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FDP-Bundesparteitag - Rösler hat ihn eingelocht – vorerst

Der erhoffte Befreiungsschlag ist Philipp Rösler gelungen: Beim FDP-Bundesparteitag hat er eine offensive, gewitzte Rede gehalten. Die Delegierten würdigten es mit einem guten Wahlergebnis: Mit 85,7 Prozent der Stimmen wurde der Parteichef wiedergewählt. Doch ein Glaubwürdigkeitsproblem hat er immer noch

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Die Rettung Philipp Röslers könnte eng mit dem Aufstieg eines kleinen niedersächsischen Landtagsabgeordneten zusammenhängen: Hermann Grupe, fliehende, Stirn, schütteres Haar. Der Bauer aus dem Weserbergland war einst aus dem Kreistag geflogen. Im Januar geschah das Wunder. Er zog über einen aussichtslosen FDP-Listenplatz in den Landtag Hannover ein. Ohne das Wahlergebnis in Niedersachsen wären die Karrieren von Grupe und Rösler beendet gewesen. 9,9 Prozent – es war das beste Ergebnis für die FDP in der Geschichte des Bundeslandes.

Röslers Rede, in der er Grupe dankte, könnte einerseits als bester Einzelauftritt seiner Amtszeit in Erinnerung bleiben. So etwas hat man vom Vizekanzler lange nicht mehr gesehen: Energisch, frech, angriffslustig. Rösler hat nicht nur die Delegierten des Berliner Bundesparteitags überzeugt. Mit 85,7 Prozent der Stimmen wurde er im Amt bestätigt, angesichts der Umstände ein gutes Ergebnis. Rösler hat auch seinen Mitstreiter Rainer Brüderle an sich gebunden und seinen Konkurrenten Dirk Niebel kaltgestellt.

Andererseits muss Röslers Versuch, einen leisen programmatischen Wandel einzuleiten, vor dem Hintergrund der bisherigen Parteibilanz als fragwürdig gelten. Röslers Rezept ist einfach: Weg von einer verstaubten Wachstumspolitik, hin zu einem bürgerrechtlicheren Liberalismus, vielleicht auch einem sozialeren (ein bisschen).

Er verpackte den Kurswechsel in eine zunächst wilde Keilerei gegen den politischen Gegner.

Die FDP werde keine „Kuschelpolitik“ im Sinne Claudia Roths bieten, rief Rösler. „Wir tanzen nicht im Kirschblütenregen.“ Er wandte sich gegen grüne „Träume“ von weiteren Steuererhöhungen: „Früher kam der Obrigkeitsstaat mit Pickelmützen, heute kommt er auf Birkenstöcken daher.“ Er runzelte seine Stirn, bohrte den Finger durch die Luft, perfekte Choreografie.

Die SPD drohe, „katastrophale Ideen“ aus Frankreich zu übernehmen. Diese „linke Politik“ habe den Ländern Europas hohe Schulden und Jugendarbeitslosigkeit beschert. Rösler sprach sich für einen Sparkurs und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank aus.

Mit Blick auf die Koalitionen in den Bundesländern sagte Rösler: „Schuldenhaushalte haben zwei Farben: rot und grün. Stabile Haushalte haben auch zwei Farben: blau und gelb.“ Eine derartige „Steuererhöhungsorgie“ sei mit der FDP nicht zu machen.

Zu den Piraten sagte er: „Eine Internetpartei sind Sie nicht, wenn Sie eine Homepage haben, einen Twitter-Account oder auf Liquid Democracy abstimmen.“ Die FDP biete stattdessen echte Netzpolitik: stärkere Abwehrehrrechte des Bürgers gegen große Datensammler wie Google und Facebook, zum Beispiel.

Der Konkurrenten-Schelte, die gut ein Drittel der Rede einnahm, stellte Rösler seine Vision des Liberalismus im Wahlkampfjahr gegenüber. Als erstes: Er wolle die „Absurditäten“ bei der Förderung der Erneuerbaren Energien abschaffen. „Das ist kein Gesetz, das zur sozialen Marktwirtschaft passt.“

Überhaupt, die soziale Marktwirtschaft. Das Präsidium hat dem Begriff in einem Grundsatzbeschluss ein großes „S“ verpasst. Zuletzt hatten sich erste Liberale in der Mindestlohn-Debatte für Lohnuntergrenzen ausgesprochen. Rösler versprach, den Menschen zuzuhören und deren Lebenswirklichkeit anzusehen. Zwar hätte er „kein Patentrezept. Aber deswegen auf seinen Positionen zu beharren, fände ich nicht klug und wäre auch einer liberalen Partei nicht würdig.“ Einem einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn erteilte er jedoch eine Absage.

Liberale Sozialpolitik heißt für Rösler auch Bildung: Beim Thema Chancengerechtigkeit habe die FDP innerparteilich noch eine Aufgabe vor sich. Zu „den großen Reformprojekten“ gehöre ebenso die Familie – und die Förderung junger Frauen, sagte Rösler.

Er warb für eine Fortsetzung von Schwarz-Gelb, grenzte sich aber klar vom Konservatismus des Koalitionspartners ab. Die FDP setze sich für die Rechte von Homosexuellen ein, für eine schnellere Einbürgerung und die doppelte Staatsbürgerschaft. „Das hat etwas mit Toleranz zu tun.“

Als er fünf Jahre alt war, erzählte Rösler, habe sein Vater ihn einmal vor einen Spiegel gestellt und gesagt: Guck mal, du siehst etwas anders aus als ich. Aber das ist egal. Entscheidend ist, ich bin dein Vater und du bist mein Sohn. „Mit dieser Grundeinstellung bin ich groß geworden. Es war immer egal, wo man herkam in diesem Land, wichtig war, wo man hinwollte.“ Rösler rief vor einem grölenden Publikum: „Deutschland ist das coolste Land der Welt.“

Seite: Das Wachstumsmantra heimlich, still und leise entsorgt

Rösler legte noch einen nach, indem er das Zitat Merkels aufgriff, die Liberalen seien eine Prüfung Gottes: „Wir hätten etwas falsch gemacht, wenn es anders wäre.“
Der Parteitag tobt, Standing Ovations, der Saal fordert eine Zugabe. Rösler nickt, winkt und setzt sich. Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, Rösler hat ihn reingehauen.

Hinterher hält er noch mit Rainer Brüderle ein Fußballfeld in die Kamera. Die Botschaft: hier ist Teamwork zu sehen. Rösler hatte zuvor noch Brüderle als den Stürmer an der Seite des Kapitäns bezeichnet und seine „Kämpfernatur“ gelobt. Ein Seitenhieb auf die Sexismus-Debatte gab es vom Parteivorsitzenden auch noch: „Alkohol ist keine dauerhafte Lösung.“ Brüderle soll am Sonntag zum Spitzenkandidaten gewählt werden.

Rösler hatte auch Dirk Niebel gedankt, seinem wichtigsten Widersacher. Vor Niedersachsen, als es ganz schlecht aussah für Rösler, hatte Niebel wiederholt betont, ein Parteichef müsse nicht gleichzeitig Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf sein. Zwar kam es genauso – Rösler als Chef, Brüderle als Kandidat – doch Niebels Aussagen stießen in der Partei auf Missbilligung.

Eine Delegierte sagte, es dürfe nicht immer um Personalpolitik gehen, um ein „Ich, ich, ich“. Es war eine deutliche Kritik an Niebel. Am Nachmittag musste der Entwicklungshilfeminister deswegen um eine Wiederwahl ins FDP-Präsidium zittern. Es wäre ein weiterer Punktsieg für Rösler.

Der Auftritt des Parteichefs ist auch deshalb bemerkenswert, weil er die FDP auf dem Dreikönigstreffen vor einem Jahr noch zur Wachstumspartei erklärt hatte: industriefreundlich, neoliberal, anti-ökologisch. Mit dieser Politik konnte Rösler den Abwärtstrend nicht stoppen. Also wurde das Wachstumsmantra leise, still und heimlich entsorgt. Kein Wort von Wachstumsvorrang in Röslers Rede, selbst das Logo wurde von Broschüren und Webseiten verbannt.

Doch ein sozialer Kurs könnte in den eigenen Reihen auf Widerstand stoßen. Die Jungen Liberalen haben einen Antrag gegen den Mindestlohn eingebracht.

Das größte Hindernis eines liberalen Neuanfangs könnte jedoch Rösler selbst sein. Als Wirtschaftsminister manipulierte er den Armutsbericht. Kritische Passagen zur Vermögensverteilung verschwanden einfach. Bislang ist er nicht als Freund der Kleinverdiener aufgefallen.

Auch deswegen hat Rösler noch immer ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Update 17:15 Uhr: Wahlergebnis ergänzt.

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