- „Sagen Sie bitte nicht, in Berlin gäbe es auch liebenswürdige Frauen“
Er gilt als Erfinder der Popliteratur – und würde über derartige Zuschreibungen wohl nur müde den Kopf schütteln. Joachim Lottmann hat ein neues Buch geschrieben. In „Happy End“ liest er einmal mehr der deutschen „Subventionsliteratur“ die Leviten. Ein Interview im Facebook-Chat
Herr Lottmann, auch für mich ist es das erste Interview via Facebook-Chat. Wollen wir es so halten, dass ich im Nachgang unser Gespräch leicht redigiere und Ihnen die Fassung dann vorher noch einmal zur Abnahme zuschicke?
Ja, bitte, so machen wir es, und ich werde selbst auch redigieren, das dürfen Sie mir nicht übelnehmen, denn DAS ist für mich der eigentliche Spaß an der Sache: die Situation künstlich superauthentisch zu machen, mit all den 'Fehlern', die der Leser für ein besonders zuverlässiges Zeichen für Echtheit, Spontanität und beispiellose Ehrlichkeit hält.
Dann beginnen wir doch mit der Echtheitssimulation. Der Kaffee ist durch, die Zigaretten gekauft: von mir aus kann’s losgehen. Herr Lottmann, können Sie beschreiben, wo Sie sich in diesem Moment befinden und was so gerade um sie herum passiert?
Hm, also... da könnte man jetzt einfach die Kamera einschalten. Mach' ich aber nicht, meine Frau ist gerade in Griechenland.
Aber Sie sind zuhause in Wien…
Oh ja! Es ist der heißeste Tag des Jahres. Die Pferde leiden. Sie wissen, in Wien gehören Pferde zum Straßenbild. Und auf diesen Straßen sind jetzt praktisch nur junge Frauen ohne Kleidung (fast) zu sehen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich habe noch nie soviel nackte Haut innerhalb von 90 Minuten gesehen wie heute. Zum Glück lässt mich das kalt, da ich ja glücklich verheiratet bin.
Dass glaub ich Ihnen nicht, dass Sie das kalt lässt. Der Fußballphilosoph Waldi Hartmann hat mal gesagt: „Ich schaue zwar schönen Frauen immer noch hinterher, weiß aber immer weniger, warum.“
Doch, doch, das kennt doch jeder: dass man plötzlich erleichtert, weil absichtslos, den knackigen superheißen Bräuten auf der gegenüberliegenden Ampel entgegenschaut, weil man endlich verliebt ist. Kein verzweifeltes Hinschmachten mehr, nur kühle Wertschätzung.
Womit wir beim Thema wären. In Ihrem neuesten Buch „Happy End" lassen Sie Ihren Protagonisten sagen: „Die Frauen in Deutschland seien nachweislich härter als anderswo.“ Das müssen Sie mir erklären…
Das fragt allen Ernstes einer, der in BERLIN lebt, der Stadt der humorlosen, direkten,… früher hätte man gesagt ‚Mannweiber‘, aber das trifft es nicht mehr. Ich meine, man kann das mögen, und ich selbst mag das sogar sehr, dieses Bisexuelle überall, diese Helmut-Newton-Amazonen. Aber sagen Sie bitte nicht, in Berlin gäbe es auch zarte, liebenswürdige, schüchterne Frauen. Die gibt es in Wien.
Nein, nein, es gibt sogar ganz wunderbar tolle und schüchterne Frauen in Berlin. Vielleicht liegt das Problem der Großstadtfrau ja auch im Gegenüber. Im Großstadtmann.
Also die Männer dort sind ja auch wirklich Jammergestalten. Die kriegen nichts auf die Reihe. Da haben Sie ganz recht.
Eine, sagen wir, etwas merkwürdige Gestalt ist auch der Protagonist Ihres Buches. Es handelt von einem, der nicht mehr schreiben kann, weil er nichts mehr zu sagen hat. Und das 351 Seiten lang…
Ist das nicht eine Spitzweg-Phantasie? Der arme Poet, bei dem es reinregnet? Da ist es doch viel schöner, wenn man Literaturpreise gewinnt und im Geld badet wie Dagobert Duck. Finden Sie nicht?
Team Dagobert!
Außerdem geht der Protagonist ja die letzten 200 Seiten nur noch ins Kino. Darüber kann man doch IMMER schreiben, wenn man in der Schule das ABC gelernt hat. Vor allem, weil ihn seine (auch körperlich) attraktive Frau dauernd in DEUTSCHE Filme schleppt. Und das deutsche Kino ist bekanntermaßen das schlechteste der Welt, wie Jens Friebe so richtig sagt, oder singt.
Beim Kino bin ich noch gar nicht. Ich habe Ihr Buch, offen gestanden, erst bis zur Hälfte gelesen...
Bis zur Hälfte haben Sie es geschafft? Ich nur bis Seite hundert, ungefähr. Aber das ist sehr viel! Alle früheren Bücher von mir habe ich gar nicht gelesen, das heißt, nur immer mal eine Seite, zur Aufheiterung. Sie gestatten, dass ich nebenher mit meiner Frau chatte? Junge Leute tun das so. Das mit dem Spitzweg stammte gerade von ihr.
Guter Einwand Ihrer Frau. Richten Sie bitte die besten Grüße aus!
Übrigens ist Ihr Profilfoto bei Facebook toll. Die grässlichen Berlinfrauen würden wahrscheinlich 'Sahneschnitte' dazu sagen. Aber dann doch hinzufügen, dass es mit dem inzwischen obligatorischen Talibanbart noch besser käme.
Wenn sie wüssten. Der Bart ist längst schon wieder im Gesicht.
Ich weiß. Muss eben sein heute, in Berlin… Ich merke gerade, dass ich irgendwie ganz schön uncool wirke mit meinem Gepolter. Ich bitte um Entschuldigung.
Um Himmels Willen, Lottmann, poltern Sie! Zur Geschichte: Ihr Held oder Anti-Held heißt Johannes Lohmer, ist irgendwie Schriftsteller, liebt seine Frau und hat zum allerersten Mal einen Literaturpreis erhalten. Und hier beginnt das Problem: Er muss einen geeigneten Nachfolger bestimmen.
Nein, das Problem beginnt einen Schritt später. Es ist der einzige namhafte Literaturpreis, der nicht von einer Jury, sondern vom (vorherigen) Preisträger bestimmt wird, also von einem Schriftsteller. Und Johannes Lohmers Vorgänger nimmt ihm das Versprechen ab, den Preis später nicht einem Freund zuzuschanzen, sondern einem persönlich mit ihm nicht bekannten, verschwägerten oder beruflich-finanziell verbundenen Autor. Nun sucht er und findet nur Schrott. Denn mit allen guten Autoren ist er ja befreundet.
Er lässt schließlich seine Frau entscheiden, traut sich dieser dann aber nicht zu sagen, dass er Buch und Autorin, die sie ausgewählt hat, für ziemlichen Quark hält…
Ja, ich glaube, das haben Sie jetzt schön gesagt. Und vor dieser Entscheidung liegt noch das Martyrium der Suche. Der Protagonist liest ja zum ersten Mal richtige, normale, also schlechte deutsche Bücher - um einen Preisträger zu finden. Er muss das irgendwann abbrechen, um nicht Magenkrebs zu bekommen. Ich denke, der Leser versteht das. Aber so kommt es eben zu der verhängnisvollen Fehlentscheidung.
Ich verrate wohl nicht zu viel, wenn ich sage: Sie halten nicht sonderlich viel vom Literaturbetrieb.
Ach, da bin ich am Mittwoch beim taz-Gespräch schon wieder so uncool vorgeprescht. Ich habe doch tatsächlich den Literaturbetrieb mit der korrupten Fifa verglichen. Das nehme ich natürlich zurück.
Wegen der schreibenden Kollegen oder aus Angst vor der Fifa?
Die schreibenden Kollegen verhalten sich gerade bombe, ich bekomme lauter aufmunternde Mails. Und es ist ja auch so: Die Struktur des Kleinteiligen ist der Fifa schon ähnlich. Nicht der eine große Blatter kriegt die Milliarden, sondern tausende kleine Häuptlinge in Afrika oder sonstwo in der Provinz, Delegierte von diesen 223 Landesverbänden, die herumreisen und Spesen machen. Auch im Literaturbetrieb kriegen die kleinen Leute das Geld, namenlose 'Schriftsteller', die kein einziges Buch verkaufen.
Irre ich mich, oder kann nur jemand so schreiben, der kein Geld mehr mit dem Schreiben verdienen muss?
Gut möglich, dass mir jetzt noch mehr der Wind ins Gesicht bläst, also an entscheidender Stelle. Maxim Biller hat mir schon geschrieben, wie uncool er meine Haltung im taz-Gespräch fand. Ins neue 'Literarische Quartett' komme ich nun nicht mehr. Auch andere für mich wichtige Türen sind zugegangen. Ich sage Ihnen, selbst ich habe da sehr zu schlucken.
Also, nicht ins literarische Quartett eingeladen zu werden, könnte man auch als Auszeichnung begreifen.
Da tröstet dann nur noch meine liebe Harriet (Lottmann schickt ein Foto seiner Frau)... Und, das literarische Quartett habe ich als Kind über alle Maßen geliebt.
Ihre Frau? Glückspilz, kann ich da nur sagen. Jetzt richten Sie bitte erst Recht die besten Grüße aus! Zum Quartett: Die alte Besetzung war schon was.
Richte ich sofort aus. Volker Weidermann ist übrigens auch ein ganz, ganz besonderer Mensch, in seiner Art ein Heiliger. Weidermanns innerster Persönlichkeitskern ist reine, unvermischte, durch nichts in ihrer absoluten, klinischen Reinheit abgeschwächte Liebe zur Literatur, womöglich die Literatur selber.
Gut, da bin ich zu weit weg. Aber die plötzliche Zunahme lobender Worte wird mir doch jetzt etwas unheimlich. Ich fürchte, hier müssen wir schneiden, sonst könnte der Leser noch auf die Idee kommen, es handele sich bei Joachim Lottmann um einen liebenswerten Menschen. Das wäre schlecht für den Verkauf. Ich mache mir wirklich Sorgen um Ihr Image…
Leider sehr wahr. Ich habe ja schon 2014 dem Rainald Goetz bestimmte Gefallen tun müssen, damit er sein berühmtes 'Goetz-Zitat' aufrechterhält. Dem ist das auf die Nerven gegangen. Immer wieder wurde er darauf angesprochen, auf dieses legendäre Wort vom „bösen, zutiefst und grundlos bösen Menschen“, der ich gewesen sein soll. Man kann sich schon vorstellen, wie peinlich ihm das inzwischen ist. Er hatte damals, in unserer Jugendzeit, einfach nicht damit gerechnet, dass ich am Ende Erfolgsautor werden würde. Aber wir brauchen das Etikett immer noch, also der Verlag.
Ein bisschen was tun Sie ja auch dafür. Sie schreiben: Die heutige Schriftstellergeneration sei kein bisschen getrieben, schreibe nur Mist.
Der Anteil guter Autoren ist im Laufe der Jahrhunderte immer ungefähr gleich geblieben. Gute Autoren kommen immer wieder, und man erkennt sie sofort, ich zumindest, und das ist dann jedes Mal eine große Freude. Jüngstes Beispiel ist Ronja von Rönne. Vergleichen Sie mal die, die sie angreifen, ja sogar die, die sie verteidigen - etwa Andreas Rosendörfer - mit ihrer eigenen Verteidigungsschrift. Dazwischen liegen Welten, der Abgrund zwischen Talent und Anstrengung.
Ich habe den Skandal noch nicht richtig mitgekriegt, helfen Sie mir. Sie hat etwas gegen den Feminismus geäußert?
Das ist wurscht. Sie liest jetzt in Klagenfurt um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Richtig gute Bücher gibt es aber zweifellos, etwa ‚Bis ich 21 bin‘ von einer Wienerin, mir fällt der Name jetzt nicht ein…
Ela Angerer.
Richtig. Das ist wahnsinnig toll, ein Mädchen vögelt sich durchs Internat, einfach, um es auszuhalten. Da ist jede Silbe atemlos echt, die Frau war wirklich getrieben, als sie das schrieb. Ohne Zweifel gibt es nichts Besseres zur Zeit, aber das Buch wird vom Feuilleton nicht angefasst, weil die Sprecherposition nicht erlaubt ist. Sex im Internat ist Missbrauch, und Missbrauch darf nur aus der Opferperspektive beschrieben werden.
Ich sehe schon, Sie mögen auch das Feuilleton nicht sonderlich.
Doch, sehr sogar! Ich finde es blöd, dass ich immer so negativ rüberkomme. Wir leben in einem glücklichen Land, wenn die Leute das doch nur wüssten! Wissen die CICERO-Leser das?
Hm…
Wissen Sie es? Aber zurück zur Literatur. Fragen Sie mich etwas.
Der 'Held' in „Happy End“ kann nicht mehr schreiben, weil er glücklich ist. Das Verliebtsein ist Schuld. Ist das so? Das größte Unglück eines Schriftstellers ist sein Glück?
Nicht mehr Schreiben zu KÖNNEN ist ja völlig verkehrtherum gedacht. Bei einem echten Schriftsteller gibt es höchstens das nicht mehr schreiben MÜSSEN, und das ist ein wunderbarer Zustand, die Seligkeit. Man schreibt ja nur, um Leid abzuwenden, durch Verarbeitung, wie ein Insulinkranker, der dreimal die Woche zur Dialyse muss, um den Tod abzuwenden. Was meinen Sie, wie der sich freuen würde, wäre er eines Tages nicht mehr zuckerkrank und dürfte zu Hause bleiben und seiner lieben Frau beim Geschirrspülen zugucken.
Den weiblichen Cicero-Lesern sei an dieser Stelle gesagt, dass der umgekehrte Fall, also Frau guckt Mann beim Spülen zu, selbstverständlich auch zur Seligkeit beitragen kann.
Es gibt auch weibliche CICERO Leser?
Klar! Fassen wir zusammen: Sie mögen das Feuilleton, Sie entdecken gute neue Autorinnen, nur die Literaturpreise stören Sie?
Dazu hat Thomas Bernhard in ‚Meine Preise‘ schon alles gesagt. Ich hätte lieber schweigen sollen. Warum sollen die kleinen Städte nicht niedliche kleine ‚Schriftsteller‘ in ihren Mauern halten, und irgendwelche Sonntagsmaler, und das dann Kultur nennen? Ist doch in Ordnung, wie das Anpflanzen von Rosenbeeten neben dem Kriegerdenkmal.
Vielleicht haben Sie eher ein Problem mit Star-Autoren und -Kritikern, wie ja die Feindschaft mit Rainald Goetz und anderen nahelegt. Sogar Sibylle Berg soll jetzt den Kontakt mit Ihnen abgebrochen haben.
Das stimmt zwar nicht, ich chatte gerade mit ihr - mein dritter Chat-Reiter auf dem Screen jetzt - aber das Problem besteht tatsächlich: Ich habe es in meinem Leben nie geschafft, Autoren zu bewundern und gleichzeitig nicht auch ihr Freund sein zu wollen. Ich konnte es nicht trennen. Nach jedem guten Buch musste ich sofort den Verfasser anrufen. Das war verhängnisvoll, zum Beispiel bei Goetz, und auch, wenn auch in ganz anderer Weise, bei Maxim Biller… Es ist übrigens eine großartige Interviewform, das Chatten. Das mache ich jetzt nur noch so. Während des ganzen Hin und Hers habe ich schon die Wohnung soweit aufgeräumt, dass wir später die Kamera einschalten können.
Und bei mir ist mittlerweile die komplette Wohnung vollgequalmt...
Nikotin ist doch was Feines. Und auch gut für die Erotik, sag' ich immer.
Ich werde es meiner Freundin ausrichten. Die sieht’s irgendwie nicht so lyrisch.
Die meine rauchte vier Päckchen am Tag, das wurde dann ungewollt und leider weniger, und eines Tages, das muss so vor zwei Jahren gewesen sein, merkten wir erschrocken, dass sie längst GAR NICHT mehr rauchte. Ich vermisse den Geruch, kann mich aber nicht beklagen, da ich es selbst nicht über mich bringe, eine anzuzünden, außer beim Kiffen. Das musste ich ja beim Drogenbuch letztes Jahr machen.
Kiffen Sie denn heute noch regelmäßig? Ich brauch noch was Knackiges für die Überschrift, wenn Sie verstehen. „Autor Lottmann für die Freigabe von Cannabis“ oder „Lottmann gesteht: Ich kiffe täglich“ oder ...
Ich schreibe doch nachher die Überschrift selber, beim Redigieren!
Lieber Herr Lottmann, der Kaffee ist kalt, die Zigaretten geraucht und Ihre Wohnung dürfte jetzt besenrein sein - ich fürchte, wir müssen zum Ende kommen. Zumal ich ja noch die zweite Hälfte Ihres Buches lesen muss. Eines aber müssen Sie mir als Wahlberliner noch erklären: Wie in Teufels Namen kommen Sie an so eine Frau?
Wien, Wien, Wien und der Wein… Ziehen Sie her, dann gibt es auch in Ihrem Leben ein HAPPY END!
Die Fragen stellte Timo Stein.
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Joachim Lottmann: HAPPY END
351 Seiten; 19,95 €; ISBN 978-3-942989-89-3, Verlag: Haffmans Tolkemitt.
Erscheint am 16. Juni 2015.
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