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Anja Stiehler/Jutta Fricke Illustrators

Frau Fried fragt sich … - … woher die Demokratiefaulheit kommt

Unsere Kolumnistin Amelie Fried ärgert sich über sinkende politische Beteiligung. Anstatt Pegida hinterherzulaufen, sollten gerade die sozial Abgehängten unbedingt von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen

Autoreninfo

Amelie Fried ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Für Cicero schreibt sie über Männer, Frauen und was das Leben sonst noch an Fragen aufwirft

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Nur zur Erinnerung: Demokratie heißt „Herrschaft des Volkes“. In Deutschland will die Hälfte des Volkes offenbar nicht mehr herrschen. In Hamburg wollten im Februar nur 56,5 Prozent der Wahlberechtigten mitbestimmen, wer sie regiert. Im Mai in Bremen waren es gerade mal 50,1 Prozent. Ich kenne Bremen – es hätte allen Grund gegeben, dort wählen zu gehen. Aber die einen dachten, die Wahl sei schon gelaufen, und viele andere – nicht nur in Bremen – glauben offenbar, das Öffnen von Bierflaschen und Pöbeln vor dem Fernseher ersetze den Akt der politischen Teilnahme. Statt das wichtigste demokratische Grundrecht zu nutzen, hocken sie zu Hause, schimpfen über „die Politiker“ und halten es für einen revolutionären Akt, Wahlen zu boykottieren.

Die Begründung fürs Nichtwählen heißt oft: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“ Von wegen! Angela Merkel tut keinen Schritt, ohne vorher eine Umfrage in Auftrag zu geben. Ihre Regierung ist das reinste Wählerwunschkonzert. Auch Landesregierungen sind oftmals sensibler dem Wählerwillen gegenüber, als dem Land guttut.

Nicht wählen ist auch keine Lösung
 

Am meisten ärgert mich die schlechte Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in Ostdeutschland (zuletzt Sachsen 49,2  Prozent und Brandenburg 47,9 Prozent). Hey, Ossis: Erst wollt ihr zur Bundesrepublik gehören – und jetzt, wo ihr merkt, dass der Kapitalismus genau die Nachteile hat, vor denen euch die DDR-Oberen gewarnt haben, pfeift jeder zweite von euch auf die Demokratie? Stattdessen marschiert ihr bei Pegida gegen Flüchtlinge auf, obwohl man bei euch Ausländer mit der Lupe suchen muss?

Klar sind es – in Ost und West – überwiegend die sozial Abgehängten, die nicht wählen gehen, weil sie sich von der Politik nichts mehr erhoffen. Das ist traurig und beschämend für jene, die Politik gestalten. Aber es ist ein riesiger Irrtum. Man stelle sich nur mal vor, die 50 Prozent, die in Bremen nicht gewählt haben, hätten die Linke gewählt. Dann wäre aber was los gewesen! Gerade die, die sich abgehängt fühlen, müssten massenhaft zur Wahl gehen. Denn wenn bloß die Wohlsituierten und Gebildeten wählen, wird auf Dauer nur noch Politik für Wohlsituierte und Gebildete gemacht. Also für Cicero-Leser. Das hätte am Ende mit echter Demokratie nicht mehr viel zu tun.
 

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