ließ die Familie Tage verstreichen, bis sie den Freitod bekannt gab. Die Familie war auch deswegen wie gelähmt, weil kein „Thronfolger“ bereitstand. Der vom despotischen Vater erzeugte Erwartungsdruck sei schuld am Suizid gewesen, heißt es bis heute. Vom Patriarchen ist denn auch die knochentrockene Maxime überliefert: „Ich lese keine Bücher. Ich führe sie.“ Einmal im Jahr und immer am 29.Mai (es ist der Geburtstag von Urmutter Amalia) lädt die traditionsbewusste Familie 70 Gäste auf den Familiensitz Täcke Udden auf der Insel Djurgården bei Stockholm zum Dinner. Über Jahrzehnte waren diese Treffen von Diskretion und Mysterien umhüllt. Auf der Einladungsliste zu stehen, ist Besuchern wichtiger, als vom König einen Orden zu bekommen. Vor zwei Jahren durfte erstmals ein TV-Team drehen. So erfuhren die Schweden immerhin, dass die zahlreichen Nachkommen unehelicher Halbgeschwister der Wallenbergs nie eingeladen werden – aber auch längst nicht alle dynastisch korrekt geborenen Verwandten. Konzerngründer André Oscar Wallenberg hatte nämlich in jeder Beziehung etwas unübersichtliche Verhältnisse hinterlassen. Der hyperaktive Bischofssohn frönte dem calvinistischen Leistungsprinzip. Allein mit Amalia zeugte er 19 Kinder. Mindestens drei uneheliche kamen hinzu. Wie bei Hofe wird die Hierarchie in der Familie nach ungeschriebenen Hausgesetzen respektiert, freilich erst nach unvermeidlichen Rangkämpfen. Bloß als „fils de papa“ wird keiner Nummer eins. Als Patriarch akzeptiert ist der 82-jährige Peter Wallenberg, der Vater von Jacob II., der viele Jahre den Konzern alleine führte. Er ist Präsident der unauffälligen Thisbe AB. Diese verwahrt sozusagen den Koffer mit dem roten Knopf. Betätigt wird er ganz selten, ist aber jederzeit verfügbar. Nur über die winzige Thisbe AB könnte das Wallenberg’sche Riesengebilde letztlich zum Einsturz gebracht oder, im Bedarfsfall, gerettet werden. Es gibt gute Gründe, warum traditionell allein der Grandseigneur der Familie sich diesen allerletzten Zugriff vorbehält. Die Thisbe verwaltet die drei Stiftungen. Fünf Wallenbergs sitzen in deren Verwaltungsräten. Operativ entscheidend jedoch ist die nächstfolgende Ebene. Und dort sitzen Jacob II. und Marcus III. Vor gut zwanzig Jahren auf einem Jagdausflug haben sich die zwei Stammhalter der amtierenden fünften Generation auf einen Waffenstillstand verständigt. Kern der Absprache: keine Rivalität unter Cousins. Jacob bestätigte diese zuvor nie kommunizierte Vereinbarung im Gespräch mit Cicero. Die Doppelspitze, in der Jacob die dominierendere Position einnimmt, wurde vor drei Jahren installiert und funktioniert harmonischer als der „inner circle“ der Familie befürchtete. Wie man die dynastisch denkenden Wallenbergs kennt, wird das wieder ein paar Jahrzehnte halten. „Wir sind sehr gute Freunde geworden und gehen gemeinsam auf die Jagd“, sagt Jacob. Angesichts der vielen Milliarden, um die es geht, klingt das wie: Keine Angst, wir schießen nicht mehr aufeinander. Haben sie mit ihren Kindern – jeder hat drei im Alter von 15 bis 21 Jahren – über die nächste Erbfolge gesprochen? Kein Thema. In der Familie ist man nicht gewohnt, sich mit sechzig zurückzuziehen. Ein Wallenberg stirbt „im Amt“. Fred David ist Schweizer Journalist und lebt in St.Gallen. Er schrieb „Im Club der Milliardäre. Die geheime Welt der Privat­bankiers“ (Hoffmann und Campe) (Foto: Picture Alliance)

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