Mit Glamour ins Präsidialamt

Argentiniens nächster Präsident wird wieder Kirchner heißen – nur der Vorname steht noch nicht fest.

Beim Anblick des zierlichen Geschenks hatte die Besucherin einen Juchzer ausgestoßen und ihre rötliche, auf widerspenstig frisierte Mähne geschüttelt. Nach der Heimkehr an den Rio de la Plata hat Cristina Kirchner das kristallene Vögelchen achtlos in eine Schublade geworfen. Das Präsent der Ségolène Royal für die Primera Dama aus Argentinien mochte Tinnef sein; aber es war ja auch nicht für Frau Kirchners Juwelenbox gedacht gewesen, sondern sollte ihr Glück bringen – ein Maskottchen, das eine sozialistische Wahlkämpferin ihrer Kollegin mit gutem Gewissen in die Hand drücken konnte. Die Begegnung der beiden Politikerinnen hatte in Champagnerlaune stattgefunden, als „Ségo“ in den Meinungsumfragen noch vorne lag. An der Seite der aparten Französin rief die Südamerikanerin mit dem deftigen Sex-Appeal: „Das wird das Jahrhundert der Frauen!“ Und beide erinnerten an die Chilenin Michelle Bachelet – „unsere gemeinsame Freundin, die bereits Präsidentin ist“. Wenngleich Nicolas Sarkozy Madame Royal weit hinter sich ließ, bleiben die Aussichten auf ein politisches Damen-Jahrhundert ermutigend. Nach Deutschland (Angela Merkel) und Chile könnte im Oktober auch Argentinien eine Staatsfrau erhalten, Cristina Kirchner vom Volk auf den Präsidentensessel gehoben werden. Diese Entwicklung würde im November nächsten Jahres in einem feministischen Wendepunkt kulminieren, sollten die Amerikaner Hillary Clinton zum „mächtigsten human being der Welt“ machen – wie die gängige Charakterisierung des US-Präsidenten dann wohl neu zu formulieren wäre. Hillary ist denn auch das heimliche Rollenmodell der Argentinierin. „Nennen Sie mich nicht Cristina Kirchner!“, hat die Primera Dama – ein Titel, den sie verabscheut – auf einer Parteiversammlung der Peronisten einen Vorredner zurechtgewiesen. „Ich bin Cristina Fernández, oder Senatorin Fernández oder schlicht Cristina, klar?“ Worauf Präsident Néstor Kirchner sich aus dem Sessel erhob und – ganz Feminist – vor der zuschauenden Nation heftig applaudierte. Auch die bekannteste First Lady des ausgehenden 20.Jahrhunderts hatte zur Emanzipation vom Ehegatten ihren Mädchennamen aus der Versenkung geholt: als Hillary Rodham den Sprung vom Damenflügel des Weißen Hauses in die Berufspolitik wagte, um im US-Senat (einst „mächtigster Herrenclub der Welt“) den Empire State New York zu vertreten. Die Parallelen zwischen den Clintons und den Kirchners wirken fast aufdringlich: Jurist und Juristin, die schon auf der Uni ein Pärchen waren, sich für revolutionäre Ziele engagierten und ihre Karriere als politisches Joint Venture betrieben – erst in der tiefsten Provinz (Little Rock, Arkansas und Rio Gallegos, Südpatagonien), dann im Weißen Haus von Washington – respektive der Casa Rosada von Buenos Aires. Aber was wiegt das Gemeinsame, gemessen an den abgründigen Unterschieden? In der amerikanischen Demokratie musste Hillary ihre Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur rund zwei Jahre vor dem Wahltag bekannt geben und lange vorher mit dem Schnorren von Dollarmillionen beginnen. Im spätperonistischen Argentinien können der Präsident und seine Frau sich bis zwei Monate vor dem Oktober-Wahltag Zeit lassen, ehe sie unter sich ausmachen, wer von ihnen das höchste Amt übernehmen soll. General Juan Domingo Perón, der die Technik der Massengängelung im faschistischen Italien studiert hatte und drei Mal zum Präsidenten gewählt wurde, hat den Argentiniern das Erbgut der populistischen Autokratie eingepflanzt, und die Kirchners wissen es als Linksperonisten zu nutzen. Worum es dem Paar heute geht – um zeitlich unbegrenzten Machterhalt – hat der schnauzbärtige Innenminister Aníbal Fernández angedeutet: „Die Senatorin ist ohne Zweifel einer der beiden Politiker unseres Landes, deren Autorität über jede Diskussion erhaben ist.“ Übersetzung: Da Néstor Kirchner laut Verfassung nur einmal zur Wiederwahl antreten darf, soll Cristina den Präsidenten möglichst schon in diesem Wahljahr ablösen; Néstor könnte dann entweder 2011 oder 2015 wieder selbst antreten, in der Zwischenzeit aber als First Gentleman und Chefberater gemeinsam mit der Präsidentin die Macht ausüben. Es mag aberwitzig klingen, aber so könnten Kirchners die (bis dahin wohl) 50 Millionen Argentinier beinahe bis zum Jahr 2020 regieren. Néstor selbst, dem seine PR-Leute wegen der Herkunft aus dem kältesten Patagonien den sympathischen Spitznamen „Pinguin“ angedichtet haben, kokettiert vor Parteifreunden im Blick auf die Präsidentenwahl: „Ob es im Oktober das Pinguinweibchen wird oder doch wieder der Pinguin, wollen wir zunächst offenlassen.“ In Wahrheit ist das an der Macht hängende Wesen kein Pinguin, sondern ein political animal mit zwei Köpfen. Anders als Hillary und Bill Clinton (oder als Ségolène Royal und François Hollande) bilden Néstor und Cristina eine Einheit, sind miteinander verwachsen; jeder wäre ohne den anderen eine halbe Portion. Der Anwalt mit deutschen und kroatischen Vorfahren, groß und breitschultrig, hat sein Vermögen von über fünfzig Immobilien im rauen Gewerbe der Schuldeneintreibung begründet. Sein politischer Aufstieg in einer Provinz von nur 250000 Einwohnern führte schnell ins Gouverneursamt, welches wiederum seine geschäftlichen Interessen förderte. Dass die grandiosen Seen und Gletscher des patagonischen deep south für den internationalen Tourismus erschlossen wurden, ist auch im anrüchigen Sinne des Wortes sein Verdienst. Gattin Cristina, Schwester Alicia, sonstige Verwandte und engste Mitarbeiter („Vertraute“ wäre schon zu viel gesagt) haben im Tourismus-Gebiet El Calafate den kostbarsten Grundbesitz zugeschanzt bekommen. Die misstrauischen Kirchners stellen sich nie einer Pressekonferenz, empfangen höchstens regierungstreue Journalisten. Kabinettssitzungen gibt es nicht: Néstor knöpft sich Minister einzeln vor, duldet keinen Widerspruch und seine nervösen Wutanfälle sind gefürchtet. Selbst Staatsbesucher hat der unsichere Präsident einfach versetzt. Definitionen seines Regierungsstils schwanken zwischen autoritär und autistisch. Das tut der Popularität des Ehepaars keinen Abbruch: Nicht erst seit dem gewählten Diktator Perón und seiner blonden Propagandistin Evita haben Arbeiterklasse, Unterschicht und Teile des Kleinbürgertums eine Schwäche für den „starken Mann“. Die starke Frau hat es schwerer. „Cristina K.“ (so ihr Schlagzeilen-Name) wurde fünf Wochen nach dem Ableben von Eva Perón geboren, aber bei den nekrophilen Altperonisten kommt sie gegen die verehrte Tote nicht an. Wie jene ein Temperamentsbündel mit Star-Qualitäten, aber weniger vom Klassenhass geprägt, hat Cristina jüngere Wählerschichten gewonnen, denen der proletarische Populismus nichts mehr bedeutet. Vor allem zieht sie die Medien und die neureiche Schickeria an, die den wirtschaftlichen Zusammenbruch Ende 2001 agil übersprang, sowie unpolitische, von Popstars faszinierte Jugendliche. Um sich diesem Publikum als Verkörperung des Zeitgeists zu präsentieren, setzt die Politikerin – wie keine andere auf der Weltbühne – auf rohen Glamour und Sexiness: etwas anstrengend, wenn man zwei Jahre älter ist als Angela Merkel. Bevor Cristina im Oktober 2005 den Senatssitz der Riesenprovinz Buenos Aires eroberte, hatte sie sich monatelang vor Kameras versteckt. Die Medien-Abstinenz war den Herausforderungen der Ästhetik gewidmet, und das vorläufige Endergebnis ist staunenswert: die Lippen durch Einspritzungen zum Schmollmund aufgeworfen, die Zähne mit Perlenschimmer überzogen, die Tränensäcke nahezu eliminiert, die Fingernägel mit Acryl zu ovalen Juwelen veredelt, das Haupthaar durch Einflechtungen Marke „Great Lenghts“ zu rebellischer Pracht gestylt, die Gesichtshaut in Pflanzenmilch gebadet und um den Mund herum neu pigmentiert, danach vom Leibvisagisten fast schon dezent geschminkt… Auch an Cristinas Körper meißelt ein stählerner Wille, nichts bleibt der Willkür der Natur überlassen. Im Damenfitness-Salon benutzt sie Schwitzkästen, aus denen nur der Kopf ragt, während der Leib, an Geräte zur Modellierung der Knie, Waden, Hinterbacken oder Fesseln angeschlossen, hamsterartige Hyperaktivität entwickelt. Auf eine Schräge geschnallt, lässt sie ihre Glieder in jeder Richtung von Bleigewichten strecken. Auf einem mit Elektroden gespickten Sessel, der vage an die Folterbetten der Militärdiktatur erinnert, wird ihre Bauch-, Hüft-, Schenkel- und Gesäßmuskulatur mit Stromstößen stimuliert, werden ihre Problemzonen von Fett oder welkem Gewebe erlöst. Dieses steter Pflege bedürftige Gesamtkunstwerk schreitet denn auch zum Rednerpult mit dem energisch-lasziven Hüftschwung eines drei Jahrzehnte jüngeren Supermodels. Auf dem Laufsteg würde auch ihre Garderobe reüssieren, ausnahmslos aus der Ersten Welt, wie die Frauenmagazine zungenschnalzend beglaubigen. Ihren Hunger auf Kleidung mit großen Namen rechtfertigt die Präsidentengattin mit: „Das ist nicht Frivolität, sondern guter Geschmack.“ Erst mit runderneuertem Look wagte Madame K. den Aufstieg zum Gipfel. Wohin ihr Ehrgeiz zielte, hat sie mit der aufreizenden Langsamkeit einer Stripperin enthüllt – durch immer ungenierteren, in der Verfassung nicht vorgesehenen Machtgebrauch. Cristina verschaffte sich einen Mitarbeiterstab im Präsidentenpalais und einen zweiten im Senat, wo sie als Einpeitscherin des Kirchnerismus die Fraktionsführer abkanzelt. Herumkutschiert wird sie im massigen Tuareg, der die drei Passats ihrer Leibwache überragt. Im Kampf um den Senatssitz von Buenos Aires zeigte die Primera Dama, dass sie Wählermassen mobilisieren kann. Und in Paris hat sie sich – so Innenminister Aníbal Fernández – „endgültig als Führungsgestalt von Weltniveau erwiesen“. Gerade in Paris aber war an der Aufsteigerin neben dem Überschuss an Temperament auch Mangel an Substanz aufgefallen. Cristina sprach auf einer Menschenrechtskonferenz, die weltweit das – unter der Militärdiktatur der siebziger Jahre notorische – „Verschwinden“ politisch Unliebsamer verurteilte. Dabei unterlief der First Lady ein durch ideologische Verbohrtheit bedingter Fauxpas – sie setzte die Exzesse der Generäle mit der Judenvernichtung der Nazis gleich. „Nach dem Holocaust wurde mein Land zum zweiten Versuchslabor für solche Praktiken, die ebenfalls zur Durchsetzung eines bestimmten wirtschaftlichen Modells“ gedient hätten. Mit dem Vergleich hat die Senatorin nicht nur die große jüdische Gemeinschaft Argentiniens verärgert; sie bewies mit der Schuldzuweisung an den Kapitalismus auch verblüffende historische Unkenntnis. Solches passiert Cristina nicht zum ersten Mal, und die zersplitterte Opposition greift es schadenfroh auf. Freilich stolpern die Machos der Politik in die Falle des Antifeminismus, wenn sie die Forderung nach einer „Doping-Kontrolle“ für weibliche Parlamentsmitglieder erheben – eine Anspielung auf das böse Gerücht, das im Kongressgebäude gegen die Senatorin in Umlauf ist: Die häufigen Botox-Spritzen, die Cristina Kirchners Stirn so vorteilhaft glätten, hätten sich nachteilig auf ihren Intellekt ausgewirkt. Carlos Widmann geboren in Buenos Aires, war Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und des Spiegels. Er lebt als freier Journalist in Paris und Umbrien

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