- Glücklich im Geldspeicher
Seit beinahe 50 Jahren bewohnt der Fotograf Jay Maisel das ehemalige Hauptquartier der New Yorker Germania Bank – als Einfamilienhaus
Die Klage über Gentrifizierung ist inzwischen wohl selbst unter Autonomen nur noch ein nervender Gemeinplatz. Davon abgesehen: Der große Immobilien-Coup (oder schlicht „The Dream“, wie es die immobiliensüchtigen New Yorker nennen), also einen unsanierten Altbau in einem zentrumsnahen und architektonisch reizvollen Problembezirk zu finden, um ihn nach rascher Gentrifizierung mit sattem Aufpreis an einen Bonus-Banker weiterzureichen, ist heute nicht mal mehr im ehemals so billigen Berlin möglich. Als Wohnungssuchender in Großstädten der Ersten Welt hat man heutzutage schlicht das Gefühl, zu spät zur Welt gekommen zu sein.
Ganz anders als Jay Maisel, der im unter dem Aspekt des späteren Immobilienerwerbs geradezu idealen Jahr 1931 geboren wurde – und demnach mit Mitte 30 eine Zeit erlebte, in der man für eine ehemalige Bankzentrale mit Granitfassade, 72 Zimmern und 3.300 Quadratmetern in Downtown Manhattan gerade mal 102.000 Dollar auf den Tisch legen musste. Dass dieses Geld gut angelegt war, kann man sich denken – der Wert des Prachtbaus an der Bowery wird heute auf mehr als 50 Millionen Dollar geschätzt.
Dabei war es nicht so, dass Maisel von irgendwelchen Renditeüberlegungen geleitet war. Er hatte sich einfach in den Kopf gesetzt, sich von den Unwägbarkeiten des Mietmarktes unabhängig zu machen. Seit Mitte der 50er Jahre nämlich hatte er für 125 Dollar im Monat „ein paar hundert Quadratmeter“ in einem Fabrikgebäude gemietet, dessen Besitzer dann die Impertinenz besesaß, die Miete nach zehn Jahren um 50 Dollar anzuheben. Für Maisel ein Skandal. „Bei Immobilien sagen die Leute immer: Lage, Lage, Lage. Ich aber wollte schönes Licht, viel Platz und einen weiten Blick“, erinnert sich Maisel. „Die Lage war mir ziemlich egal.“
Und so fand er sich auf der Bowery wieder, in einer ehemals bürgerlichen Gegend, die damals, Mitte der 60er Jahre, in ganz Amerika als Inbegriffs des sozialen Abstiegs galt. Seit Jahrzehnten war auf der Bowery ein Großteil der New Yorker Obdachlosen zuhause gewesen, es herrschte Elend, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit. „Es war nicht wirklich gefährlich“, erinnert sich Maisel, „da gab es eher andere Gegenden. Hier war es eher widerlich, abstoßend auf vielerlei Weise. Aber es war keine Gegend, in der man mit Überfällen oder Raubmorden zu rechnen hatte.“
Die Bowery ist die älteste Straße in ganz Manhattan, schon vor der Ankunft der ersten europäischen Siedler befand sich an ihrer Stelle ein Indianerpfad.
Nostalgie allerdings sei kindisch, sagt Maisel, der Manhattan schon seit über 60 Jahren fotografiert. Dennoch störe ihn die hässliche Architektur, die sich vor seinen Fenstern aufgeschwungen habe: „Billig gebaut, um sie teuer zu verkaufen. Manhattan ist mittlerweile angefüllt mit egomanischen Gebäuden, die alle unbedingt was hermachen wollen, aber fürchterlich schlecht gezeichnet sind.“ Auch der Fassade des New Museum, auf das er von seinem Dach aus blickt, kann er nichts abgewinnen: „Es gleicht einem Witz, über den man beim ersten Hören kurz lachen kann, der beim zweiten Hören aber schon völlig unlustig ist.“
Gibt das aufgeräumte und auch banalisierte Manhattan von heute als Motiv noch etwas her? War das New York von Scorcese’s „Taxi Driver“, das Unfertige, Heruntergekommene, Gefährliche und Verwahrloste, für einen Fotografen nicht attraktiver? „Es ist immer noch interessant, weil die Menschen interessant sind. In den 70ern war die Stadt natürlich exotischer, degeneriert und teilweise abartig – und an solchen Orten gibt es immer Motive. Aber heute gibt hier einfach keine Armut mehr zu sehen, und wenn wir ehrlich sind, ist es wirklich spannend, Armut zu fotografieren. Wenn man die Extreme meidet, dann wird ein gutes Foto schon viel schwieriger.“
Mit sichtbarer Freude über sein Haus bringt Maisel den Besucher noch hinab zur Tür – in der mit Messing verkleideten Kabine seines 114 Jahre alten Aufzugs, den er manuell mit einem Hebel steuert wie früher in die Liftboys in den Grandhotels. Kleinere Macken könne er dem Aufzug selbst austreiben, aber vor Kurzem sei wieder eine größere Reparatur fällig gewesen: „Gerade kam die Rechnung, 17000 Dollar, unfassbar.“ Ob der Vorstandsvorsitz der Germania Bank für ihn in den vergangenen fünf Jahrzehnten so eine Art Zweitjob war? „Nein, das war mein Hauptberuf“, antwortet Jay Meisel. „Natürlich könnte ich verkaufen und nie wieder einen Finger rühren, aber dann müsste ich umziehen. Und mal ehrlich: wo soll man denn hiernach bitte noch hin?“
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