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Snowden-Daten angeblich in Moskau und Peking - Keine Angst um unsere Geheimdienste

Einem britischen Zeitungsbericht zufolge sind China und Russland in den Besitz der Snowden-Dokumente gelangt. Geheimdienste weltweit wittern Gefahr. Demokraten sollten sagen: na und? Ein Kommentar

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Seit dem Wochenende sind Geheimdienste weltweit in Aufruhr: China und Russland sollen die Datensätze von Edward Snowden entschlüsselt haben, berichteten die britische Sunday Times und die BBC. Von über einer Millionen streng geheimer Akten ist die Rede. Angeblich sollen durch das Datenleak auch Spione westlicher Nachrichtendienste gefährdet sein: Der britische Auslandsgeheimdienst MI6 habe Agenten aus laufenden Operationen in feindlichen Ländern abziehen müssen.

Stimmen diese Berichte, dann wäre Konservativen und Sicherheitsbeamten erstmals der Beweis gelungen, dass Snowden mit seinen Enthüllungen tatsächlich Menschen in Gefahr gebracht habe. Nicht nur abstrakt, sondern konkret.

Grund zur Panik, wie sie interessierte Kreise jetzt gern schüren würden, gäbe es aber auch dann nicht. Vielmehr wäre diese Situation ein erster Test, wie weit westliche Demokratien gehen würden, um für ihre Freiheitsrechte einzustehen.

Unklare Quellenlage


Doch es sind Skepsis an der Echtheit der Angaben angebracht. Die Sunday Times beruft sich auf Quellen in Downing Street, im Innenministerium und in den Geheimdiensten. Bestätigt haben diese Behörden bislang nichts. Der Guardian findet es auch merkwürdig, dass etwa das Außenministerium nicht darunter ist, das für den MI6 zuständig ist.

Müssten nun aber nicht jene, die der Überwachung sonst das Wort reden, triumphieren? In seiner Heimat wurde Snowden immer wieder unterstellt, das Leben von Amerikanern zu gefährden. Ein hoher Pentagonbeamter sagte einmal, er würde Snowden dafür gerne eine Kugel in den Kopf jagen. Ex-NSA-Chef Michael Hayden schlug scherzhaft vor, den Whistleblower auf eine Todesliste zu setzen, wofür der republikanische Abgeordnete Mike Rogers seine Hilfe anbot. Würden solche Leute nicht sofort an die Öffentlichkeit gehen, wenn ihnen Informationen für konkrete Gefährdungssituationen vorliegen?

Auch in Deutschland gibt es Leute, die Snowden für einen Verräter halten und ihm sogar eine Mitschuld an den Anschlägen von Paris geben. Beweise dafür? Fehlanzeige.

Snowden wird in den USA unter dem Espionage Act – einem Spionagegesetz aus dem Jahr 1917 – angeklagt. Spionage heißt, Informationen gegen Geld oder andere Gefälligkeiten an einen Staatsfeind auszuhändigen. Snowden aber gab seine Informationen der Öffentlichkeit preis, vermittelt durch Journalisten.

Szenario eines Cyberangriffs?


Zudem beteuerte Snowden stets, dass er selbst gar nicht mehr im Besitz der geheimen Datensätze sei. Trifft das zu, fällt er als Informant des russischen und chinesischen Geheimdienstes aus. Utopisch auch, sich Laura Poitras oder Glenn Greenwald, die der Whistleblower 2013 in Hongkong eingeweiht hatte, als Handlanger vorzustellen. Die beiden Enthüllungsjournalisten waren selbst immer wieder Opfer geheimdienstlicher Übergriffe geworden.

Poitras und Greenwald teilten aber das Material mit anderen Medien, die sie als vertauenswürdig einschätzten. Wahrscheinlicher ist deshalb das Szenario eines Cyberangriffs: Die Geheimdienste könnten sich eine schwache Stelle irgendwo in dieser Kette gesucht und sich so das Material beschafft haben. Dann stellt sich die Frage, welche Schuld Snowden überhaupt treffen kann: Undichte Stellen gibt es in IT-Netzen weltweit – der Leak im Bundestag zeigt, wie realistisch diese Gefahr inzwischen geworden ist. Die NSA führt einen regelrechten Cyberkrieg; Moskau und Peking tun offenbar ähnliches. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sowohl Russland als auch China immer mal wieder an „Top Secret“ klassifizierte Informationen gelangen – und die USA dann Operationen abblasen müssen. Nur wird das dann nicht öffentlich.

Selbst wenn – anderes Gedankenspiel – es den russischen Diensten gelang, Snowdens engste Vertraute in Moskau anzuzapfen, sind westliche Geheimdienste nicht ganz unschuldig: Nach seiner Flucht aus Hongkong wollte Snowden eigentlich nach Lateinamerika weiterreisen. Die USA erklärten jedoch noch während der Flugreise Snowdens Pass für ungültig, so dass ihm nur der Verbleib in Russland übrig blieb. Die europäischen Staaten wiederum wiesen Snowdens Asylgesuche wiederholt zurück.

Snowdens Verdienst überwiegt jedes Risiko


Zweifel sind an der Sunday-Times-Geschichte auch angebracht, da mindestens ein schwerwiegender sachlicher Fehler darin enthalten ist: So heißt es, dass David Miranda, der Lebensgefährte von Glenn Greenwald, 2013 in Heathrow festgehalten wurde, nachdem er Snowden in Moskau besucht habe. Tatsächlich war er bei Laura Poitras in Berlin, wie Greenwald auf dem Onlineportal The Intercept richtigstellt.

Vielleicht wird sich die Sunday-Times-Geschichte als korrekt erweisen. Vielleicht auch nicht. Es ist aber eigentlich auch egal. Snowdens Verdienst für die Menschheit überwiegt die möglichen Risiken seines Unterfangens um ein Vielfaches.

Dass Agenten sich bei geheimen Operationen in feindlichen Staaten nicht nur im verfassungsrechtlichen Graubereich, sondern auch in einer Gefahrenzone bewegen, war auch ohne Snowden bekannt. Welches Maß an Überwachung die westlichen Dienste inzwischen betreiben, wie sie damit regelmäßig Gesetze brechen und Grundrechte verletzen, hingegen nicht.

Die Demokratien mögen im globalen Spiel der klandestinen Information durch diese Enthüllung vielleicht einen Punktverlust erlitten haben. Gewonnen haben sie allein schon dadurch, dass sie bereit sind, ihr Tun ständig zu hinterfragen.

Der US-Kongress debattiert über Datenschutz, ein Bundestags-Untersuchungsausschuss durchleuchtet die NSA-Überwachung, der BND muss Rechenschaft ablegen: All das ist nur Snowden zu verdanken. Einem mutigen, aufrechten Staatsbürger. Sein Dienst an der Freiheit ist vor jedem Vorwurf, Geheimdienstagenten zu gefährden, erhaben.

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