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Neonazi-Netzwerk in Gefängnis - Rechte Zellen

In einer hessischen Haftanstalt wurden Hinweise auf ein Neonazi-Netzwerk gefunden, das unter anderem auch Kontakte zur NSU gesucht haben soll. Wie war die Gruppe organisiert?

Autoreninfo

Frank Jansen ist Journalist beim Berliner Tagesspiegel. Er schreibt über Rechtsextremismus sowie andere radikale Gruppierungen

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Beate Zschäpe gilt in Teilen der rechtsextremen Szene fast schon als Kultfigur. Neonazis sollen ihr sogar Liebesbriefe geschrieben haben, der norwegische Massenmörder Anders Breivik lobte in einem Schreiben an sie die Morde des NSU. Nun kommt heraus, dass auch ein Netzwerk inhaftierter Rechtsextremisten in Hessen und anderen Bundesländern Kontakt zu Zschäpe aufnehmen wollte. Damit wird die Aufregung um den NSU-Prozess, der kommende Woche in München beginnt, noch verstärkt.

Wie ist man den Absichten der Neonazisin Hessen auf die Spur gekommen?

Die Sicherheitsbehörden lesen regelmäßig die Zeitschrift „Bikers News“, in der über Rockerklubs und Motorräder berichtet wird.

In der Ausgabe vom Oktober 2012 stand eine Anzeige des inhaftierten Rechtsextremisten Bernd T. (38), der um Mitglieder für eine Gefangenenhilfsorganisation namens „Jail Crew“ wirbt. Bernd T. ist vorbestraft, auch wegen einer schweren Gewalttat, und sitzt in der Justizvollzugsanstalt im osthessischen Hünfeld ein. Sicherheitsexperten verweisen als Beispiel für seine kriminelle Energie auf eine Razzia, bei der er Kampfhunde auf Polizisten gehetzt habe.

Die Zellen des Neonazis und weiterer Verdächtiger im Fall der neuen Gefangenenhilfsorganisation seien durchsucht worden, sagte am Mittwoch Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) in Wiesbaden. Dabei wurden Briefe und Propagandamaterial gefunden. Bei Bernd T. fand sich eine Liste, auf ihr standen Zschäpe und die Anschrift der JVA Köln-Ossendorf. Dort war sie damals inhaftiert. Ob Bernd T. oder sonst jemand von der „Jail Crew“ mit Zschäpe in Kontakt trat, ist aber offen. Möglich ist auch, dass die „Jail Crew“ versucht hat, den ebenfalls in Untersuchungshaft sitzenden, mutmaßlichen NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben zu erreichen. In der Anzeige von Bernd T. wird neben Hünfeld und 17 weiteren Haftanstalten auch die JVA im thüringischen Tonna genannt, in der Wohlleben inhaftiert war.

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Wie gingen die Rechtsextremen vor?

Die Anzeige von Bernd T. ist durchaus aufschlussreich. Der Neonazi und Kumpane wollen die „Jail Crew“ am 20. April 2012, dem Jahrestag von Hitlers Geburtstag, in der JVA Hünfeld gegründet haben. Das Logo soll ein Adler im Sturzflug sein, der in seinen Krallen die Zahl 14 hält. Die Ziffer ist ein codierter Begriff der rechten Szene. Jeder Neonazi weiß, dass mit der Zahl 14 die „fourteen words“ des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane gemeint sind, eine weltweit zu hörende Rassistenparole.

Die „Jail Crew“ hatte angeblich auch schon Kontakte zu Häftlingen in anderen Bundesländern aufgenommen. Bernd T. wollte außerdem Rocker einbinden und schaltete deshalb die Anzeige in der „Biker News“. Im Text selbst werden zudem Rocker gezielt angesprochen. Das passt zum Trend, den Sicherheitsbehörden seit Jahren beobachten. Ein Teil der Neonazi-Szene geht auf Rocker-Gangs zu, einige Rechtsextremisten werden dort Mitglied. Obwohl Hells Angels, Bandidos und andere Rockerklubs keine braunen Vereinigungen sind, beobachten Sicherheitsbehörden die Vorgänge mit Sorge.

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Gab es schon Kontakte zum NSU vor dessen Aufdeckung?

Möglicherweise hatte Bernd T. einen Kontakt zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, den Todesschützen des NSU. Das Bundeskriminalamt nennt den hessischen Neonazi auf einer Liste mit 129 Namen zur Terrorzelle und ihrem Umfeld. Hinweise, Bernd T. könnte Mundlos und Böhnhardt beim Mord in Kassel mit einem Wagen und einer Unterkunft geholfen haben, sind unbestätigt. Die Killer des NSU hatten am 6. April 2006 den Deutschtürken Halit Yozgat erschossen. Nachdem der NSU aufgeflogen war, behauptete Bernd T. gegenüber der Polizei, er habe 2006 in Kassel Mundlos und Böhnhardt vom Bahnhof abgeholt und sei mit ihnen zu einer Geburtstagsfeier in einem Gewerbegebiet gefahren. In einem anonymen Schreiben wurde T. zudem beschuldigt, er sei der Hintermann der Anschläge des NSU gewesen. Die Behörden halten beide Geschichten für zweifelhaft.

Was weiß man über rechtsextremistische Netzwerke in deutschen Gefängnissen?

Mehr als 30 Jahre hat die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG)“ inhaftierte Rechtsextremisten „betreut“. Der braune Vereine vermittelte Briefkontakte, Weihnachten wurden Plätzchen in die Zellen geschickt. Die HNG hatte hunderte Mitglieder und versuchte zu verhindern, dass sich Häftlinge im Gefängnis vom Rechtsextremismus abwenden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verbot den Verein im September 2011.

Nach Auskunft von Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) gibt es in den acht Berliner Haftanstalten keine Hinweise auf Neonazi-Strukturen. Zwar würden gelegentlich ausländerfeindliche, antisemitische oder antiislamische Äußerungen sowie rechtsradikale Schmierereien und Tätowierungen registriert, aber dies seien „Einzelfälle“, sagte Heilmann dem Tagesspiegel. Rechtswidrige Aktivitäten würden generell als „außerordentliche Vorkommnisse“ erfasst, rechtsextremistische Vorfälle würden aber nicht gesondert registriert, weil die Abgrenzung zu Provokationen fließend und die Zahlen niedrig seien. In einem Fall hat es laut Heilmann eine Kontaktaufnahme aus Hünfeld zu einem Berliner Gefangenen gegeben. Über die Gefängnisbeiräte, in denen Anwälte mitarbeiteten, und über die Gefängniszeitung „Lichtblick“, die von Gefangenen selbst herausgegeben werde, habe man „ein relativ gutes System, das hilft, die Situation in den Haftanstalten zu scannen“.

Das brandenburgische Justizministerium hat "bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Beziehung des im hessischen Strafvollzugs aufgedeckten Netzwerkes zu Inhaftierten in Brandenburg besteht“, wie Ministeriumssprecher Frank Schauka am Mittwoch auf Anfrage sagte. Dem widerspricht allerdings, dass unter den 19 Haftanstalten, die in der Anzeige von Bernd T. genannt werden, auch eine brandenburgische ist. Dem Justizministerium in Potsdam liegen derzeit auch keine Erkenntnisse über rechtsextremistische Hierarchien und Strukturen im brandenburgischen Strafvollzug vor. Wie viele der brandenburgischen Gefängnisinsassen als rechtsextremistisch eingestuft werden können, konnte Schauka nicht sagen. Dem Landesinnenministerium zufolge gibt es allerdings Hinweise darauf, dass man versucht, innerhalb von Haftanstalten rechtsextremistisch zu agitieren. Auch von außen habe es in der Vergangenheit bereits Versuche aus der Szene gegeben, inhaftierte Extremisten zu unterstützen und „bei der Stange zu halten“ – etwa durch Solidaritätskundgebungen vor der JVA Brandenburg Ende März 2011 oder beim soggenannten. „White Prisoner and Supporter Day“, der für den 24. September 2011 in Frankfurt (Oder) geplant war, aber polizeilich untersagt worden sei, heißt es aus dem brandenburgischen Innenministerium.

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