- Ein Gesinnungstest sollte Extremisten enttarnen
Der deutliche Rechtsruck der AfD hätte möglicherweise verhindert werden können. Ex-AfD-Chef Bernd Lucke und die frühere rheinland-pfälzische Landesvize Beatrix Klingel sind überzeugt: Man hätte bei der Aufnahme von Neumitgliedern strikter sein und einen Gesinnungstest konsequent anwenden müssen
„Nehmen wir einmal an, im Dritten Reich hätte es keinerlei Judenverfolgungen gegeben. Würden Sie dann der Aussage zustimmen, dass die deutsche Reichsregierung zwischen 1933 und 1945 eigentlich gar nicht so schlecht gewesen ist?“
Dies ist eine von vielen Fragen, die der einstige AfD-Chef Bernd Lucke im Oktober 2013 entworfen hatte, um die Aufnahme „falscher Mitglieder“ in die Partei zu verhindern. Sein Katalog umfasste 56 Fragen zu acht Themenkomplexen wie Asylpolitik oder Extremismus. Auch AfD-Pressesprecher Christian Lüth bestätigte gegenüber Cicero die Echtheit des Dokuments.
Die AfD, die in einer „Bild“-Umfrage erstmals zehn Prozent erreicht, kämpfte in ihren Anfangsjahren massiv gegen eine Unterwanderung von rechts. Ein Instrument dabei war ein Fragebogen, der AfD-Vorständen bei der Bewilligung neuer Mitgliedsanträge helfen sollte.
Bernd Lucke spricht von einer „Handhabe für ein Aufnahmegespräch“, keiner „verbindlichen Vorgabe“. Grundidee sei gewesen, „Bewerbern mit verfassungsfeindlichen oder ausländerfeindlichen Ansichten die Zunge zu lockern“ und „eventuelle extremistische Gesinnungen herauszukitzeln“, sagt Lucke, heute Chef der Partei „Alfa“, dem Cicero. Denn laut AfD-Satzung dürfen Personen, die Mitglied einer extremistischen Organisation sind, nicht Mitglied der Partei sein.
Fragenkatalog verhärtete den Flügelkampf in der AfD
So wollte Lucke von AfD-Anwärtern wissen: „Würden Sie der Aussage zustimmen, dass es in Deutschland zu viele Ausländer gibt?“ Die „Lügenpresse“-Debatte fand sich in dieser Frage wieder: „Glauben Sie, dass Presse und Medien in Deutschland im Wesentlichen frei berichten können?“
In der Gründungsphase der AfD waren die Landesverbände noch für die Mitgliederaufnahme zuständig, später die Kreisverbände als niedrigste Gliederungsebene. Der Fragebogen wurde aber kaum angewandt. Parteimitglieder kritisierten ihn als „Gesinnungstest“; viele weigerten sich, Neumitglieder zu überprüfen.
Zwar tolerierte Bernd Lucke den nationalkonservativen Kurs der AfD lange Zeit und flirtete auch mit dem rechten Rand. Dennoch war sein Fragenkatalog ein deutlicher Versuch einer Abgrenzung nach rechts. Das Dokument verhärtete zugleich den Machtkampf zwischen ihm und dem rechten Parteiflügel um Frauke Petry, der schließlich zur Spaltung der Partei führte.
„Der Rechtsruck der AfD hätte verhindert werden können“
Die ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Beatrix Klingel, sagt heute: „Der Rechtsruck der AfD hätte verhindert werden können, wenn man sich konsequent an die Überprüfung der Mitglieder gehalten hätte.“
Bernd Lucke sagt zu dem Fragebogen: „Ich fürchte, dass ihm im Laufe der Zeit immer weniger Beachtung geschenkt worden ist und dass dadurch vermehrt auch radikale Mitglieder in die Partei aufgenommen wurden.“ Lucke wehrt sich jetzt auch in seiner neuen Partei „Alfa“ (Allianz für Fortschritt und Aufbruch) mit Überprüfungen gegen die Rechtspopulisten. Aufgrund der Erfahrungen „mit der letztlich unkontrollierbaren Mitgliedsaufnahme“ habe die Alfa das Recht der Aufnahme den Landesvorständen zugewiesen, erklärt Lucke. Außerdem habe der Bundesvorstand ein Widerspruchsrecht.
Der AfD-Fragenkatalog und der Beschluss für ein zwingendes „Aufnahmegespräch“ im Oktober 2013 fallen zeitlich zusammen mit einer Pressemitteilung, in der die Partei einen Aufnahmestopp von Überläufern der rechtspopulistischen Partei „Die Freiheit“ verhing. Den Beschluss hat Lucke auch an alle Landesvorstände gemailt.
Fragebogen auf Ex-Mitglieder der „Freiheit“ zugeschnitten
Zwar erklärt Lucke heute, dass der Fragebogen „weniger mit dem Aufnahmestopp für Mitglieder der Freiheit zu tun“ gehabt habe. Vor zwei Jahren aber hatte er in der Pressemitteilung erklärt, „wenn deren Mitglieder eine islamophobe und latent fremdenfeindliche Einstellung haben, haben sie bei uns nichts verloren“. Eine Ausnahme müsse gut begründet sein. „Dafür sei aber stets ein protokolliertes Einzelgespräch und die Zustimmung des jeweiligen Landesvorstandes erforderlich.“
Tatsächlich erscheinen einige Fragen in dem Leitfaden wie zugeschnitten auf frühere Freiheit-Mitglieder, die der AfD beitreten wollten. So heißt es etwa: „Kennen Sie Organisationen, die verfassungsfeindlich sind? Bitte nennen Sie diese!“ Und: „Hatten Sie jemals Kontakt zu diesen Organisationen?“ Eine weitere Frage lautet: „Würden Sie der Aussage zustimmen, dass der Islam nicht nach Deutschland gehört?“
Die Freiheit wird vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet und als „islamfeindlich“ eingestuft. Parteigründer René Stadtkewitz hatte wiederholt gegen Moscheebauten gewettert und auch den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders eingeladen. Im Oktober 2013 verkündete Stadtkewitz, alle landes- und bundespolitischen Aktivitäten ruhen zu lassen – und plädierte für den geschlossenen Übertritt in die AfD. In Folge des Aufrufs stellten zahlreiche Freiheit-Mitglieder Aufnahmeanträge bei der AfD. Schon zuvor waren Hunderte übergetreten.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.