- Wo stecken die SPD-Frauen?
Die SPD hat Hannelore Kraft, Malu Dreyer und Manuela Schwesig. Aber wie stark ist die Position der Frauen in der Partei wirklich? Reise zu den Genossinnen der Bayern-SPD
Herzogenaurach, kurz nach 17 Uhr, die Halbgardinen hinter den Küchenfenstern sind mit Kranichen bestickt, das Reformhaus am Markt bietet Wollunterwäsche zum Aktionspreis, und unten im alten Rathaus kocht ein Thailänder. Oben im ersten Stock treffen sich an diesem Abend die örtlichen SPD-Frauen, sie erwarten die Landes-Generalsekretärin aus München. In einem Kamin lodern die Flammen, die Veranstaltung heißt auch Kamingespräch, der Begriff soll Exklusivität vermitteln. Und eigentlich auch Behaglichkeit, aber die Generalsekretärin verspätet sich, das Feuer entzieht dem Raum Sauerstoff. Die Stimmung wird gereizt.
„Ich weiß nicht, ob’s hier nicht zu warm wird. Wir sind doch alle Frauen im besten Alter“, überlegt die stellvertretende Ortsvorsitzende Dankers laut. Die stellvertretende Kreisvorsitzende Stamm-Fibich mustert sie so, als hätte die Parteifreundin sie gerade ins Klimakterium verfrachtet. „Vielen Dank, liebe Rita, ich habe noch keine Hitzewallungen.“
Reise zu den Frauen der SPD, jener Partei, die nach der erfolgreichen Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen nun mit Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz eine zweite Ministerpräsidentin vorzeigen kann. Zu den Erfolgsfrauen der Partei zählt Manuela Schwesig, Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, und Andrea Nahles gibt es auch noch. Aber wie stark ist die Machtposition der Frauen in dieser Partei wirklich? Wie weiblich ist die SPD?
Greifen wir uns den bayerischen Landesverband heraus, weil er als erster eine Frau an seiner Spitze hatte. Renate Schmidt übernahm den Vorsitz 1991, nachdem die SPD auf 26 Prozent gesunken war. Die Partei kennzeichnet in Bayern eine Mischung aus Pech, Selbstmitleid und Larmoyanz, seit Urzeiten regiert die CSU das Land. Daran vermochte auch Renate Schmidt nichts zu ändern, aber sie schaffte es, der Partei Hoffnung zu machen und ihre Ergebnisse zu verbessern. Es ging vorwärts. Schließlich wurde sie Bundesfamilienministerin.
Inzwischen ist Schmidt raus aus der Politik. Nach ihr kamen wieder die Männer – und schlechtere Ergebnisse. Von 65 000 Mitgliedern sind 20 700 Frauen: nur knapp ein Drittel. Ganz vorn ist die Partei so männlich wie vor Schmidt. Als Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Herbst tritt der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude an, den Parteivorsitz führt der Bundestagsabgeordnete Florian Pronold. „Frauen tun sich insgesamt immer noch schwer im politischen Alltag“, formuliert Pronold so vorsichtig wie möglich, und er klingt dabei wie ein Grundschullehrer: Die Marie tut sich immer noch ein bisschen schwer mit den Grundrechenarten. Damit seine Aussage wenigstens etwas Wahlkampfpfeffer enthält, setzt er hinzu: „Aber in der CSU sind die Schwierigkeiten noch größer.“
Ganz stimmt das nicht, schon weil in diesem Wahljahr die Verbraucherministerin Ilse Aigner von Berlin in die Landespolitik zurückkehrt. Den mächtigsten Bezirksverband, die CSU Oberbayern, leitet sie schon, viele sehen sie als Nachfolgerin von Horst Seehofer, und das Ganze geht auch noch ohne Geschlechter-Gedöns-Debatte ab. Das muss die SPD wurmen. Sie hat doch schon seit 1988 die Automatik-Quote im Statut, nach der mindestens 40 Prozent der Parteiämter und Abgeordnetenmandate an Frauen gehen müssen.
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Trotzdem muss man eine herausragende Frau in diesem Verband erst mal ausfindig machen: Cherchez la femme. Oder auf die Perspektive der Genossen übertragen: Sozi sucht Frau. Zumindest eine Frau hat die Bayern-SPD, die modern wirkt und überall einsetzbar ist: Natascha Kohnen, Generalsekretärin des Landesverbands. Pronold lobt sie am meisten dafür, dass sie „eben nicht diesen Stallgeruch der Politik hat“.
Natascha Kohnen erscheint eine gute Stunde zu spät zum Kamingespräch im alten Rathaus von Herzogenaurach. Vollsperrung auf der Autobahn, sie lächelt, als wäre es das Schönste, zwei geschlagene Stunden im Wagen festzusitzen. Vielleicht ist das wirklich schöner als in der Bullenhitze des Kaminzimmers.
Aber die Genossinnen sind jetzt erleichtert. Sie empfangen die Besucherin wie eine Heldin. Kohnen, 45, tritt tiefstimmig und kompetent auf, ihr Äußeres fällt hier auf, obwohl es unauffällig und geschmeidig ist. Alle der zwei Dutzend Herzogenauracherinnen integrieren wenigstens ein rotes Teil in ihre Garderobe – Mode made by Münte –, die Generalsekretärin nicht. Sie trägt Perlenohrringe, grauen Rollkragen, blonde, lange, offene Haare.
Und so spricht sie auch. Emma und Alice Schwarzer, das war ihr schon früh „too much“, ihre erste Gemeinderatssitzung sei ein Graus gewesen. „Da hat man diskutiert, welche Farbe das Bushäuschen bekommen solle. Wow!, dachte ich, das ist Politik?“
Vorm Kamin geht es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Frauen klagen. Kohnen, Mutter von zwei Kindern, bekommt Familie und Politik zusammen. Montags und dienstags arbeitet sie in München, Mittwoch bis Sonntag ist sie unterwegs, an jedem zweiten Wochenende darf sie wieder in München arbeiten. 60 Stunden kommen so locker zusammen. Wahrscheinlich viel mehr, genau festlegen will sie sich da nicht. Aber bei diesem Termin redet sie nicht von sich, sondern betont, wie aufschlussreich und interessant sie all die Berichte findet.
Die Herzogenauracherinnen sind Lichtjahre von der aufstrebenden SPD‑Frau entfernt, aber sie nicken, lachen und knabbern Kekse. Vielleicht bewundern die Frauen sie, gerade weil sie sich stark von ihnen unterscheidet. Aber die Unterschiedlichkeit zwischen Führungsfigur und Basis kann auch bedeuten: Von unten werden in der SPD nicht automatisch neue, erfolgreiche Frauen nach oben kommen. Erfolgsfrauen sind immer noch Ausnahmeerscheinungen.
Renate Schmidt hatte sogar beides: Sie stach heraus mit ihrem Führungsanspruch, und dennoch wirkt ihre Vita genossig. Mit 17 schwanger, Rauswurf aus der Schule, wegen „Schande“, wie es damals hieß; leitende Systemanalytikerin bei Quelle, aber eben auch Betriebsrätin; Trägerin des Sozialistenhuts, aber auch des Ordens wider den tierischen Ernst.
Kohnens Lebenslauf wirkt dagegen behütet. Abitur, naturwissenschaftliches Studium, Lektorin, zwei Jahre in Paris. Erst mit Mitte 30 in die SPD, dafür acht Jahre später schon Generalsekretärin. Auch wenn sie bestaunt wird, weil sie anders ist, bedeutet das gleichzeitig eine unausgesprochene Distanz zu den Mitgliedern, die sie zu überwinden hat. Zusätzlich zum Männerklub, der sich nur langsam öffnet.
„Zu sehr testosterongesteuerte Männer hat man in der Politik satt, aber Rüschenblusen eben auch“, sagt Renate Schmidt. Wenn sie über die Anfänge ihrer Politik erzählt, meint man, sie lägen Jahrhunderte zurück, dabei sind es nur Jahrzehnte. 54 Mal ist sie 1983 in einer 15-minütigen Parlamentsrede über Verteidigungspolitik unterbrochen worden – im Schnitt alle 16 Sekunden. „Sie sehen besser aus, als Sie reden“, hat der damalige CSU-Kreisvorsitzende und spätere Bundesminister Michael Glos zu ihr gesagt, und weil es so ein Lacher war, gleich zweimal.
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Schmidt möchte keinen Extratermin machen, um über die SPD-Frauen zu reden, sondern allenfalls ein Telefonat führen. Sie will sich nur noch begrenzte Zeit mit Politik beschäftigen. Thesen hat sie allerdings schon. „Frauen und Männer sind in der Politik dann erfolgreich, wenn sie, ohne ihr Geschlecht zu verleugnen, auch Fähigkeiten praktizieren, die dem jeweils anderen zugeschrieben werden.“ Das sei zum Beispiel der „richtige Kerl“, der aber zuhören kann und teamfähig sei. Oder die mütterliche Frau, die sich durchsetzen kann. Schmidt sagt auch: „Frauen haben es in der Politik leichter als früher.“
Ob das zutrifft? Vielleicht werden sie nicht mehr so häufig unterbrochen, aber schwer haben sie’s immer noch, zumindest machen sie es sich schwer, zumindest in Bayern, zumindest in der SPD. Man kann das an Johanna Uekermann sehen, Vize-Juso-Bundesvorsitzende und „junge Wilde“, so wird sie intern genannt. Sie ist ein Gesicht der ganz jungen SPD, der jungen Frau, der jungen Politik. Aber das ist ziemlich brav. 25 Jahre, Studentin der Politikwissenschaften und seit zehn Jahren Mitglied der SPD. „Meine Eltern sind beide in der SPD aktive Mitglieder. Als Kind habe ich mehr Parteitage als Kindergeburtstage mitgemacht.“
Wild klingt das nicht, wenn die Tochter in dieselbe Partei eintritt, in der schon Vati und Mutti sind. Und jung klingt es auch nicht, wenn sie sagt: „Ich finde Sachinhalte wichtiger als Provokation.“ Jeder Satz hört sich an wie in einem sorgfältig vorbereiteten Bewerbungsgespräch, da kommt nichts Unüberlegtes, Spontanes vor, man könnte auch sagen: nichts Lebendiges:
„Um einen Listenplatz zu bekommen, muss man zeigen, dass einem sozialdemokratische Politik wichtiger ist als die eigene Karriere.“
„Auf meinem Grabstein soll mal stehen: Ich bin wahrgenommen worden, als Person, die Ziele hatte, dafür gekämpft hat und dabei nicht eingeknickt ist.“
„Um nach oben zu kommen, braucht es Ausdauer und Durchsetzungsfähigkeit.“
Es gibt Begegnungen mit Politikern, da wünscht man sich eine heulende Petra Kelly zurück, einen „Ich-will-hier-rein“-Schröder oder einen Pflasterstein-Fischer. Weil all diese Politiker eine eigene Farbe haben, einen Stil, der ihre Politik beschreibt. Selbst Bücher, die Uekermann nennt, um ihre Politik zu charakterisieren, sind auf ihre Art sozialdemokratischer McKinsey-Jargon: Marx, Schwarzer und … gähn … Simone de Beauvoir. Nur auf die Frage, welche Politikerin ein Vorbild ist, welcher Politiker ein modernes Männerbild in der Politik repräsentiere, da fällt der seit zehn Jahren mit 40 Wochenstunden in der SPD arbeitenden Sozialdemokratin keiner ein, gar keiner, nein, auch nicht mit Nachdenken. „Ich glaub …“ – lange Schweigepause –, „da kenn ich nicht so viele.“
Sie klingt parteitaktisch, angepasst, fleißig. Uekermann erinnert eher an ein Frauenbild der fünfziger Jahre, als Frauen ihre Aufgaben zu erledigen hatten: Sachbearbeiterinnen für Sachthemen, die nicht einmal Perlenohrringe tragen dürfen. Die Emanzipation in der SPD schreitet nicht nur voran. Manchmal geht es sogar rückwärts.
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