- Die rechte Hand von Jean-Claude Juncker
Als niederländischer Außenminister schickte sich Frans Timmermans an, die Außenpolitik seines Landes neu auszurichten. Nun ist er Erster Vize-Präsident der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker. Ein Porträt
Dieser Text erschien zunächst in der Printausgabe des Cicero (April 2013). Wenn Sie das monatlich erscheinende Magazin für politische Kultur kennenlernen wollen, können Sie hier ein Probeabo bestellen.
Frans Timmermans kennt die Bundesrepublik und bewundert das Land wegen seiner politischen Kultur und Wirtschaftskraft. Jüngst hat der Sozialdemokrat und überzeugte Europäer seine Landsleute sogar dazu aufgerufen, mehr und vor allem besser Deutsch zu sprechen. Timmermans selbst spricht sieben Sprachen fließend, Deutsch ist eine davon. Dass ausgerechnet ein bekennender Europäer und Deutschland-Fan zum Außenminister der Niederlande ernannt wurde, mag manch einen überrascht haben, ist doch das Königreich unter dem Einfluss des Populisten Geert Wilders in den vergangenen Jahren immer euroskeptischer geworden.
Timmermans verkörpert das genaue Gegenteil. Der 51-Jährige wuchs in Limburg an der Grenze zu Deutschland und Belgien auf. Dort, wo die Den Haager Elite ganz fern zu sein scheint. Noch immer geht der vierfache Vater, soweit es sein neuer Terminkalender zulässt, jedes Wochenende mit seiner Familie in Aachen Kaffee trinken und Kuchen essen.
Als junger Beamter im Haager Außenministerium musste Timmermans am 9. November 1989 nicht lange überlegen, was er tun sollte. Gemeinsam mit einigen Freunden fuhr er in seinem alten Toyota Starlet nach Ostberlin, wo sein Vater im Konsulat arbeitete. „Es war und ist das wichtigste Ereignis in meinem Leben als Politiker“, sagt er heute noch. Das Bild der geteilten Stadt mit ihren Checkpoints und den stinkenden Trabis hat sich seinem Gedächtnis eingeprägt. „Die Frauen aus Ostberlin waren alle blondiert, die Männer trugen komische Lederjacken, und alle fragten mich nach Geld für Bier.“
Ein Jahr später, 1990, war der Westler wieder im Osten, bekam eine Stelle an der Botschaft in Moskau. Dort erlebte der Diplomatensohn die Krämpfe und Kämpfe um die untergehende Sowjetunion. Bei Heimweh setzte er sich einfach in seinen Wagen und fuhr quer durch Europa – durch Weißrussland, Polen, die DDR und Westdeutschland – ohne Pause nach Hause.
Heute ist es wieder so, dass er mehrere Länder am Tag besucht. Timmermans freut sich sichtbar über seinen „Traumjob“. Pflichtbewusst betont er die Kontinuität, stellt aber gleichzeitig die Weichen der niederländischen Außenpolitik neu. Es ist kein Geheimnis, dass er die traditionell angelsächsische Ausrichtung seines Landes ändern möchte. Während Regierungschef Mark Rutte Sir Winston Churchill und Ronald Reagan bewundert, schlägt Timmermans Herz schneller bei Willy Brandt und Helmut Schmidt. Daher lautet sein Rat: „Die Niederlande sollten sich mehr auf Europa und vor allem auf Deutschland konzentrieren.“
Diese Aussage war gewagt angesichts der schweren Last der deutsch-holländischen Vergangenheit, die zu einem distanzierten Verhältnis zu den Deutschen geführt hatte. Timmermans weiß jedoch, dass dies für die heutige Generation keine so große Bedeutung mehr hat. Sichtbarstes Zeichen dafür: Niederländer sind die größte Touristengruppe zwischen Aachen und Zittau, sie machen inzwischen lieber Urlaub im Sauerland und tanzen in Berliner Klubs als an der Côte d’Azur.
Der Blick auf die Bundesrepublik soll nicht nur richtungweisend für die Krisenpolitik in der Eurozone sein, sondern auch für die schwächelnde Wirtschaft der Niederlande. Das Land führt ein Viertel seiner Produkte nach Deutschland aus und ist eines der wohlhabendsten Staaten des Kontinents. Timmermans, der Holland wirtschaftlich als 17. Bundesland betrachtet, bleibt optimistisch. Der Enkel zweier Tagebauarbeiter ist überzeugt, dass die Haager Regierung ihre Probleme mit der Rezession, mit der Integration der Minderheiten und der stärker werdenden gesellschaftlichen Zweiteilung in Zeiten der Globalisierung lösen kann.
Insbesondere zwei Bereiche der niederländischen Außenpolitik will Timmermans neu ausrichten. Im Nahostkonflikt steht der Außenminister nicht so bedingungslos an der Seite Israels wie sein Amtsvorgänger. Er versucht verstärkt, einen Ausgleich mit den Palästinensern zu erreichen. Auch will er, dass die Niederlande aufhören, sich in ihrer Außenpolitik hauptsächlich von wirtschaftlichen Erwägungen leiten zu lassen. Menschenrechte und Demokratiebestrebungen müssten wieder einen höheren Stellenwert bekommen.
So zeigt sich auch heute, dass sich die internationale Politik der Niederlande, wie seit ihrer Blütezeit im 17. Jahrhundert üblich, zwischen dem Kaufmann und dem Pfarrer abspielt.
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