Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Vorratsdatenspeicherung bei Abgeordneten - „Ganz ehrlich: Wir hatten keine Ahnung“

Am Wochenende muss Sigmar Gabriel seine Partei überzeugen, dass die Vorratsdatenspeicherung sein muss. Im Bundestag ist sie schon längst Realität. Der Versuch der Abgeordneten, sich davon zu befreien, ist nach dem jüngsten Hackerangriff auf den Bundestag wohl endgültig gescheitert

Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

So erreichen Sie Werner Sonne:

Es war es das Streitthema schlechthin: Jahrelang tobte der Kampf um die Vorratsdatenspeicherung im Bundestag. Doch während man noch heftig stritt, was man dem Bürger zumuten kann, war sie im Parlament lange gängige Praxis: Verbindungsdaten und gelöschte Dokumente von Abgeordneten wurden drei Monate lang auf den Bundestagsservern gespeichert. Und die meisten Volksvertreter wussten davon nichts. Der Linken-Abgeordnete Frank Tempel, von Hause aus Kriminalbeamter, sagt gegenüber Cicero: „Ganz ehrlich: wir hatten keine Ahnung. Das muss man so auch mal eingestehen“.

Doch dann kam die Edathy-Kinderporno-Affäre, und sie brachte diese Praxis an den Tag. Verblüfft stellten die Abgeordneten fest, dass sie selber Opfer einer Datenspeicherung waren, die viele von ihnen so intensiv bekämpften. Und ihnen wurde vor Augen geführt, wie es gehen kann: Die Edathy-Daten wurden vom Server des Bundestages an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die konnte so nachvollziehen, wohin der frühere SPD-Abgeordnete gezielt geklickt hatte, um sich einschlägiges Material anzuschauen.

Sieben Tage Sperrfrist – bis zum Hacker-Angriff


Nun begehrten die Abgeordneten auf. So nicht, war die Forderung an den Bundestag. Man einigte sich auf zwei Maßnahmen. Im Dezember 2014 bekamen die Volksvertreter ein Schreiben der Bundestagsverwaltung auf den Schreibtisch. Fortan konnten sie wählen: drei Monate Speicherung ihrer Dokumente, einen Monat oder gar nicht. Ziel der Speicheraktion war es ursprünglich, dass Abgeordnete oder ihre Mitarbeiter auch gelöschte Daten, etwa versehentlich oder übereilt, mit Hilfe der IT-Abteilung wieder herstellen konnten. Doch die eigentlich brisanten Daten waren die Verbindungsdaten, die zeigen können, wer mit wem Kontakte hat und wer sich im Netz wo tummelt – sie waren Edathy zum Verhängnis geworden. Hier einigte sich die IT-Kommission, in der alle Fraktionen vertreten sind, einvernehmlich auf nur noch sieben Tage Speicherfrist.

Bis der große Hacker-Angriff kam und damit die Notwendigkeit, dringend nachzuverfolgen, woher er stammte. Dafür jedoch brauchte man eben doch die Verbindungsdaten. Die eilig herangezogenen Sicherheitsexperten machten den Abgeordneten klar, dass dringend wieder über einen längeren Zeitraum nachzuvollziehen sein musste, welche Datenströme wohin geflossen sind. Sonst könne man solche Angriffe nicht aufklären und keine Abwehr einleiten.

In der IT-Kommission saß der Schock tief. Bei einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am Mittwochnachmittag wurde das Ausmaß des Angriffs geschildert: Die Rechner von 15 Abgeordneten wurden angegriffen, bei fünf konnten Datenabflüsse registriert werden.

„Es geht ja wahrscheinlich um Spionageabwehr“


Auch in der Opposition scheinen nun Widerstände zu schwinden, sich bei der Aufklärung von den Fachleuten des Bundes helfen zu lassen. So sind jetzt neben den IT-Experten des Bundestages auch die Fachleute des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eingeschaltet, und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz bringt sein Wissen ein. Schließlich gehe es hier, so ein Abgeordneter, ja wahrscheinlich um Spionageabwehr. Obwohl, so zeigte die jüngste Unterrichtung erneut, sicher ist man sich bisher immer noch nicht, woher der Angriff kam.

Um das IT-Netz des Bundestages in Zukunft sicherer zu machen, diskutieren die Parlamentarier nun drei Möglichkeiten: Es doch dem mit Misstrauen beäugten Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)  zu überlassen, das auch für die Datensicherheit der Bundesregierung zuständig ist. Es einem privaten Anbieter, etwa der Telekom zu übertragen. Oder aber die IT-Abteilung der Bundestagsverwaltung so aufzurüsten, dass sie das selber bewältigen kann. 

Vorläufig jedenfalls bleibt es dabei: Im Bundestag gilt auf den Servern des Parlaments die Vorratsdatenspeicherung, allerdings nur für die Internetdaten. Was nicht nur Sigmar Gabriel in seiner Partei noch durchsetzen muss - nämlich die dann um die Telefonverbindungsdaten erweiterte Vorratsspeicherung -, müssen die Volksvertreter erst einmal in ihren eigenen Büros hinnehmen.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.