- „Der Begriff der Nachhaltigkeit ist für mich ein Weichspüler“
In Afrika baut er Solaranlagen und belebt so kleine Dörfer: Andreas Spieß, Gründer der Solarkiosk AG, ist am Donnerstag zu Gast in unserer Veranstaltungsreihe „Nachhaltig und gut?“. Vom Nachhaltigkeitsbegriff hält er indes wenig
Über Nachhaltigkeit in Gesellschaft und Unternehmertum diskutiert Andreas Spieß am Donnerstag auf einer Podiumsdiskussion in Berlin von RWE und Cicero. Spieß hat mit der Solarkiosk AG ein Startup gegründet, das saubere Energie in ländliche Regionen bringt. Mit dabei im EUREF-Campus sind außerdem der Grünen-Mitbegründer Lukas Beckmann, Unternehmensgründerin Sophie Eisenmann sowie der Vorstandsvorsitzende der EUREF AG Reinhard Müller. Anmeldung bitte per E-Mail an nachhaltig@cicero.de.
Herr Spieß, Solarkiosk sei ein „Musterbeispiel für Nachhaltigkeit“, haben wir gelesen. Gefällt Ihnen der Begriff?
Andreas Spieß: Nein, denn der Begriff der Nachhaltigkeit ist für mich ein Weichspüler, weil er nicht greifbar ist: ein zu perfekter Begriff. Es gibt keine Qualitätskriterien, wie etwa bei Bioprodukten. Ich bin ja schon unglaublich nachhaltig, wenn ich nur mit meinem normalen Auto statt mit dem SUV zur Arbeit fahre. Daher muss man jede Nachhaltigkeits-Diskussion sehr genau hinterfragen. Mich selbst interessiert die Diskussion um Nachhaltigkeit auch gar nicht. Ich bin erst einmal Unternehmer – die erste Währung bei meinen Projekten ist Geld. Die zweite ist der „Impact“.
Was sich mit „Wirkung“ übersetzen ließe – das klingt aber schon sehr nachhaltig!
Aber der Unterschied ist, dass der Impact als Wirkung meines Handelns messbar ist. Das Modell, das ich mag, nennt sich „Triple Bottom Line Impact“. Es misst ökonomische, ökologische und soziale Auswirkungen und definiert für jedes Kriterium, ab wann ich im grünen Bereich bin. Wenn ein Projekt das nicht bei mindestens zwei der Kriterien schafft, kommt es für mich gar nicht in Frage.
Könnten Sie das konkreter erklären?
Nehmen Sie unsere Solarkioske in Ostafrika: Am einfachsten ist es mit der ökologischen Komponente. Wenn ich auf erneuerbare Energien setze, statt wie bisher in diesen Regionen üblich, auf Dieselgeneratoren, schone ich massiv die Umwelt – zumindest, wenn es die richtigen Energiequellen am richtigen Ort sind.
Der zweite ist der kommerzielle Effekt: Wenn ich Energie in einem kleinen Dorf im ruralen Afrika bereitstelle, ist das „productive use“. Das heißt, ich kann andere Unternehmungen damit im wahrsten Sinne des Wortes befeuern, sodass sie davon profitieren und damit indirekt die gesamte lokale Wirtschaft. Daher ist es uns auch so wichtig, dass wir mit den Solarkiosken nicht nur hübsche Lampen betreiben, sondern den Leuten vermitteln, dass sie auch ihre Bohrer, ihre Getreidemühlen oder ihre Autowerkstätten dranhängen können.
Bleibt der „soziale Impact“.
Den habe ich auch, weil wir sehr darauf achten, mit wem wir unsere Projekte betreiben und wer unsere Energie nutzt. Auch wenn es gegen manche traditionelle Dorf-Hierarchie verstößt, versuchen wir immer, die jungen Leute - Männer wie Frauen - als Partner zu gewinnen, die sich langfristig engagieren wollen.
Sie sagten, Sie sind Unternehmer, Nachhaltigkeit selber interessiert Sie nicht. Wieso engagieren Sie sich dann in Afrika?
Ich bin Europäer und ich liebe Europa. Ich habe nicht das Bedürfnis, das Glück nach Afrika zu bringen. Ich habe aber das Bedürfnis, dass kein Flüchtling mehr vor unseren Küsten ertrinkt. Und ich habe das Bedürfnis, dass keine Menschen mehr, sei es aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen, nach Europa drängen und dann die hier teilweise sehr unschönen Bedingungen vorfinden, die wir zurzeit haben. Um das zu schaffen, müssen wir das Problem an der Wurzel fassen, wo es entsteht – zum Beispiel also in den ruralen Gegenden Afrikas: Dort fehlt den meisten Menschen jede wirtschaftliche Perspektive, also ziehen sie in die Städte, …
…wo es aber auch keine Perspektive gibt…
Genau, also landen sie in den Slums und dann glauben sie irgendwann, dass Europa ihre letzte Chance sei. Das heißt, wenn es uns gelingt, dass sie in den ruralen Gegenden ein gutes Auskommen haben, dass sie sich dort selbst Lebensqualität schaffen, dann sinkt das Risiko, dass sich diese Leute auf irgendwelche Nussschalen begeben und vor unser aller Augen kentern und ertrinken.
Wieso sind Sie eigentlich in die Energiebranche gegangen? In den Medien liest man immer von mangelnder Lebensmittelversorgung als Kernproblem in Afrika.
Das Bild ist komplett verzerrt. Afrika ist nicht arm an Landwirtschaft. Jeder hat dort sein Feld – wie bei uns vor 300, 400 Jahren. Die Hungersnöte, die sich jetzt gerade dort anbahnen, haben ihre Ursache nicht in der Landwirtschaft, sondern im Klimawandel. Und der wiederum ist darauf zurückzuführen, dass wir mit unseren Ressourcen, vor allem mit Energie, falsch haushalten.
Der zweite Punkt: Jeder afrikanische Ökonom, den Sie fragen, was das größte Hindernis für Entwicklung und Modernisierung sei, wird das gleiche sagen: Begrenztheit der Energie. Dadurch können Firmen nicht wachsen. Dadurch gibt es zu wenig Jobs. Dadurch wandert die Jugend ab. Und so weiter. Dieser Teufelskreis verhindert, dass Afrika im 21. Jahrhundert ankommt.
In der internationalen Zusammenarbeit redet man meist davon, was die Entwicklungs- von den Industrieländern lernen können. Mal andersherum gefragt, weil Sie beide Welten kennen: Was kann Europa von Afrika lernen?
Ich kann Ihnen sagen, was ich von Afrika gelernt habe: in allererster Linie Geduld, dann die Fähigkeit zu improvisieren und abschließend die Einstellung, jeden Tag so zu genießen, als wäre es der letzte.
Das klingt aber sehr pessimistisch.
Es ist etwas überspitzt, damit meine ich aber vor allem, die Opportunitäten, die sich jeden Tag bieten, beim Schopf zu packen. Nirgendwo passt das „Carpe Diem“ so wie in Afrika. Wenn ich einem afrikanischen Geschäftspartner sage: „Lass uns doch in drei Monaten treffen und ein Assessment machen“, dann sagt der: „Ich weiß doch gar nicht, ob ich in drei Monaten noch lebe. Wieso soll ich mir darüber jetzt Gedanken machen?“ Das Ergebnis ist, dass viele Prozesse viel flexibler bleiben, dass man sich weniger festlegt.
Diese Offenheit fehlt uns komplett, gerade in großen Konzernen und gerade in Deutschland. Da ist wichtig, was einmal beschlossen worden ist und dann wird das abgearbeitet. Egal, welche anderen, viel besseren Opportunitäten sich zwischendurch vielleicht bieten. Risikobereitschaft, Agilität und Geschwindigkeit gibt es da viel zu wenig, und das sind alles Qualitäten, die ich zumindest in Afrika gelernt habe.
Wie sehen Sie vor dem Hintergrund das Potenzial von Afrika?
Trotz der vielen Negativ-Schlagzeilen, die wir zurzeit wahrnehmen, ist es definitiv so, dass Afrika gerade einen wahnsinnigen Aufschwung erlebt. Das ist vergleichbar mit Asiens Entwicklung in den 70ern. Ich mache mir um Afrika in wirtschaftlicher Hinsicht keine Sorge. Die Frage ist nur, ob die Bevölkerung daran partizipiert. Oder wird es wieder nur der geringe Bevölkerungsanteil der Oberschicht sein? Wir wollen mit Solarkiosk helfen, dass es nicht so ist.
Jetzt haben wir Sie: Das ist doch Nachhaltigkeit – im Sinne von gesellschaftlicher Gerechtigkeit.
Was sicherlich richtig ist, ist, dass wir alle in einem Boot sitzen. Unsere Erde wird immer kleiner, denn die Globalisierung macht uns zu einer Gemeinschaft. Ich möchte hier in Europa ein würdevolles Leben leben. Das geht aber nur noch, wenn auch meine Nachbarn würdevoll leben. Das heißt: Ich muss für das Wohl der anderen sorgen, um für mein eigenes zu sorgen. So betrachtet, ist das natürlich schon ein nachhaltiger Ansatz.
Timm Rotter hat Andreas Spieß für den Blog der RWE Stiftung interviewt.
Fotos: picture alliance (Aufmacher), Solarkiosk (Spieß)
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