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Anschlag auf die Bobos - Die Angst ist unser Feind

Die Täter von Paris waren genauso jung wie ihre Opfer: Der „Islamische Staat“ zielte mit den Anschlägen auf das weltoffene, tolerante Pariser Milieu, auf die „Bobos“. Wie gehen die jungen Leute damit um?

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Laetitia Grevers hat Geschichte in London studiert. Ihre Texte sind unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

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Der 13. November war ein milder Herbstabend, an dem sich die jungen Leute auf den Terrassen von Paris begegneten. Sie rauchten, tanzten, lernten sich kennen und lieben.

Die Jungen, die auf der Rue Charonne Wein trinken oder auf Rock-Konzerte ins Bataclan gehen, sind das hippe, aufgeschlossene, internationale Paris – und eben nicht die Wähler von Marine Le Pen oder Nicolas Sarkozy. Sie nennen sich die „Bobos“, Bio-Bürger, eine Schicht zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Ihnen widmete der Sänger Renaud Séchan einst seine Hymne.

Ihnen galten auch die skrupellosen Terroranschläge. Sie wurden angegriffen, nicht weil sie Karikaturen zeichneten, Polizisten oder Juden sind. Sondern weil sie sorglos in einer Kneipe saßen.

Jetzt sind sie schockiert, irritiert, aber auch entschlossen, sich nicht dem Terror zu beugen.

„Von der Angst nicht erdrücken lassen“


Die Musikerin Aude Polgar singt und spielt Gitarre, zweimal ist sie schon in den Bars von Paris aufgetreten. „Die Terroristen haben unsere Offenheit und unseren freien Lebensstil angegriffen“, sagt sie, „jetzt dürfen wir uns von der Angst nicht erdrücken lassen“.

„Es hätte jeden von uns treffen können“, sagt Martin Rahin, ein junger Künstler aus dem Marais. Im Januar – nach dem Angriff auf die Satire-Redaktion „Charlie Hebdo“ und den koscheren Supermarkt – haben viele junge Menschen ihre Anteilnahme mit dem Satz „Ich bin Charlie“ deutlich gemacht. Heute sagt Rahin: „Wir müssen unsere Solidarität mit den Betroffenen nicht durch einen Satz zum Ausdruck bringen. Denn die Betroffenen sind wir.“

Der „Islamische Staat“ erklärte einen Tag nach dem Blutbad, er habe Paris für diesen Anschlag ausgewählt, weil es „die Hauptstadt der Prostitution und des Obszönen“ sei. Die Selbstmordattentäter griffen eben jene Jugend an, die sich so vehement gegen Islamfeindlichkeit in Frankreich stellt. Die acht Mörder, die aus Syrien und Frankreich kamen, gehören zur gleichen Generation wie ihre Opfer. Nun wächst die Angst, dass das Misstrauen jungen Muslimen gegenüber zunimmt und die Gesellschaft stärker spaltet.

Nicht genug Sägemehl für all das Blut


Am Wochenende mobilisierte sich die Zivilgesellschaft schnell gegen die Terrorakte. Über den Twitter-Hashtag #PorteOuverte boten Pariser Fremden nachts Unterkünfte an. Die Studentin Alva Westlund war abends auf den Straßen im elften Arrondissement unterwegs, um Freunde aufzusuchen. Plötzlich hörte sie Schüsse. Polizeisirenen heulten auf, panische Menschen rannten in ihre Richtung. Sie lief mit. „Ein Taxifahrer hielt an und bot uns an, ins Auto zu steigen und uns heimzufahren“, erzählt sie. Taxifahrer verlangten am Freitag kein Geld von ihren Passanten – sie fuhren die nach Hause, die sie retten konnten.

Paris, drei Tage danach, zählt 132 Tote und 352 Verletzte. Davon sind 99 schwer verletzt. Am Samstagmittag stehen vor dem Konzertsaal Bataclan, in dem rund hundert Rockfans ermordet wurden, einige Journalisten. Die Straße ist abgesperrt. Es herrscht Totenstille. Um 13 Uhr wurden noch immer nicht alle Körper evakuiert. Die Polizei muss die Position der Leichen genau aufschreiben, sie identifizieren. Zur gleichen Zeit suchen Angehörige in Krankenhäusern verzweifelt nach Überlebenden. Eine große Schlange bildet sich dort auch, weil die Leute Blut spenden wollen.

Für fünf Tage sind öffentliche Versammlungen in Paris verboten. Die Menschen legen Blumen, Kerzen und Zettel vor den Orten des Schreckens ab, sie teilen ihre Trauer mit Fremden. Im Norden beim Canal-Saint-Martin gibt es nicht genug Sägemehl, um das Blut vor dem Restaurant Casa Nostra zu entfernen. Hier wurden am Freitag vier Menschen ermordet. Auf der Scheibe eines gegenüberliegenden Cafés sind Schusslöcher zu sehen, so groß wie Schneebälle. Vitrinen der Schaufenster in der Nähe sind bereits mit Weihnachtsdekoration geschmückt. Sie glitzern weiter, als wäre nichts geschehen.

„Die Ereignisse haben nichts mit Flüchtlingen zu tun"


Eine junge Anwältin und ihr Freund gehen im elften Arrondissement abends essen. „Da wegen des Ausnahmezustands Demonstrationen verboten sind, haben wir uns entschlossen, den Terroristen auf unsere Weise zu zeigen, dass das Leben weiter geht und wir keine Angst haben“, sagt die junge Frau. „Wir müssen weiter ausgehen und uns durch diese feigen Taten nicht unterdrücken lassen.“ Noch gehören die beiden zu einer Minderheit. U-Bahnen und Straßen bleiben Samstag und Sonntag nachts überwiegend leer.

Marine Le Pen hofft, aus dieser Angst Kapital zu schlagen. Nach dem Anschlag warnt die Vorsitzende des Front National vor „der Gefahr der Einwanderung“. Einer der Attentäter kam über die Insel Leros und die Balkanroute erst vor kurzem nach Frankreich. Sie nutzt das, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Sie fordert, die Grenzen langfristig zu schließen. Auch CSU-Minister Markus Söder meint, es müsse sich nach Paris einiges in der deutschen Flüchtlingspolitik ändern.

Der Kölner Jonas Hirschnitz hat gerade in Paris bei einer Unternehmensberatung begonnen. Seine Wohnung befindet sich in der Rue de Charonne, in der eines der Attentate stattfand. Er ist entsetzt über die Reaktion einiger Politiker: „Die Ereignisse haben nichts mit Flüchtlingen oder der islamischen Religion zu tun. Das müssen wir alle im Hinterkopf behalten."

Terroristen bekämpfen, zugleich aber Islam- und Fremdenfeindlichkeit zurückweisen: Dies ist die Botschaft, die junge Pariser nach dem schwarzen Freitag an die Welt richten.

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