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Mediengesetze in Polen und Ungarn - Hinsehen, aber bitte ohne Arroganz

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich beklagt, dass die Deutschen zu kritisch mit Polen seien. Dort werden, ähnlich wie in Ungarn, gerade die öffentlich-rechtlichen Medien umgebaut. Sollten sich die EU und Deutschland einmischen, um Schlimmeres zu verhindern? Ein Gastbeitrag des ungarischen Journalisten Krisztian Simon

Autoreninfo

Krisztian Simon ist ein ungarischer Journalist. Er war Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung in Berlin. Zurzeit ist er unterwegs in Zentralasien.

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Die Geschwindigkeit war atemberaubend. Kaum hatte die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) im Oktober die Parlamentswahlen in Polen mit absoluter Mehrheit gewonnen, da begann die neue Regierung auch schon damit, den Justiz- und Medienapparat umzubauen.

Das umstrittene Mediengesetz, das im Januar in Kraft getreten ist, hat das Aufsichtsgremium der öffentlich-rechtlichen Medien schlicht entmachtet: Ab sofort sollen die Führungspositionen von der Regierung bestimmt werden.

Das Beispiel der beliebten Sendung von Tomasz Lis zeigt, welches Ausmaß diese Veränderung mit sich bringt. Lis moderierte bis zuletzt eine politische Talkshow des öffentlich-rechtlichen Fernsehkanals TVP. In einer seiner letzten Sendungen wollte er mit dem Präsidenten des polnischen Verfassungsgerichtes, Andrzej Rzepliński, sprechen. Doch der neue Fernsehdirektor durchkreuzte die Pläne: Er forderte Lis auf, den Gast auszuladen.

Neues Gesetz in wenigen Monaten
 

Der Sender wollte verhindern, dass Rzepliński erzählt, wie die neue Regierung den Obersten Gerichtshof entmachtet. Mehr noch: Wie die polnische Regierung – die im Gegensatz zur ungarischen Fidesz-Partei nicht einmal eine Zweidrittel-Mehrheit erreichen konnte – das Grundgesetz auszuhebeln versucht. Moderator Lis aber widersetzte sich dem Befehl. Deshalb musste er sich Ende Januar vom Sender TVP verabschieden.

Es wird erwartet, dass in einigen Monaten ein neues Mediengesetz folgen wird. Mit diesem sollen alle Arbeitsverträge der öffentlich-rechtlichen Medien auslaufen. Nur diejenigen Mitarbeiter werden weiter beschäftigt, die sich gegenüber Kaczyński und seiner Partei zu Treue verpflichten.

Diese Eingriffe in das Mediensystem ähneln dem, was seit 2010 in Ungarn passiert ist. Hier sind die öffentlich-rechtlichen Medien, wie es der ungarische Investigativjournalist Attila Mong gerne nennt, seit der Machtübernahme des Rechtspopulisten Viktor Orbán in ein „von der Regierung kontrolliertes Sprachrohr” verwandelt worden. Kritische Journalisten wurden entlassen, öffentliche Medienmitarbeiter führen nur noch Befehle aus, eigene kreative Arbeit wird nur noch in den seltensten Fällen akzeptiert.

Kritik, aber nicht Arroganz
 

Wie auch im Fall von Ungarn wurde der Kurs der neuen polnischen Regierung aus Brüssel und Berlin heftig kritisiert. Es hieß, Polen verwandle sich in eine „gelenkte Demokratie“. Von der „Orbanisierung” und sogar „Putinisierung” des Landes war die Rede. Gut möglich, dass es in näherer Zukunft mehr als nur besorgte Kommentare geben wird. Der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Frans Timmermans leitete Mitte Januar das Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union ein. Diese Maßnahme, die 2014 geschaffen wurde, ist bislang noch nie gegen einen EU-Mitgliedsstaat ergriffen worden. Im Extremfall könnte Polen sogar das Stimmrecht in der EU entzogen werden.

Es ist richtig: Wenn ein EU-Mitgliedsland gegen demokratische Normen verstößt, sollte das Konsequenzen haben. Diese hätte eigentlich auch Ungarn spüren müssen – nur leider waren da alle von der EU initiierten Änderungen nur kosmetischer Natur. Hätte die EU damals entschlossen gehandelt, hätte es sich Orbán vielleicht zweimal überlegt, ob er mit seinem Unheil weitermacht. Die Kritik an Polen und Ungarn, die auch Oppositionelle einfordern, ist grundsätzlich berechtigt.

Nur manchmal geht sie etwas zu weit
 

Vor einigen Wochen schrieb EU-Kommissarin Viviane Reding: „Wem es nicht passt, der kann ja die EU verlassen!” Sie ergänzte, dass seit dem Lissabon-Vertrag jeder Mitgliedsstaat die Union in geregelten Bahnen verlassen könne. Diese Aussage ist nicht nur unheimlich arrogant, sie spielt auch den Unruhestiftern der EU in die Hände. Die Anhänger von Orbán und Kaczyński interpretieren die Kritik an ihren Regierungen meist so, als ziele sie auf das ganze ungarische oder polnische Volk. Im Falle von Reding muss man ihre Wörter gar nicht mehr uminterpretieren: Sie ist tatsächlich so zu verstehen, als ob Reding für die undemokratischen Schritte der PiS-Regierung das ganze Land bestrafen wolle. An diesem Punkt wird es für die Wähler Polens, Ungarns und anderer zentral-europäischer Länder persönlich. Sie könnten entgegnen: „Wenn die EU uns nicht haben will, dann wollen wir die EU auch nicht haben.”

Dann hätten die Populisten gewonnen, die die Bundesregierung gerne mit Nazi-Deutschland und die EU mit der Sowjetunion vergleichen. Da hat Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich Recht, wenn er einige dieser Bemerkungen gerade von deutscher Seite als „oberlehrerhaft” rügt

Wir können und sollten nicht alle Polen dafür verantwortlich machen, dass gerade einmal 5,7 Millionen der 38 Millionen Einwohner (also 15 Prozent) für eine Partei gestimmt haben, die nun die Demokratie systematisch abzubauen beginnt: Die PiS erhielt 37,6 Prozent der Stimmen. Aufgrund der Hürde gingen fast zwanzig Prozent der Wählerstimmen verloren – und so kam die PiS auf 51 Prozent der Parlamentssitze.

Letztendlich verhalten sich westliche Kommentatoren und Politiker, die fordern, Polen oder Ungarn sollten die EU verlassen, nicht anders als Orbán oder Kaczyński, die behaupten, syrische und afghanische Flüchtlinge hätten in der EU nichts zu suchen, da sie kulturell nicht zu Europa passten.

Keine Doppelmoral
 

Wenn man Kritik übt, sollte man daher auch versuchen zu verstehen, warum und wie irgendeine Situation sich ereignet hat. Doppelmoral ist fehl am Platz. Es hat Gründe, warum Polen und Ungarn derart desillusioniert und apathisch sind, warum sie in so großer Zahl für Populisten gestimmt haben.

Die Korruption in diesen Ländern ist immer noch relativ groß. Die Verlierer des Umbruchs der neunziger Jahre – wie die ungarischen Roma, die bis heute von Sozialhilfe abhängig sind – fühlen sich von der Politik vernachlässigt. Obwohl Polen und Ungarn EU-Mitglieder sind, sind die Löhne dort nur ein Bruchteil dessen, was man in Deutschland oder Frankreich verdienen kann. Die Wähler sind enttäuscht von ihren Regierungen: Darüber sollte man auch in Berlin und Brüssel sprechen.

Zudem standen die öffentlich-rechtlichen Medien in Mittel- und Osteuropa schon immer unter einem gewissen staatlichen Einfluss. Oft wurden nach Wahlen ganze Belegschaften ausgetauscht. Nur: Jarosław Kaczyński und Viktor Orbán sind dabei viel weiter gegangen als all ihre Vorgänger.

Ungarische Medien verbreiten Staatspropaganda
 

Schon weit vor Orbáns Zeit versuchten sich die ungarischen Staatsmedien ein Stück weit abzusetzen, Unabhängigkeit zu demonstrieren. So erschien 2006 im öffentlich-rechtlichen Radio eine kompromittierende Tonbandaufnahme des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány. Darauf gestand er, dass seine Partei Tag und Nacht gelogen habe, um die Wahl zu gewinnen. Es folgten massive Proteste. Der Skandal schwächte die Regierung so sehr, dass die Sozialisten bei der nächsten Wahl keine Chance mehr hatten.

Über die Art und Weise, wie diese Aufnahmen veröffentlicht wurden, kann man sich streiten. Aber Servilismus kann man den Redakteuren des Radiosenders ganz sicher nicht vorwerfen.

Ähnliche Enthüllungen wird man im öffentlich-rechtlichen Radio heute nicht mehr hören. Stattdessen verbreiten die Medien in Ungarn Staatspropaganda, sehr oft sogar gefälschte Reportagen.

Boulevard-Meldungen sollen Bevölkerung ablenken
 

So zeigten die Nachrichten das Video einer Vergewaltigung auf dem Tahrir-Platz in Kairo – und behaupteten, dies seien Bilder der Silvesternacht in Köln. Bei einer Demonstration meldete sich ein Korrespondent von der anderen Straßenseite, wodurch der Eindruck entstand, es sei kaum jemand auf der Veranstaltung. In einer anderen Reportage wurde der Ex-Präsident des Obersten Gerichtshofes gepixelt, damit die Zuschauer nicht sahen, dass er auch vor Ort war.

Die Website des Staatsfernsehens, Hirado.hu, sorgt stattdessen mit Boulevard-Nachrichten und (halb-)nackten Celebrity-Bildern dafür, dass sich die Leser nicht mehr mit Politik beschäftigen, geschweige denn daran denken, dass jährlich ungefähr 250 Million Euro für die Staatspropaganda ausgegeben werden.

Die Zukunft sieht für die öffentlich-rechtlichen Medien in Ungarn nicht gut aus. Das wissen wahrscheinlich auch die Zehntausenden Polen, die gegen das Mediengesetz demonstrieren.

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