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() Martin Kippenberger: "Unglaublich begabt. Und erst zweiundzwanzig!“
Der James Dean der deutschen Malerei

Seit die Londoner Tate Modern postum Martin Kippenbergers 50. Geburtstag feiert, erlebt das einstige Enfant terrible eine Renaissance. Eine, die er verehrte, erinnert sich.

Es war Winter 1976, man traf sich zur Eröffnung des „Hofrestaurants“ in Hamburg-Uhlenhorst. Unter den vielen geladenen Gästen befand sich der Möbeldesigner Peter Preller und ein junger Mann, den er als seinen Assistenten vorstellte. „Martin Kippenberger. Unglaublich begabt“, sagte Peter. „Und erst zweiundzwanzig!“ Kippy, wie er sich selbst noch einmal vorstellte, trug einen grauen Flanellanzug und ein weißes Hemd, das halblange, gewellte blonde Haar fiel in die Stirn. Er lächelte bei seiner Vorstellung als Assistent nur kurz, dann durchbrach seine laute, zackig barsche Stimme im Stakkato den stillen Glanz, diesen Dorian-Gray-Schmelz auf seinem Gesicht: Das Orakel hatte gesprochen. Was, das weiß ich nicht mehr. Nur an das Blitzgewitter, das sekundenschnell übers Gesicht flog und es zu spalten schien, daran erinnere ich mich sehr genau. Das Fragmentierte, Bruchstückhafte, Brüchige war bereits damals, lange bevor es sich künstlerisch formulierte, erkennbar sein Lebensthema. Es wurde Rock’n’Roll-Musik gespielt. Wachs tropfte von den vielarmigen Kandelabern, ihr Licht vervielfachte sich bis ins Unendliche in den reich ornamentierten, goldgerahmten Spiegeln des Restaurants. Kippy und ich tanzten. Ich dachte: So wie der tanzt, werde ich mir dabei den einen oder anderen Knöchel brechen oder Arm verrenken oder das Knie auskugeln oder auch in eine der Stechpalmen stolpern, aber all das passierte nicht. Es konnte nicht passieren, denn Kippy war wie eine wunderbar funktionierende Maschine. Alles unter Kontrolle. Im Tanz war alles unter Kontrolle, nichts ging zu Bruch, im Gegenteil, beim Rock’n’Roll spielte Kippy Kippenberger virtuos mit Verrenkungen, Auflösungen, Fliehkräften, spielte lust- und kunstvoll auf der ganzen Skala der Bedrohungen und Brüche. Kippy Kippenberger wollte berühmt werden. Das sagte er zwischen zwei Tänzchen und zwei Bierchen. Und sein Blick ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er tatsächlich berühmt werden würde. Er wollte nach Florenz, in die Stadt, wo dank der Medicis Künstler erstmals in den glanzvoll gefeierten Mittelpunkt gerückt worden waren und bereits zu Lebzeiten berühmt wurden. Er wollte in die Stadt, wo gleichzeitig mit der Zentralperspektive das souveräne Individuum Einzug in die Gesellschaft gehalten hatte. Es könnte durchaus Kippy Kippenbergers Plan gewesen sein, aus Florenz als berühmter Souverän über Fragmente zurückzukehren, als ein Gebieter über Brüche, ein Jongleur, der mit Bruchstücken spielt. Kurze Zeit darauf ereignete sich Kippenbergers erste leibhaftige Darstellung seines Spiels mit Brüchen: Er rief an, es war spät am Abend, aber er wollte unbedingt vorbeikommen. Es sei dringend. Vor der Tür stand dann ein ganz anderer, keiner im lichtgrauen Flanell mit weißem Hemd und blonder Locke, ein Kahlrasierter stand dort, in schwarzer Ledermontur, mit blutunterlaufenem Auge und aufgeschlagener Lippe. Er fragte nach einem Bier, trank es wortkarg und ging wieder. Dann, es müssen ein paar Wochen vergangen sein, das Haar war nachgewachsen, ein anderes Spiel: Mit der Post kam eine Termin-Anfrage per Polaroid, darauf war Kippy mit Plastikfisch und Badeschaum in der Badewanne zu sehen, ein Transparent mit Verabredungs-Vorschlägen in der einen, den Telefonhörer in der anderen Hand und eine Bierflasche auf dem Badewannenrand. Ende Dezember 1976 brach er nach Florenz auf. Er verstand sich als „un Tedesco in Firenze“, als Deutscher in Florenz, er wollte aber auch „uno di voi“ sein, einer von euch. Seine Briefe unterschrieb er mit „Ihr Kippy Kippenberger“. Es war zu der Zeit gerade allgemein üblich geworden, dass jeder jeden duzte, und so war das „Sie“, das wir über Jahre nicht aufgaben, allein schon deshalb etwas Besonderes. Wie diese Freundschaft. Gleich am ersten Abend hatte Kippy mich in zackigem Ton gefragt: „Hamse was dagegen, wenn ich Sie verehre?“ Es komme darauf an, auf welche Weise, hatte ich geantwortet, schließlich war ich verheiratet, mit Rudolf Augstein. Er werde mich besuchen und mir Geschenke machen, erklärte Kippy ganz im Stil romantischer Ritterverehrung. Aus Florenz brachte er mir später ein nicht weniger romantisches Porträt als Geschenk mit, gemalt von einem befreundeten Maler, auf dem er mit Florentiner Halskrause posierte. Die Briefe, die er schickte, waren Aufzeichnungen vom Alltag in Florenz, Skizzen, tagebuchartige Notizen von Erlebnissen und Befindlichkeiten. Manchmal kam nur eine Postkarte, manchmal waren es auch Briefkopien oder Auszüge aus Briefen, gleich mehrfach kopiert und an mehrere Personen gleichzeitig verschickt. Eines Tages schließlich lag ein Umschlag mit einem 120 mal 40 Zentimeter großen Original-Brief in der Post, der größte Brief, den ich jemals in meinem Leben bekommen habe. Oft waren es nächtliche Notate, er selber schrieb darüber: „flüssig + analytisch + sauber + ordentlich in hoher geistiger Umnachtung“. Er berichtete von Zimmersuche, Dolce Vita – und von seinen ersten Tafelbildern. In einem Brief heißt es: „Geschriebsel + Malerei. Malerei hab ich nunmehr auch in mein Programm mit aufgenommen – sogar auf Leinwand = PS = bezauberndes Werk geschaffen (grundiert) muss nur noch Ölfarben (sauteuer) besorgen. Dann bekommt es den letzten Schliff. – Jetzt kommen noch ein paar Basteleien mit Zeitungspapier.“ Die Bilder hatten oft skurrile Titel, zum Beispiel: „Die Schweine von heute sind die Schinken von morgen“. Es ging ihm darum, aus den Brüchen und Fragmenten etwas Ganzes zu machen. Der erste groß angelegte Versuch waren die später als „Florenz-Serie“ bekannt gewordenen vierundachtzig Bilder, die er „Un Tedesco in Firenze“ nannte. Vierundachtzig fünfzig mal sechzig Zentimeter große Einzelbilder ergaben zusammen ein Ganzes. Das zumindest war Kippenbergers Wunsch. Im Sommer 1977 kam er zurück aus Florenz und versuchte vergeblich, alle Bilder im Ganzen zu verkaufen. Im Frühjahr 1978 fand dann im Haus von Peter Preller eine Verkaufs-Matinee statt, bei der jedes Bild einzeln erworben werden konnte. Kippy erschien in Begleitung seiner Schwestern und mit Unterstützung von Cola-Rum. Die Bilder wurden den potenziellen Käufern zum Einheitspreis von 499 DMark pro Bild angeboten. Am Ende waren fünf Bilder verkauft, vier davon an mich. Eine große Anzahl der Bilder ging ein paar Jahre später an Michel Würthle, den Inhaber der Berliner „Paris-Bar“ – der sie als lebenslanges Bewirtungsversprechen, aufhängte. „Abenteuerbilder in Öl der Serie Un Tedesco in Firenze“ nannte Martin Kippenberger seine Florenz-Bilder. „Liebe und Abenteuer“ war der Titel meines ersten Spielfilms. „Schicken ’Se doch x eine Kopie von besagtem (schon fertigem?) Drehbuch. – Prego!“, hatte Kippenberger aus Florenz geschrieben. Ich schickte es ihm, und er wollte daraufhin unbedingt einen Polizisten mit Schäferhund spielen, der es ihm angetan hatte. Zurück aus Florenz, castete er sogar die Hauptdarstellerin, es gibt ein Polaroid, aufgenommen vor dem Gefängnis in Berlin-Spandau, in dem Rudolf Hess damals seine lebenslange Haftstrafe verbüßte. „Vor Rudolf-Hess-Gefängnis in Spandau“, hat Kippenberger auf die Rückseite des Polaroids geschrieben. Wir waren damals eben noch mitten im Folgekrieg von Hess und Co., im Kalten Krieg mit Atombomben und Raketen links und rechts und der BRD als ausgemachtem Kriegsschauplatz für World War Three. Martin Kippenberger hat in „Liebe und Abenteuer“ zwei längere Auftritte, als Wachmann mit Schäferhund vor einer Industrieanlage und in einer U-Bahnstation. Bei den Proben und vor der Kamera war er äußerst konzentriert. Er schien eine sehr genaue Vorstellung von sich in seiner Rolle als Polizist mit Schäferhund zu haben, und ich hatte den Eindruck, dass er mit dieser Vorstellung verschmelzen wollte. Nach Abschluss der Dreharbeiten malte er in seinem Atelier am Segitzdamm in Berlin-Kreuzberg ein großes Gemälde zum Film. Bei der Eröffnung des Ateliers, das er KIPPENBERGERS BÜRO nannte, haben wir getanzt. Und wieder sah es so aus, als würde ich mir sämtliche Knochen bei diesem artistischen Unterfangen brechen. Aber nein, nicht doch. Tanzend hatte Kippy Kippenberger wirklich alles unter Kontrolle. Gisela Stelly ist Filmemacherin und Autorin. Zuletzt erschienen die Romane „Spiel mit mir“ (Droemer) und „Moby“ (Marebuchverlag) Gisela Stellys Buch „Ihr Kippy Kippenberger“, herausgegeben von Bärbel Grässlin, ist soeben im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienen, mit einer DVD der Kippenberger-Filmszene

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