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Online-Kiosk Blendle - „Wir wollen das Google News für Qualitätsjournalismus werden“

Die Medienkolumne: Das iTunes- und Spotify-Prinzip erobert den Journalismus. Künftig können Leser im Netz auch einzelne Artikel statt ganzer Abos kaufen. Zwei Online-Kioske drängen auf den deutschen Markt: das Start-up „Blendle“ aus den Niederlanden und „Pocketstory“ aus Hamburg

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Der Niederländer Marten Blankesteijn zeigt auf seinen Laptop, vom vielen Auf- und Zuklappen haben die Tasten schon Abdrücke auf dem Bildschirm hinterlassen. Der 28-Jährige hat einen Gegner: die Klicks. „Im Internet zählt oft nicht die Qualität einer Geschichte, sondern nur, wie viele Besucher sie gesehen haben.” Die Folge: Journalistische Texte wurden in den vergangenen Jahren immer kürzer, knapper, skandalisierender.

Medien kämpfen im Internet mit vielen Problemen: sinkenden Anzeigenerlösen, Raubkopien, Plattformen wie Google und Facebook, die ihnen das Geschäft abgraben wollen.

[[{"fid":"65590","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":278,"width":278,"style":"height: 180px; width: 180px; float: left; margin-right: 6px; margin-left: 6px;","title":"Marten Blankensteijn","class":"media-element file-copyright"}}]]Blankesteijn, Jeans, blaues Sweatshirt, Gründer der Utrechter Firma „Blendle”, hat die Lösung, nach der sich alle gesehnt haben: Er will mit Journalismus im Internet Geld machen. Er sitzt im Bistro eines Handyladens in Berlin-Mitte, seine Kartoffelsuppe ist schon kalt geworden. Blankesteijn hat viel Geduld im Erklären: Seit neun Monaten ist er in Deutschland unterwegs, um die großen Verleger von seinem Modell zu überzeugen. Gleich im Anschluss trifft er sich mit einem Axel-Springer-Lobbyisten.

Von der Papierskizze zum Axel-Springer-Investment


Es ist eine Werbetour, denn im Juni geht seine Beta-Version an den Start. Zugleich schickt sich in Hamburg schon die Konkurrenz an, den gleichen Markt zu erobern: „Pocketstory”. Die deutsche Medienlandschaft wird in den kommenden Wochen und Monaten daher zum Labor eines Experimentes: Zwei Online-Kioske wollen austesten, wie man der Umsonstkultur im Netz begegnen kann.

Blankesteijn war selbst jahrelang freier und festangestellter Autor. Ihn nervten die grellen Überschriften, die schnellen Zeilen im Web. Da dachten er und sein Mitgründer Alexander Klöpping sich: Das muss doch anders gehen. Mit einer Papierskizze bewarben sie sich um einen staatlichen Förderfonds in den Niederlanden. Sie bekamen 100.000 Euro, im April 2014 ging Blendle an den Start.

Die Firma erlaubt es Nutzern, einzelne Artikel zu kaufen, ohne gleich die ganze Zeitung oder Zeitschrift abonnieren zu müssen. Lesen kann man sie auf Computern, Tablets oder dem Smartphone. Die Kosten liegen zwischen 25 Cent und 80 Cent pro Text. Den Preis legen die Verlage selbst fest, 30 Prozent behält Blendle als Vermittlungsgebühr ein. Damit unterscheidet sich das Angebot von Digital-Kiosken wie Readly oder dem iKiosk, die nur ePaper-PDFs anbieten und bislang kaum erfolgreich sind im deutschen Markt. Bei Blendle kommt hinzu: Wenn dem Kunden ein Text nicht gefallen hat, kann er sein Geld zurückfordern. Und auch, wer weniger als zehn Sekunden auf einem Artikel verbleibt, muss nichts bezahlen.

In den Niederlanden hat Blendle alle wichtigen Verlage von seinem Konzept überzeugen können. 280.000 Nutzer hat die Plattform, zwei Drittel davon sind unter 35, die meisten männlich. Ganz nebenbei widerlegt das Unternehmen so die These, dass sich jüngere Menschen weniger für Nachrichten interessieren würden. Auch die Leser sind zufrieden: Etwa fünf Prozent erhalten ihr Geld auf eigenen Wunsch zurück, weitere fünf Prozent werden erstattet, wenn der Nutzer einen Artikel schnell wieder schließt.

Der Leser im Mittelpunkt


Blendle ist nicht nur eine große Onlineplattform, sondern auch ein riesiges Archiv, eine Nachrichten-Suchmaschine und ein soziales Netzwerk, in dem man den Empfehlungen von Meinungsführern folgen kann. Der Durchbruch kam mit den Großkunden in den USA: das Wall Street Journal, die Washington Post. Im Oktober 2014 investierten die New York Times und Axel Springer drei Millionen Euro in die Initiative.

Der Mann, der den Journalismus vom Klickwahnsinn befreien will, ließ sich ausgerechnet vom Hausverlag der Bild-Zeitung, Europas größtem Boulevardblatt, unter die Arme greifen.

Blankesteijn hat große Visionen: „Wir wollen das Google News für Qualitätsjournalismus werden.“ Dann, per Mail, schiebt er nach: „Aber Google News hat kein soziales Netzwerk. Deswegen würde ich sagen, wir verbinden Twitter, Google News, PayPal und Leidenschaft für Qualitätsjournalismus auf einer Webseite.“

Der Geschäftsführer von „Pocketstory”, Thorsten Höge, lacht: „Dann wollen wir aber das iTunes für Texte werden.” iTunes, das ist der Onlinemarktplatz von Apple, der mit dem Angebot, einzelne Songs statt ganzer Alben zu verkaufen, Millionen machte.

[[{"fid":"65591","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":518,"width":345,"style":"height: 270px; width: 180px; margin-right: 6px; margin-left: 6px; float: left;","class":"media-element file-copyright"}}]]Pocketstory ging vor einer Woche an den Start. Heimlich, still und leise – ohne viel Werbung gemacht zu haben, ohne vergleichbares Social-Media-Tamtam wie einst die „Krautreporter”. Seit Mittwoch ist die Plattform mit einer Beta-Version im Netz. Der Kiosk hat mächtige Inhaltelieferanten: Die Spiegel-Gruppe, die Zeit, die Berliner Zeitung, aber auch kleinere Titel wie „Galore”, oder „Emotion”.

Das Start-up startete schon 2013, „Business Angels” halfen dabei. Hauptgesellschafter Höge, der 45 Prozent der Anteile an seinem Unternehmen hält, ist von seinem journalistischen Konzept überzeugt: „Bei uns steht stärker der einzelne Artikel im Mittelpunkt, während Blendle alle Artikel eines Heftes verkauft.”

Datensammeln als Geschäftsgrundlage


Bei Pocketstory gibt es eine Mindestlänge: Man wähle nur Texte aus, 5000 Zeichen, Reportagen, Hintergründe, keine News. Eben Texte, „für die es sich zu zahlen lohnt”, sagt Höge. „Unsere Überzeugung ist: Die Geschichte kommt zum Leser.”

Ohne Daten geht es aber weder bei Pocketstory noch bei Blendle: Die Hamburger nutzen Datamining, sagt Höge. Sie werten also genau aus, was die Nutzer lesen, welche Themen sie bevorzugen, wo sie abspringen. Blendle geht sogar noch weiter: Dort können Nutzer sich mit ihrem Facebook-Konto einloggen – das Social-Media-Prinzip gehört zur Plattform. Wird das Unternehmen erfolgreich, könnte es also schnell eine Datenschutz-Debatte am Hals haben.

Überhaupt tritt Blendle offensiver auf: Gründer Marten Blankesteijn erzählt, dass er schon einen internationalen Beauftragten hat. Der soll sich gleichzeitig um vier europäische Länder kümmern.

„Noch sind sie ja gar nicht da”, beschwichtigt Höge von Pocketstory. Er sieht Blendle nicht als Konkurrenten, sondern eher als „Marktbegleiter”. Von einer Abwehrschlacht möchte er nicht sprechen. „Wenn die Bereitschaft da ist, für journalistische Artikel im Netz Geld zu zahlen, dann ist hier auch Platz für mehr als einen.”

Blendle-Gründer Blankesteijn dagegen ist überzeugt, „ein viel besseres Team und Produkt zu haben. In den Niederlanden hatten wir anfangs auch viel Wettbewerb, aber wir waren schnell viel größer”.

Wie auch immer das Rennen ausgehen mag: Dass gleich zwei Start-ups fest davon überzeugt sind, dass man mit Qualitätsjournalismus Geld verdienen kann, ist für die Branche eine sehr gute Nachricht.

Transparenzhinweis: Auch Artikel des Magazins Cicero werden ab Juni bei Blendle zu lesen sein.

Copyright: 1. Bild (Blendle), 2. Bild (Pocketstory)

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