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G7-Gipfel - Die Welt will mehr von Deutschland

Wenn Angela Merkel zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau einlädt, ist die Wunschliste an sie lang. Angela Merkel müsse Putin mit „Zuckerbrot und Peitsche” von seinem Ukraine-Kurs abbringen, fordert der US-Politikberater Denison

Autoreninfo

Andrew Denison ist Direktor von Transatlantic Networks, ein Zentrum für politische Beratung und Bildung in Königswinter.

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Die Fahnen der reichen, mächtigen Staaten des Westens, die Fahnen der Gruppe der Sieben flattern im Wind über Schloss Elmau. Die Präsidenten, die Kanzlerin und die Premierminister, die dort bald vor dem Karwendelmassiv stehen werden, vertreten ein Zehntel der Weltbevölkerung, aber fast die Hälfte des Weltreichtums.

Sie sind Gäste von Angela Merkel, Amtsälteste, seit fast zehn Jahren Kanzlerin von Europas reichstem Staat. Noch mehr als in Heiligendamm 2007, wo sie bereits großen Respekt als Gastgeberin genoss, begegnet die Kanzlerin heute großen Erwartungen, sie könne die Probleme Europas lindern. Die Gipfelteilnehmer hoffen auf eine Kanzlerin, die noch mehr Führungswillen in der Welt zeigt und noch mehr für den Frieden und Wohlstand der Nachbarn tut.

Die Gruppe der Sieben ist reich, aber Reichtum allein macht sie nicht aus. Die Mitglieder sind gefestigte Demokratien westlicher Prägung. Tief verankert sind die Prinzipien der begrenzten Staatsmacht, der freien Meinung, Presse und Religion. Rechtstaatlichkeit und Privatbesitz prägen die Wirtschaftsbeziehungen. China gehört nicht zu dieser Gruppe: Seine Bürger sind arm, sowohl in Bezug auf Wohlstand als auch bezüglich politischer Rechte. Irgendwann, können wir hoffen, wird China das westliche Niveau erreichen.

Revisionismus in Moskau


Macht besteht aus Reichtum und Gestaltungsvermögen, und hier haben die sieben Großen sich bewiesen. In den vier Jahrzehnten ihres Bestehens haben die G7-Länder gemeinsam viele Krisen überwunden und Ziele vorangebracht. Mit der Initiative von Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing sind die Sechs 1975 zum ersten Gipfel in Rambouillet zusammengekommen; 1976 kam Kanada dazu, 1977 die Europäische Kommission. Diese ersten G7-Weltwirtschaftsgipfel halfen dabei, die Wirtschafts- und Energiekrisen der 70er Jahre zu meistern; auch in der Nachrüstungsdebatte und der Ausnutzung von Gorbatschows Reformwillen waren die Großen in ihrer Zusammenarbeit erfolgreich.

Die Gruppe der Sieben begegnete der Gefahr der nuklearen Proliferation sowie dem nuklearen Nachlass der Sowjetunion mit abgestimmten finanziellen Verpflichtungen, später im Rahmen einer „Globalen Partnerschaft“.

Nach dem Zerfall des Kommunismus und nach harten Auseinandersetzungen mit Russland über Bosnien und die Erweiterung der NATO versuchte die G7 ein Zeichen des guten Willens: Sie lud Russland zu einem „G8“-Gipfel 1997 in Denver, Colorado, ein. Präsident Boris Jelzin kam nach Denver, stand neben den Sieben und alle hofften, Russland würde zum Teil des Westens werden. Doch schon damals prägte Revisionismus die politische Diskussion in Moskau. Hätte man genauer hingeschaut, wäre schnell klar geworden: Die russische Elite hatte sich nicht mit dem neuen Status quo nach 1991 abgefunden.

Mit dem Angriff auf die Ukraine Anfang 2014 wurden die Unterschiede zwischen dem Westen und Russland zu groß. Im dramatischen Akt erklärten die Sieben, sie würden nicht nach Sotschi zum lange geplanten Gipfel reisen. Stattdessen trafen sie sich in Brüssel ohne Russland – auch um die Bedeutung der EU zu unterstreichen.

Schwieriger Konsens


Mit der diesjährigen Ausladung Russlands ist die G7 zum wichtigsten Forum geworden, um westliche Einigung gegenüber Russland zu demonstrieren. Die hatte man bereits 2014 in der Schlusserklärung von Brüssel erreicht: Dort kritisierten die Teilnehmer die „illegale Annexion“ der Krim und die „Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine“. Außerdem einigten sie sich auf Wirtschaftssanktionen. Syrien war zwar auch Thema, wie seit 2012, aber die Kritik an Russlands und Chinas Obstruktion im Sicherheitsrat war viel schärfer. Und nicht zuletzt gab es in diesem Kommuniqué vom Juni 2014 kein Wort über den IS.

In den 40 Jahren ihres Bestehens hat diese Gruppe der Großen immer nach einem breiten, zukunftsorientierten Ansatz gestrebt. So sehr sie mit ihren internen Krisen beschäftigt waren, haben die Teilnehmer immer wieder eines unterstrichen: Wenn es dem Rest der Welt nicht immer besser geht, kann es dem Westen auch nicht immer besser gehen. Schloss Elmau führt diese Tradition mit dem Motto „An morgen denken. Gemeinsam handeln“ weiter. Konsens über die dringenden Probleme der Gegenwart ist allerdings schwieriger zustande zu bringen.

Konsens ist einfacher zu finden, wenn einer in der Gruppe größer (und großzügiger) sein kann als die anderen. Diese Rolle spielt Amerika schon lange. Amerikas Wirtschaft macht etwas mehr als die Hälfte der G7- Länder aus. Doch das Treffen auf Schloss Elmau erfolgt im Zeichen amerikanischer Zurückhaltung: Obama ist nicht nur dabei, amerikanische Verpflichtungen in der Welt zu reduzieren, er steht auch schon im Schatten des US-Wahlkampfs 2016.

Angela Merkel, die unangefochtene Anführerin


Die Frage der deutschen Macht gewinnt durch Amerikas Rückzug an Bedeutung. Kriege rund um Europa und die griechische Zahlungsunfähigkeit stellen große Herausforderungen dar. Arbeitslosigkeit und Austerität rufen antieuropäische Bewegungen hervor, nicht nur im Süden der EU. Die Erwartungen an Angela Merkel sind demnach sehr hoch.

Gerade in Amerika erlebt die Kanzlerin eine gewisse Bewunderung für ihren „astonishing rise“, wie im New Yorker zu lesen war. Zehn Jahre hintereinander bezeichnet das Finanzblatt Forbes Angela Merkel als „mächtigste Frau der Welt“. Kanadas Wochenzeitschrift Maclean’s nannte sie „the real leader of the free world”. Der Londoner Guardian nennt sie Europas „undisputed leader“. Europas Schicksal liegt in deutschen Händen – so könnte man denken.

Die Kanzlerin, so hoffen viele, kann in ihrer Normandie-Konstellation – samt François Hollande und Petro Poroschenko – die richtige Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche einsetzen, um Wladimir Putin zu überzeugen, seine „völkerrechtswidrige Annexion der Krim“ und „massive Destabilisierung der Ostukraine“ zu beenden. So sprach Merkel in ihrer Regierungserklärung zum G7-Gipfel.

Deutschland zeigt seinen Einfluss durch seine Teilnahme an den P-5+1 Verhandlungen mit dem Iran. Deutsches Geld und deutscher Einsatz, so die vorherrschende Meinung, könnten die schwierigen Entscheidungen bezüglich des Nahen Ostens einfacher machen. Deutschland, so denken viele, kann Führung zeigen in Europas Umgang mit der humanitären Katastrophe der Bürgerkriege im Nahen Osten und den ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer. Die südlichen EU-Mitgliedsstaaten haben weder Geld noch politische Ressourcen dafür übrig.

Und nicht zuletzt hat Deutschland, so denken viele, die Macht und das Geld, um Griechenland im Euro zu halten. Die hohen Erwartungen an Deutschland stehen neben Deutschlands eigenen Erwartungen an die anderen Großen der Sieben.

Deutschland will eine Welt nach seinem Vorbild


Deutschland braucht eine Welt nach besonderem Muster. Da ist „Denken an morgen“ gefragt. Berlin erwartet Sympathie von den anderen Gipfel-Teilnehmern für Deutschlands Vorstellung einer Weltwirtschaft ohne Staatsschulden. Dies muss allerdings auch eine Welt sein, die weiter deutsche Produkte in großen Mengen kaufen kann. Dies muss eine Welt sein, in der Deutschland weiter seine Ersparnisse zur Finanzierung des Einkaufs seiner Exporte sicher einsetzen kann. Dies muss eine Welt sein, in der die Gläubiger ihr verliehenes Geld mit anständiger Rendite zurückbekommen.

Dies muss eine Welt sein, in der das ganze Mittelmeer nicht zu einem enormen Unruheherd wird. Dies muss eine Welt sein, in der junge Einwanderer in Deutschlands Rentenkassen einzahlen können – ohne Ängste zu bedienen, sie wollten in Deutschland den Islamismus stärken. Dies muss eine Welt sein, in der die Energieversorgung ohne Kernkraft und Fracking für Deutschland möglich ist. Dies muss eine Welt sein, die ein TTIP-Abkommen hervorbringen kann, das für den Export-Weltmeister akzeptabel ist.

Dies muss eine Welt sein, in der Russland militärisch nicht weiter vorstößt. Dies muss eine Welt sein, in der Russland den Iran nicht dazu animiert, doch noch mit dem Westen in Konflikt zu geraten – denn jede Krise im Persischen Golf treibt die Energiepreise nach oben, was ein Rettungsring für die sinkende russische Wirtschaft wäre – und eine Katastrophe für die anderen BRIC-Staaten.

Schloss Elmau und die künftigen Machtverhältnisse


In den 40 Jahren des Bestehens der G7 ist Deutschland sehr weit gekommen. Die Wiedervereinigung Deutschlands und die zunehmende Einigung Europas ist auch deutscher Staatskunst zu verdanken. Die Herausforderungen der Zukunft werden aber nicht kleiner, der Frieden nicht billiger. Die Welt möchte mehr von Deutschland.

Schloss Elmau wird die Stärke des westlichen Verbunds nochmals unterstreichen. Wenn die Teilnehmer da in der Alpenglut „an Morgen denken“, wollen sie sicher alle eine Welt, die Deutschland auch zugutekäme. Offen dagegen bleibt die Frage, ob Merkels Deutschland die erwartete Rolle beim Erhalt einer solchen Welt erfüllen kann.

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